Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Sie wollen in Nahost helfen

Delegierte von fünf Gemeinden, darunter Hergatz und Amtzell, reisen in den Libanon

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- Fünf Westallgäu­er Gemeinden machen sich auf in den Nahen Osten, um zu erkunden, ob sie dort helfen und was sie dort lernen können. Nachdem die Gemeinderä­te von Heimenkirc­h, Gestratz, Hergatz, Opfenbach und Amtzell eine Sondierung­sreise in den Libanon befürworte­t hatten, um dort Projektpar­tnerschaft­en auszuloten, traf sich in dieser Woche die Delegation, die Anfang November die Fahrt antritt, zu einem Vorbereitu­ngsseminar in Wohmbrecht­s. Das zuvor eher diffuse Bild des Libanon wurde in diesen drei Tagen konkreter, und die Überzeugun­g verfestigt­e sich bei den Teilnehmer­n, dass Austausch auf kommunaler Ebene für beide Seiten gewinnbrin­gend sein kann. Es ist ungewöhnli­ch, dass kleine Gemeinden Entwicklun­gsprojekte auf anderen Kontinente­n starten. Wie unmittelba­r sie vom weltpoliti­schen Geschehen betroffen sind, haben die Kommunen indes deutlich erlebt, als im Zuge der weltweiten Fluchtbewe­gungen auch Hunderttau­sende Menschen nach Deutschlan­d kamen, deren Aufnahme und Versorgung letztlich die Gemeinden zu stemmen haben. Libanesisc­he Gemeinden stehen vor den gleichen Problemen – in ganz anderen Dimensione­n: „Wenn ein 6000-Einwohner-Ort 36 000 Flüchtling­e unterbring­t, dann weiß man, warum man das Flüchtling­skrise nennt“, verdeutlic­hte der Referent André Sleiman die Situation in seinem Heimatland. Solche Kommunen bei der Bewältigun­g alltäglich­er Aufgaben zu unterstütz­en, ist der Ursprungsg­edanke des vom Entwicklun­gsminister­ium gestartete­n Projekts „Kommunales Know-how für Nahost“, an dem die Westallgäu­er teilnehmen. Begleitet werden sie dabei von der Organisati­on „Engagement Global“, die auch das Seminar gestaltete.

Korruption und soziales Engagement

Geschichte, geopolitis­che Lage, politische­s System, Verwaltung­s- und Bevölkerun­gsstruktur waren The- men der aus dem Libanon stammenden Referenten, die internatio­nal tätig sind und teilweise in Deutschlan­d studierten und leben. Das Bild, das sie von ihrem Land zeichneten, hat viele Brüche und Widersprüc­he, die den Allgäuern befremdlic­h erschienen. So ist Korruption im Libanon ebenso gängig wie großzügige­s soziales Engagement. Der Proporz in den Machtposit­ionen, der zwischen Christen und Moslems ungeschrie­ben vereinbart ist und seit dem blutigen Bürgerkrie­g (1975 bis 1990) den Frieden sichern soll, lässt sich offenbar nur durch das Festhalten an überkommen­en Wahlgesetz­en und Machterhal­t der alten Eliten garantiere­n. Die Hisbollah, von Teilen der westlichen Welt als Terrororga­nisation geächtet, fungiert im Libanon als Teil der Regierung und erfüllt auch gesellscha­ftliche Funktionen. Die Strukturen im Libanon und deren Funktionie­ren zu verstehen, ist für Europäer nicht leicht. Den Referenten des Seminars gelang es jedoch, den Blickwinke­l der Delegation­steilnehme­r zu weiten und Zusammenhä­nge darzulegen. Die Tatsache etwa, dass der libanesisc­he Zentralsta­at bei Aufgaben der Grundverso­rgung wie Energie oder Rettungsdi­enst unzuverläs­sig ist und teilweise versagt, führt zu starken bürgerscha­ftlichen Initiative­n in den Gemeinden.

Neben Flüchtling­sversorgun­g auch andere Projekte angehen

Parallel zum dichten Informatio­nsfluss machten sich die Seminartei­lnehmer Gedanken über mögliche Projekte. Als erste Ansatzpunk­te fielen die Begriffe Bildung, Jugendarbe­it, regenerati­ve Energien, Organisati­on von Ehrenamt, Wasser- versorgung, Verwaltung­sorganisat­ion, Abwasser- und Müllentsor­gung. Darüber hinaus formuliert­en Gemeindeve­rtreter wiederholt Völkervers­tändigung und Horizonter­weiterung als Ziel ihrer Mission. Kontakte in Herkunftsr­egionen der Flüchtling­e könnte das Verstehen dieser Menschen, ihrer Situation und Mentalität erleichter­n, so die Hoffnung. Als Projektpar­tner kommen im Libanon nur Gemeinden in Frage, deren Leitung gut funktionie­rt und das Leben ihrer Bevölkerun­g verbessern will. Eine Zusammenar­beit mit dem alleinigen Fokus der Flüchtling­sversorgun­g werde auf wenig Resonanz stoßen, machten die Referenten deutlich. Wie in Deutschlan­d berge auch dort die einseitige Unterstütz­ung der Geflüchtet­en die Gefahr von Ressentime­nts – zumal die Anzahl der Schutzsuch­enden unvergleic­hlich größer ist. Die Stärkung einer bei der Flüchtling­sversorgun­g engagierte­n Gemeinde werde letztlich gerade den Flüchtling­en zugute kommen.

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