Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein Hoch auf die Laute
Das alte Saiteninstrument hat Füssen berühmt gemacht – Festival „Vielsaitig“startet bald
FÜSSEN - In diesen Zeiten ist viel von Migration die Rede. Doch die Menschen waren schon immer in Bewegung, zogen von A nach B, von Ost nach West, von Süd nach Nord und umgekehrt. Weil sie es daheim nicht mehr aushielten – wegen Diskriminierung, Verfolgung, Krankheit, Armut, Hunger, Krieg, weil sie woanders auf ein besseres Leben hofften oder einfach auch nur, weil sie eine Sehnsucht nach der Fremde umtrieb. Ein Beispiel für eine Emigration, die im fernen Andalusien begann und hier im Allgäu endete: Im Zuge der Reconquista, der Rückeroberung des maurischen Granada im Jahr 1492 und der folgenden katholischen Inquisition, wurden sephardische Juden zur Emigration Richtung Osten gezwungen. Darunter waren auch Mitglieder der Musiker-Sippe Lopez-Lupus-Wolf. Einer davon war „Jorig Welf der Lautenmacher“, der am 10. Oktober 1493 das Füssener Bürgerrecht erhielt. Es sollte nicht der einzige Lautenmacher sein, der in Füssen strandete. Die Instrumentenbauer verhalfen Füssen zu großem Ansehen. Darauf weist auch das Kammermusikfestival „Vielsaitig“vom 30. August bis 9. September hin.
Von einem anderen Füssener Lautenmacher Wolf – Wolfgang Wolf (1515 bis 1570) – stammt die älteste Laute, die im Museum Füssen zu sehen ist. Sie hat Axel Wolf, einer der herausragenden Lautenisten hierzulande, auch schon mal bewundert. Der 55-Jährige tritt bei Vielsaitig mit dem Countertenor Valer Sabadus auf. Und mit Wolfgang Katschner kommt ein weiterer renommierter Lautenist.
Die Laute gilt als eines der ältesten Musikinstrumente. Auf babylonischassyrischen Denkmälern aus dem 2. Jahrtausend vor Christus gibt es Abbildungen der Urform. Die Araber entwickelten das viersaitige, langhalsige Instrument mit Holz-, Schildkrötenpanzeroder Kokosnusskorpus weiter zur fünfsaitigen Oud. Diese brachten Mauren und Sarazenen im 8. Jahrhundert nach Sizilien und Spanien. Von hier aus breitete sich die Laute in Europa aus.
Als „Wiege des europäischen Lautenund Geigenbaus“sieht sich die Stadt Füssen. Die gute Holzqualität der umliegenden Wälder, der Lech als Transportmöglichekit und die Via Augusta als Handelsverbindung – diese Faktoren beschleunigten im 16. Jahrhundert den Aufstieg des Ostallgäuer Ortes zur Lauten-Hochburg. 1562 wurde hier die erste Lautenmacherzunft Europas gegründet. Marktregulierung war damals angesagt: Denn auf 2000 Einwohner kamen in jener Zeit 20 Lautenbauerwerkstätten. So zog es bald viele Füssener Meister und Gesellen Richtung Italien, vor allem nach Padua und Venedig, das über sage und schreibe 14 Opernhäuser verfügte. Im 16. und 17. Jahrhundert stammten etwa zwei Drittel aller Lautenbauer aus Füssen. Lautenist Axel Wolf
Heute gibt es mit Urs Langenbacher nur noch einen Instrumentenbauer in Füssen, der Lauten herstellt; zudem arbeiten in der Lechstadt sechs Geigenbauer.
„In der Renaissance war die Laute das Instrument“, sagt Axel Wolf, der über das Gitarrenstudium zur Laute kam. „Das Schöne ist, wenn man Laute spielt, ist man in der Mitte einer Kultur – man wird gebraucht, man ist nicht mehr ein Einzelkämpfer wie ein Gitarrist, sondern mittendrin.“Wolf, der am Starnberger See lebt, studierte in Hannover Gitarre. Zwei Dinge beflügelten seinen Wechsel zur Laute: „Ich konnte immer schon Generalbass spielen, also diese barocke Begleitpraxis.“Und sein Faible für den Jazz, also das Improvisieren, kam ihm beim Lautespielen auch zugute, denn: „Wenn man Generalbass spielt oder begleitet, ist nicht immer alles genau vorgeschrieben.“
Auch Wolfgang Katschner kam über ein Gitarrenstudium zur Laute. Freilich hatte dies bei dem 1961 in der DDR geborenen Musiker auch eine politische Note. Als sogenannter Bausoldat in der Nationalen Volksarmee galt Katschner als politisch unzuverlässig und musste deshalb seine Stelle als Lehrbeauftragter für Gitarre an der Hanns-Eisler-Musikhochschule aufgeben. Er suchte nach neuen Beschäftigungsfeldern und wechselte zur Laute. Mit seinem langjährigen musikalischen Freund Werner Apel gründete er 1984 die Lautten Compagney, die heute zu den großen deutschen Barockmusik-Ensembles gehört. „Wir wollen nicht das Erbe bewahren, sondern Alte Musik ins Heute übertragen, ein bisschen Bildung vermitteln und die Herzen der Zuhörer berühren“, sagt Katschner. Mit dem Calmus Ensemble hat die Compagney ein Programm zum LutherJahr erarbeitet: „Mitten im Leben 1517“, das in Füssen zu hören sein wird. Mit geistlichen und weltlichen Werken wollen die Sänger und Musiker ein lebendiges Gemälde vom Leben in der Reformationszeit präsentieren.
Als Lautenist und Musiker ist Katschner auch ein passionierter Wanderer zwischen musikalischen Welten. Auf dem Album „Timeless“haben er und die Lautten Compagney etwa frühbarocke Musik mit der Minimal Music von Philip Glass kombiniert – und 2010 dafür den „Echo Klassik“erhalten.
„In der Renaissance war die Laute das Instrument.“
Liedersammlung von Dowland
Auch Axel Wolf geht gern auf Entdeckungsreise und führt scheinbar Gegensätzliches zusammen. Mit dem Saxofonisten Hugo Siegmeth kombiniert er Renaissance- und Barockmusik mit Jazz-Standards. Teile von freien Improvisationen sollen demnächst als Album erscheinen, erzählt er.
Beim Vielsaitig-Festival steht dagegen eine Lieder- und Musiksammlung des englischen Renaissancekomponisten Robert Dowland (1591 bis 1641) im Mittelpunkt, die Wolf mit Countertenor Valer Sabadus vorstellt. Und im Gepäck hat er auch zwei Lauten, die nach Modellen Füssener Meister gefertigt wurden, eine Theorbe (nach Tieffenbrucker) und eine Erzlaute (nach Pietro Railich).