Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Selbstzweifler
Auf „Lang lebe der Tod“ist Casper selbstkritisch, wütend und politisch wie nie
- Casper muss ganz schön verzweifelt sein. Der 34-Jährige ist einer der erfolgreichsten Deutschrapper, Publikumsliebling bei den Festivals, Posterboy für das Feuilleton, Kompromisskünstler selbst für Rockhörer. Und doch macht ihn das, was für andere nach einem Traum klingt, nicht glücklich.
Sein aktuelles Album „Lang lebe der Tod“zeugt davon. Auf der neusten LP macht Benjamin Griffey, wie der Deutschamerikaner mit bürgerlichem Namen heißt, Schluss mit der jugendlichen Leichtigkeit, die ihn bislang auszeichnete. Anders als bei den beiden Nummer-Eins-Alben „XOXO“(2011) und „Hinterland“(2013) gibt es kaum Licht auf „Lang lebe der Tod“– und wenn, dann wird dieses nicht einfach hingenommen. Die Textzeile „Wo Licht am hellsten leuchtet, werden Schatten immer länger“aus „Alles ist erleuchtet“ist symptomatisch für das Hadern mit der eigenen Rolle.
Veröffentlichung verschoben
Symptomatisch dafür ist auch die Entstehungsgeschichte von „Lang lebe der Tod“. Die gleichnamige Single erschien samt verstörendem Video bereits vor einem Jahr, danach lange nichts. Casper verschob die Veröffentlichung seines neuen Albums auf unbestimmte Zeit. Casper wollte nicht auf alten, ausgetretenen Pfade gehen, sondern einen Weg suchen. Das hat Zeit gebraucht.
Hört man „Lang lebe der Tod“, erkennt man, warum Casper damit haderte. Die düsteren, teilweise morbiden Arrangements haben nichts mit dem gemein, was der Deutschrapper bislang veröffentlicht hat. Persönlich war Casper in seinen Texten schon immer, so intim aber noch nie. Die dritte Singleauskopplung „Keine Angst“ist eine der eingängigeren Nummern auf dem Album, ein eher typischer Casper-Popsong. „Ich fühl mich wie ich fühl, weil ich nichts mehr fühl“singt Casper. Der deut- sche Neo-New-Wave Künstler Drangsal beschwichtigt im Refrain: „Keine Angst, denn das, was du jetzt bist, ist nicht, was du für immer sein wirst.“
Das, was Casper ist: ein Rapper, der stets im Scheinwerfer steht, vor den Kameraobjektiven, zwischen Fans, die ihm keine Ruhe lassen. Casper will Schluss machen damit, hat genug von dem Trubel („Lass sie gehen“), bereitet seinen „finalen großen Trick“(„Meine Kündigung“) vor, wirft sein „Handy in die Spree“, will keine „Treffen, SMS oder Mail“, sondern „sein Leben zurück“(„Wo die wilden Maden graben“). Es sind erstaunlich resignierte Worte für den Rapper, der allen Widrigkeiten zum Trotz einen Funken Optimismus bewahrte. Doch dafür fehlt ihm die Kraft, wie die Depressions-Analogie „Deborah“zeigt.
In düsterer Stimmung
Casper zerpflückt auf „Lang lebe der Tod“nicht nur sein Innenleben, sondern auch die Welt, die ihn umgibt. Das Album lässt sich zum einen auch als Medienkritik verstehen. Der Titelsong prangert den Handy-Voyeurismus unserer Tage an, der Menschen zu sensationsheischenden Beobachtern statt zu Helfern macht. „Alles ist erleuchtet“geht hart mit dem Instagram- und Facebook-Narzissmus junger Menschen ins Gericht – wenngleich er auch viele seiner Fans mit dieser Kritik einschließen dürfte. Zum anderen ist Casper politisch wie nie zuvor. „Hört ihr die Sirenen“ strotzt vor Zitaten deutschsprachiger Sozialkritik-Bands wie Ton, Steine, Scherben oder den Goldenen Zitronen. Es ist ein Kommentar zum Mainstream-Rassismus der Flüchtlingskrise. In „Morgellon“nimmt Casper die Perspektive eines rechten Verschwörungstheoretikers ein. Hier verfällt er oft in Klischees, doch ist dieser Song durch den Gestus ein starker Beitrag zu diesem Thema.
„Lang lebe der Tod“ist ein gutes Album, ein erwachsenes. Doch lässt das Album den Hörer mit dem merkwürdigen Zweifel zurück, ob Casper den Weg weiter gehen wird.