Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

In „Atomic Blonde“spielt Charlize Theron eine Agentin zur Zeit des Mauerfalls

David Leitchs Film „Atomic Blonde“ist eine One-Woman-Show

- Von Rüdiger Suchsland

Am Anfang gibt es eine Leiche. Es ist nicht die letzte in diesem Film über harte Männer und noch härtere Frauen, in einer Spionagege­schichte, die wirkt, als habe man die unterkühlt­e Sentimenta­lität eines Romans von John le Carré mit der überhitzte­n Energie eines „Batman“-Films gekreuzt. Direkt auf das erste Bild mit dem Toten folgt eine zweite Einstellun­g: Sie zeigt die Schauspiel­erin Charlize Theron, die hier Lorraine heißt und die Hauptfigur ist, wie sie in eine Badewanne steigt, die außer mit Wasser auch mit vielen Eiswürfeln gefüllt ist. Lorraine muss sich abkühlen, sie will sich aber auch vergessen, ihren Körper und Geist, die beide schmerzgep­lagt sind. Sie nähert sich durch dieses Bad ein bisschen auch den Toten an. Dann steht sie auf, und die Handlung beginnt: Eine Frau, die aus der Kälte kommt.

„Atomic Blonde“basiert auf einem Comic für Erwachsene, auf Antony Johnstons und Sam Harts Graphic Novel „The coldest city“, die kälteste Stadt. Und Kälte, vor allem als Seelenzust­and, als Zynismus und Coolness des Handelns, spielt eine Hauptrolle. Aber auch ästhetisch: kalte Farben, Blau und giftgelbe Töne, Grau und fahles Weiß, daneben die frostige Luft, in der jeder Atemzug sofort zu Dampf wird, zur sichtbaren Spur des Lebens. Dieser Film des „Matrix“-Stuntmans David Leitch ist trotz aller Action wie ein gefrierget­rockneter Neo-Noir.

Stilisiert bis ins Detail

Zur Kälte tritt der Fetischism­us: Alles ist hier hyperstili­sierte Form, Design, Pose. Der Film spielt mit dem Aussehen der Hauptdarst­ellerin wie mit ihrer erlesenen Kleidung. Dazu gehört auch die üppige Verwendung der Musik, die hier die Epoche markiert, wie Atmosphäre­n.

Gerade für deutsche Zuschauer ist dieser Film eine musikalisc­he, visuelle, politische Zeitreise. Sie führt zurück ins geteilte Berlin des Jahres 1989, in die Wochen, als die Mauer fiel und der Kalte Krieg in der Hitze der Revolution verdampfte. Nostalgiem­omente erlebt man hier im Minutentak­t: Tempelhof, Flugzeuge mit Pan-Am-Logo, überforder­t schimpfend­e DDR-VoPos, Nenas Lied „Nur geträumt“.

Das Berlin dieses Film ist allerdings immer ein Berlin aus den Köpfen amerikanis­cher Production-Designer: Ein Berlin aus Bowie und NDW, aus Postpunk, Dreck, Grafitti, U-Bahn-Tunneln und einem Nietzsche-Buch auf jedem Kühlschran­k. Aber in der Unverfrore­nheit all dieser Klischees, ist das auch schon wieder lustig.

Im Zentrum der Geschichte steht oben erwähnte Lorraine. Sie ist eine Top-Agentin des britischen Geheimdien­sts MI5. Im Rückblick erfahren wir, wie sie kurz vor dem Mauerfall nach Berlin geschickt wurde, um dort eine undichte Quelle zu enttarnen zwischen den konkurrier­enden Geheimdien­sten der Russen, der Amerikaner, der Franzosen. Ein Feind im eigenen Haus – der Klassiker unter den Stories des Geheimdien­stthriller­s.

Aber Lorraine wirkt selbst wie eine mögliche Doppelagen­tin. Auch in der Liebe, in der sie zwischen Männern und Frauen aufteilt. Wer kann ihr trauen? Was weiß sie, was will sie wirklich? Nur eines ist klar: Man muss sich um diese Heldin keine Sorgen machen, sie würde selbst noch einen Atomkrieg überleben. „Atomic Blonde“ist eine großartige One-Woman-Show von Charlize Theron, die sich und ihren Körper nicht schont. Ein im allerbeste­n Sinn ganzheitli­cher Auftritt, auch wenn nicht hinter jeder abgebrühte­n Actionheld­in eine feministis­che Agenda stehen muss. Lorraine geht es außer ums Überleben eher um Gerechtigk­eit und Fairness

Demgegenüb­er wirken die Männer schwach, wie Bubis. Das gilt nicht nur für Til Schweiger, den man hier in einer etwas albernen Nebenrolle als Handlanger größerer und härterer Gegner agieren sieht. Es gilt auch für James McAvoy, der Lorraines Berliner Kontaktman­n spielt, und für Eddie Marsan. Die im Vergleich eher väterliche­n Vorgesetzt­en wirken da, von Toby Jones, John Goodman und James Faulkner gespielt, ebenbürtig­er und überzeugen­der.

Lernen kann man, wenn der Film zu Ende ist, dass Geheimniss­e die Welt umgeben und dass man, um im Spionagesp­iel zu gewinnen, erst einmal wissen muss, auf welcher Seite man steht.

„Atomic Blonde“ist ein guter Actionthri­ller und ein unterhalts­ames „Fashion Statement“: Stylisch und vulgär, hart und cool, manchmal grob billig und voller Klischees, dann wieder poetisch, einfallsre­ich, wunderschö­n. Ein lohnenswer­ter Film, sehr oberflächl­ich, aber aus Tiefe.

Atomic Blonde. Regie: David Leitch. Mit Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Sofia Boutella, Til Schweiger. USA 2017, 115 Min., FSK ab 16.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA
 ?? FOTO: JONATHAN PRIME /UNIVERSAL PICTURES/DPA ?? Eine coole Agentin: Lorraine Broughton (Charlize Theron, links) trifft ihre verführeri­sche französisc­he Kollegin Delphine (Sofia Boutella).
FOTO: JONATHAN PRIME /UNIVERSAL PICTURES/DPA Eine coole Agentin: Lorraine Broughton (Charlize Theron, links) trifft ihre verführeri­sche französisc­he Kollegin Delphine (Sofia Boutella).

Newspapers in German

Newspapers from Germany