Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen“
Ausbildung: 291 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz, 624 unbesetzte Lehrstellen
KREIS RAVENSBURG (elo) - Auf den ersten Blick könnte man denken, dass im Kreis Ravensburg jeder Jugendliche mühelos einen Ausbildungsplatz findet. Bei der Agentur für Arbeit waren im laufenden Jahr deutlich mehr Lehrstellen gemeldet als interessierte Bewerber. Aber warum zählt die Arbeitsagentur dann derzeit trotz 624 unbesetzter Stellen immer noch 291 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz? „Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen“, erklärt Walter Nägele, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg.
Angesichts der Wünsche vieler Jugendlicher sagt Pressesprecher Nägele: „Die träumen vom warmen Eislutscher.“Nach seinen Beobachtungen bringen viele junge Bewerber nicht die nötige Flexibilität mit, um Alternativen rechts und links ihrer eingefahrenen Blickrichtung zu erkennen. Das könne ein ähnlicher Beruf wie der gewünschte sein oder auch ein Ortswechsel.
Weg vom „Schema F“
Auch bei den Unternehmen würde Nägele sich mehr Flexibilität wünschen. Wenn sich nicht ausreichend geeignete Bewerber finden, könnten die Unternehmen darüber nachdenken, Jugendliche mit Behinderung einzustellen, rät Nägele. Oder Asylbewerber oder auch mal 25- oder 30-jährige Azubis. Oder die Unternehmen könnten in Teilzeit ausbilden. Wenn die Bewerber die Anforderungen nicht erfüllen, dann müssten die Unternehmen mehr investieren in ihre Auszubildenden. Beide Seiten müssten wegkommen vom „Schema F“.
„Deshalb ist die Berufsberatung so wichtig“, sagt Nägele. „Das ist wie beim Navi: Das Ziel muss der Jugendliche vorgeben, wir kennen den Weg dahin.“Schule, Eltern und Arbeitsagentur müssten den Jugendlichen helfen, das für sie passende Ziel zu definieren. Und dabei alle Vor- und Nachteile abwägen. Die Ausbildung zum Koch zum Beispiel sei nicht sehr gefragt. Vielen Bewerbern würde dazu nur Negatives einfallen.
Dabei biete der Beruf viele Möglichkeiten: Von der Betriebskantine mit festen Arbeitszeiten über das Restaurant bis zum Kreuzfahrtschiff. Als Koch könne man überall in der Welt arbeiten und werde niemals arbeitslos. „Es kommt nur darauf an: Was mache ich daraus“, sagt Nägele. Er gibt zu: „Lehrzeit heißt auch, sich mal durchbeißen zu müssen.“Aber das sei es meist wert. „Denn danach ist jeder Herr seiner eigenen Entscheidungen.“
2182 freie Ausbildungsstellen haben Unternehmen im Kreis Ravensburg seit Oktober bei der Arbeitsagentur gemeldet. Am häufigsten gesucht, sind Kaufleute im Einzelhandel. Platz zwei belegen die Stellen für künftige Verkäufer, Platz drei diejenigen für Industriekaufleute und auf Platz vier liegen die Ausbildungsplätze für Kaufleute im Groß- und Außenhandel. Ebenfalls sehr gefragt sind künftige medizinische Fachangestellte, Anlagenmechaniker, Kaufleute für Büromanagement, Bäckerei-Fachverkäufer, Maler und Lackierer sowie Fachkräfte für Lagerlogistik.
Auf der anderen Seite stehen die 1656 Bewerber, die sich seit Oktober bei der Arbeitsagentur gemeldet haben. Ihre Wünsche decken sich zum Teil mit dem Angebot der Unternehmen. Die kaufmännischen Berufe zum Beispiel, für die es viele Lehrstellen gibt, sind offenbar für viele Bewerber interessant. Angeführt wird die Liste der Wunschberufe bei den jungen Männern jedoch von den Berufen Industriemechaniker und Kfz-Mechatroniker. Unter den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen sind bei den jungen Männern außerdem Zerspanungsmechaniker, Tischler und Fachinformatiker.
Bei den jungen Frauen würde die größte Gruppe gern Kauffrau im Büromanagement werden. An zweiter Stelle der Beliebtheitsskala steht die Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten, gefolgt von der Industriekauffrau. Sehr gefragt sind auch die Ausbildungen zur Friseurin, zur Hotelfachfrau, zur Rechtsanwaltsfachangestellten und zur Bankkauffrau.