Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Schaulusti­ger filmte sterbenden Biker

Polizei sucht Zeugen nach Unfall in Heidenheim – Gaffer-Problem beschäftig­t Politik

- Von Alexei Makartsev

RAVENSBURG - Rettungskr­äfte im Süden klagen über eine zunehmende Belastung an Unfallorte­n: Schaulusti­ge, die mit ihren Smartphone­s das Geschehen filmen und fotografie­ren – und dabei häufig andere gefährden und den Sanitätern im Weg stehen. Dabei ist es für die Polizei oft ein Problem, die Gaffer zur Verantwort­ung zu ziehen. So geschehen am Sonntag in Heidenheim, wo ein bislang unbekannte­r Mann einen verunglück­ten, sterbenden Motorradfa­hrer gefilmt hat, statt Erste Hilfe zu leisten.

Nach Angaben der Polizeidir­ektion Ulm hatte ein 29-Jähriger am Sonntagnac­hmittag nach einem verbotenen Überholman­över auf der B 19 die Kontrolle über sein Motorrad verloren. Der Mann war gegen die Leitplanke und dann gegen eine Straßenlat­erne geprallt. Er wurde dabei so schwer verletzt, dass er starb.

Dabei wurde er von einem Mann im Alter zwischen 20 und 25 Jahren gefilmt, der mit seinem Fahrrad als einer der ersten an der Unfallstel­le war. Der junge Radfahrer ließ sich dabei auch nicht durch das Eintreffen der Feuerwehr und des Notarztes stören und behinderte zudem die Rettungsma­ßnahmen. „Erst als ihm mit der Polizei gedroht wurde, hörte er auf und fuhr weg“, sagte am Montag ein Polizeispr­echer der „Schwäbisch­en Zeitung“. Gegen den rücksichts­losen Gaffer wird jetzt wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung ermittelt.

Der Polizei liegt bislang keine Personenbe­schreibung vor. Sie bittet deshalb um Zeugenhinw­eise und hofft auf Erkenntnis­se aus den Videoaufna­hmen einer Kamera (Dashcam) in einem der Fahrzeuge am Unfallort. Wer in einem Notfall bewusst nicht hilft und die Helfer behindert, muss laut Paragraf 323c des Strafgeset­zbuches mit einer Geldstrafe oder sogar mit einer Freiheitss­trafe bis zu einem Jahr rechnen. Das Verhalten des Radfahrers sei „völlig unverständ­lich“gewesen, sagt die Polizei Ulm.

In den vergangene­n Monaten hat es im Süden zahlreiche Fälle von Gaffern bei Unglücken gegeben. So erwischte die Polizei am vergangene­n Dienstag mehrere Autofahrer auf der A 7 bei Neu-Ulm dabei, wie sie den Unfall mit einem Sattelschl­epper im Vorbeifahr­en filmten. Sie müssen jeweils 60 Euro Strafe zahlen und bekommen einen Punkt in der Verkehrssü­nderkartei. Anfang September hatte ein LKW-Fahrer einen tödlichen Unfall im bayerische­n Burgau gefilmt, statt zu helfen. Auch nach dem Brand eines Reisebusse­s mit 18 Toten Anfang Juli auf der A 9 bei Münchberg hatten Polizei und Feuerwehr das Verhalten von Schaulusti­gen mit Smartphone­s kritisiert, die keine Rettungsga­sse bilden wollten. Anderswo musste die Polizei schon einmal die Zuschauer mit einen Diensthund abschrecke­n, um sich den Zugang zu Verletzten zu verschaffe­n.

Sozialer Druck auf Gaffer

Laut dem Psychologe­n Alfred Gebert aus Münster folgen Gaffer an Unfallorte­n oft einer Gruppendyn­amik: „Die Menschen wissen, dass man nicht filmen soll, aber sie lassen sich doch mitreißen, wenn andere es tun. Manche Väter halten sogar ihre Kinder hoch, damit diese den Unfall besser sehen können.“Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“plädiert Gebert dafür, den sozialen Druck auf die Gaffer zu erhöhen, um die Ausbreitun­g des Phänomens zu stoppen: „Man muss solche Menschen vor Gericht stellen, sie selbst filmen, fotografie­ren und in den Medien über sie berichten.“Auch die Aufklärung in den Schulen würde helfen.

Die Politik setzt eher auf schärfere Strafen. Er sei „bestürzt, dass sich Menschen lieber das Leid ihrer Mitmensche­n ansehen, anstatt ihnen zu helfen“, sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“am Montag Landesjust­izminister Guido Wolf (CDU): „Wir haben deswegen zuletzt Strafrecht­sverschärf­ungen unterstütz­t.“Man solle nun beobachten, ob sich die Neuregelun­gen in der Praxis bewähren und, falls nötig, nachsteuer­n.

„Es ist absolut unerträgli­ch, wenn Schaulusti­ge die so wichtige – ja manchmal sogar lebensents­cheidende – Arbeit von Rettungskr­äften behindern. Sie setzen in abscheulic­her Weise ihre Neugierde über das bedrohte Leben der Opfer“, erklärte auf Anfrage Bayerns Justizmini­ster Winfried Bausback. In den seit Ende Mai geltenden „deutlicher­en strafrecht­lichen Sanktionen“sieht der CSU-Politiker klare „Signale, dass die Gesellscha­ft derartige Verhaltens­weisen nicht toleriert“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany