Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schaulustiger filmte sterbenden Biker
Polizei sucht Zeugen nach Unfall in Heidenheim – Gaffer-Problem beschäftigt Politik
RAVENSBURG - Rettungskräfte im Süden klagen über eine zunehmende Belastung an Unfallorten: Schaulustige, die mit ihren Smartphones das Geschehen filmen und fotografieren – und dabei häufig andere gefährden und den Sanitätern im Weg stehen. Dabei ist es für die Polizei oft ein Problem, die Gaffer zur Verantwortung zu ziehen. So geschehen am Sonntag in Heidenheim, wo ein bislang unbekannter Mann einen verunglückten, sterbenden Motorradfahrer gefilmt hat, statt Erste Hilfe zu leisten.
Nach Angaben der Polizeidirektion Ulm hatte ein 29-Jähriger am Sonntagnachmittag nach einem verbotenen Überholmanöver auf der B 19 die Kontrolle über sein Motorrad verloren. Der Mann war gegen die Leitplanke und dann gegen eine Straßenlaterne geprallt. Er wurde dabei so schwer verletzt, dass er starb.
Dabei wurde er von einem Mann im Alter zwischen 20 und 25 Jahren gefilmt, der mit seinem Fahrrad als einer der ersten an der Unfallstelle war. Der junge Radfahrer ließ sich dabei auch nicht durch das Eintreffen der Feuerwehr und des Notarztes stören und behinderte zudem die Rettungsmaßnahmen. „Erst als ihm mit der Polizei gedroht wurde, hörte er auf und fuhr weg“, sagte am Montag ein Polizeisprecher der „Schwäbischen Zeitung“. Gegen den rücksichtslosen Gaffer wird jetzt wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt.
Der Polizei liegt bislang keine Personenbeschreibung vor. Sie bittet deshalb um Zeugenhinweise und hofft auf Erkenntnisse aus den Videoaufnahmen einer Kamera (Dashcam) in einem der Fahrzeuge am Unfallort. Wer in einem Notfall bewusst nicht hilft und die Helfer behindert, muss laut Paragraf 323c des Strafgesetzbuches mit einer Geldstrafe oder sogar mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr rechnen. Das Verhalten des Radfahrers sei „völlig unverständlich“gewesen, sagt die Polizei Ulm.
In den vergangenen Monaten hat es im Süden zahlreiche Fälle von Gaffern bei Unglücken gegeben. So erwischte die Polizei am vergangenen Dienstag mehrere Autofahrer auf der A 7 bei Neu-Ulm dabei, wie sie den Unfall mit einem Sattelschlepper im Vorbeifahren filmten. Sie müssen jeweils 60 Euro Strafe zahlen und bekommen einen Punkt in der Verkehrssünderkartei. Anfang September hatte ein LKW-Fahrer einen tödlichen Unfall im bayerischen Burgau gefilmt, statt zu helfen. Auch nach dem Brand eines Reisebusses mit 18 Toten Anfang Juli auf der A 9 bei Münchberg hatten Polizei und Feuerwehr das Verhalten von Schaulustigen mit Smartphones kritisiert, die keine Rettungsgasse bilden wollten. Anderswo musste die Polizei schon einmal die Zuschauer mit einen Diensthund abschrecken, um sich den Zugang zu Verletzten zu verschaffen.
Sozialer Druck auf Gaffer
Laut dem Psychologen Alfred Gebert aus Münster folgen Gaffer an Unfallorten oft einer Gruppendynamik: „Die Menschen wissen, dass man nicht filmen soll, aber sie lassen sich doch mitreißen, wenn andere es tun. Manche Väter halten sogar ihre Kinder hoch, damit diese den Unfall besser sehen können.“Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“plädiert Gebert dafür, den sozialen Druck auf die Gaffer zu erhöhen, um die Ausbreitung des Phänomens zu stoppen: „Man muss solche Menschen vor Gericht stellen, sie selbst filmen, fotografieren und in den Medien über sie berichten.“Auch die Aufklärung in den Schulen würde helfen.
Die Politik setzt eher auf schärfere Strafen. Er sei „bestürzt, dass sich Menschen lieber das Leid ihrer Mitmenschen ansehen, anstatt ihnen zu helfen“, sagte der „Schwäbischen Zeitung“am Montag Landesjustizminister Guido Wolf (CDU): „Wir haben deswegen zuletzt Strafrechtsverschärfungen unterstützt.“Man solle nun beobachten, ob sich die Neuregelungen in der Praxis bewähren und, falls nötig, nachsteuern.
„Es ist absolut unerträglich, wenn Schaulustige die so wichtige – ja manchmal sogar lebensentscheidende – Arbeit von Rettungskräften behindern. Sie setzen in abscheulicher Weise ihre Neugierde über das bedrohte Leben der Opfer“, erklärte auf Anfrage Bayerns Justizminister Winfried Bausback. In den seit Ende Mai geltenden „deutlicheren strafrechtlichen Sanktionen“sieht der CSU-Politiker klare „Signale, dass die Gesellschaft derartige Verhaltensweisen nicht toleriert“.