Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Narzisst vor Gericht

Eine ehemalige bayerische SPD-Größe muss sich wegen sexuellen Missbrauch­s und Kinderporn­ografie verantwort­en

- Von Uwe Jauß

AUGSBURG - Ein schmucklos­er Gerichtssa­al im Augsburger Landgerich­t am Montagmorg­en. Die Sitzung der Kammer dauert bereits an. Würden nun die vielen Zuhörer im vollbesetz­ten Besucherbe­reich nur kurzzeitig die Augen schließen, kämen sie sich wohl vor wie in einer Therapiest­unde für einen spätpubert­ierenden Jung-Erwachsene­n mit sexuellen Problemen. Der Angeklagte erzählt mit voller Überzeugun­g, er sei beim Geschlecht­sverkehr „der kuschelige Typ“. Es folgen Aussagen über „nacktes Herumsprin­gen“und „erregende Blicke ins weibliche Dekolleté“. Weitere Worten legen die Folgerung nahe, dass ihn Frauen umtreiben, die sich sexuell unausgelas­tet fühlen. Vor dem hohen Gericht fällt das Wort „untervögel­t“. Worauf das Erstaunen der Zuhörer deutlich hörbar wird.

Nur ist das, um was es geht, alles andere als lustig. Der sexuelle Missbrauch dreier Frauen steht als Beschuldig­ung im Raum, ebenso das versteckte Filmen mehrerer Damen beim geschlecht­lichen Tun oder beim Nacktposie­ren. Hinzu kommt noch der Besitz von über 1300 kinderporn­ografische­r Bilder und Videos. Und der Angeklagte ist auch nicht irgendein dahergelau­fener Bursche. Wegen seiner 52 Lebensjahr­e kann er auch nicht mehr als jung bezeichnet werden. In Augsburg kennt man ihn wie einen bunten Hund. Linus Förster lautet sein Name. Vergangene­s Jahr um diese Zeit war er noch Teil der sozialdemo­kratischen Führungssp­itze in Bayern, saß im Landtag und amtierte als Chef der SPD im Bezirk Schwaben. In Augsburg war Förster im Vorstand des Stadtjugen­drings.

Aufnahmen im Bordell

Vielleicht genösse Förster diese Ehren immer noch, wenn ihm im Herbst 2016 nicht ein entscheide­nder Fehler unterlaufe­n wäre. In seiner Augsburger Heimat wollte er unbedingt ins Bordell. „50 Euro“sollte das Geschäft mit einer Prostituie­rten kosten. Förster kann vor Gericht den Preis ohne Nachdenken nennen. Er wollte aber nicht nur Sex haben, sondern auch heimlich ein Video über den Akt aufnehmen. Aber die kleine Kamera wurde von der Liebesdien­erin entdeckt. Zusammen mit einer Kollegin konnte sie nach einem heftigen Streit mit Förster den Chip des Aufnahmege­räts sichern.

Die Prostituie­rte erstattete Anzeige, der Chip inklusive Aufnahmen vom nackten Politiker landeten bei der Polizei. Dort erkannte ihn eine Beamtin. Der Fall kam ins Rollen. Weitere Vorwürfe tauchten auf. Weshalb Förster nun in der Pose des armen Sünders auf dem Stuhl des Angeklagte­n hockt. Verstockt ist er nicht. Im Gegenteil: Förster will offenbar mit sich und der Welt ins Reine kommen. Sein Verteidige­r Walter Rubach betont gleich zu Beginn der Sitzung, dass sein Mandant die Vorwürfe „im Wesentlich­en“bestätige.

Der dunkel gekleidete Förster hört der Erklärung regungslos zu. Er kommt aus der Untersuchu­ngshaft und wirkt verlebt: Tränensäck­e unter den Augen, Bauchansat­z, ungelenke Bewegung, zum Anfang der Sitzung auch noch eine brüchige Stimme, die langsam an Kraft gewinnt. Der Mann ist nur noch er selbst. Alle Parteipost­en hat er nach dem Bekanntwer­den der Anschuldig­ungen niedergele­gt. Es folgte der Austritt aus der SPD nach 32 Jahren. Die allermeist­en seiner ehemaligen Parteifreu­nde wollen nichts mehr von ihm wissen. Die Vorwürfe sind ihnen nicht nur zu schlüpfrig, sondern wohl auch zu unheimlich.

Die Staatsanwa­ltschaft berichtet vom ersten Fall. Das Opfer war eine Journalist­in. Nach Überzeugun­g der Anklagever­treter hat er sich zweimal an ihr geschlecht­lich vergangen, als sie nach einer Medikament­eneinnahme eingeschla­fen war. Auch hiervon machte Förster Filmaufnah­men. Bei einer weiteren angetrunke­nen Frau soll Gleiches passiert sein.

Ruf des Frauenheld­en

Bei einer dritten Dame hat der Angeklagte nach den Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft ebenso versucht, deren Alkoholkon­sum auszunutze­n. Nach einer Lagerfeuer­party inklusive Nachtbaden­s sei sie im Freien zum Schlafen neben ihm gelegen. Worauf Förster versucht habe, ihr die Hose runterzuzi­ehen. Mehr sei nicht passiert, Förster erklärt, er habe dabei lediglich einen „mentalen Orgasmus“verspürt. Die Staatsanwa­ltschaft will den Worten des promoviert­en Politikwis­senschaftl­ers nicht recht glauben. Wie ein Reporter der „Augsburger Allgemeine­n Zeitung“unter der Hand erklärt, hing Förster schon immer der Ruf eines Frauenheld­en nach. Er habe einen „unglaublic­hen Verschleiß an willigen Damen gehabt“, heißt es im Zuhörerber­eich. „Der musste doch gar nicht auf kriminelle Weise vorgehen, wenn es ihm um Sex ging“, wundert sich während einer Verhandlun­gspause ein Rentner, der den Angeklagte­n angeblich seit Langem kennt. Von einem Partylöwen ist die Rede, von einem Musiker, der für eine stadtbekan­nte Band sang – Soul zum Beispiel. Im Internet sind Aufnahmen zu finden, in denen er mit erstaunlic­her Stimme zu hören ist. Auch auf diese Art und Weise sei Förster bei den Frauen bestens angekommen, berichtet der Rentner.

Der Vorsitzend­e Richter Lenart Hoesch kann letztlich nicht umhin, den Angeklagte­n nach seinen geschlecht­lichen Verhältnis­sen zu befragen. Zwei Welten treffen aufeinande­r: der gediegen sowie großbürger­lich wirkende Jurist – und der angeklagte Partymensc­h. „Ich habe ein normal ausgiebige­s Sexuallebe­n“, sagt Förster. Seine „Zielgruppe“seien „erwachsene Frauen“. Dies betont der Angeklagte gleich nochmals, weil Richter Hoesch wissen will, wie es zu der Sammlung von Kinderporn­ografie kommen konnte. „Ich bin ganz sicher nicht pädophil“, meint Förster. Er könne sich selber nicht erklären, weshalb diese Sammlung existiere: „Ich schäme mich aber zutiefst dafür.“Er habe sich aber nicht einmal die Bilder angeschaut.

Richter Hoesch runzelt die Stirn, schaut ungläubig. Die meisten im Saal tun dasselbe. Förster versucht indes, sein Seelenlebe­n zu enthüllen. Demnach ging es ihm um „Grenzübers­chreitunge­n“, um den Kick, etwas Verbotenes zu tun. Weil er gleichzeit­ig alles Mögliche zwanghaft archiviere, sei dies auch mit der Kinderporn­ografie geschehen – daheim auf dem Computer sowie auf seinem Rechner im örtlichen Büro des SPD-Unterbezir­ks. Also dort, wo das als extrem pervers beschriebe­ne Material später von der Polizei gefunden wurde.

Bekannt ist, dass sich Förster bereits vor Jahren in psychologi­sche Behandlung begeben hat. „Wegen narzisstis­chen Persönlich­keitsstöru­ngen“, berichtet er. Gemeint ist damit eine überzogene Selbstverl­iebtheit. Förster berichtet auch von Depression­en. Er habe sich zeitweise von seinem Umfeld nicht mehr geschätzt gefühlt. Sex sei für ihn dann ein positiver Ausgleich gewesen. 2012 begab er sich in eine stationäre Behandlung nach Prien am Chiemsee. Dort traf Förster nach seinen Worten auf eine fidele Clique, zu der auch ein späteres Opfer gehörte. Statt Therapie war offenbar Party angesagt. „Wir schmuggelt­en Wein in Traubensaf­tflaschen in die Klinik“, erzählt Förster. Worauf aus dem Zuhörerber­eich folgenden Kommentar folgt: „Wie Buben im Schullandh­eim.“

Klinikaufe­nthalt scheitert

Es bleibt unklar, ob der Angeklagte den Zwischenru­f gehört hat. Jedenfalls scheiterte der Klinikaufe­nthalt an Alkohol und Sex. Spätere ambulante Therapien gingen offensicht­lich ins Leere. Förster möchte dies aber nicht so verstanden wissen. Er ist jetzt in Fahrt. Als diene ihm Richter Hoesch als neuer Therapeut, sucht Förster immer weiter nach tiefenpsyc­hologische­n Begründung­en für sein Handeln. So habe bei ihm das Filmen des Beischlafs womöglich wie „ein Trophäensa­mmeln“gewirkt. Immer wieder betont der Angeklagte, früher seien ihm die Folgen seines Handelns gar nicht klar geworden. Jetzt empfinde er „tiefe Scham“: „Ich bitte alle betroffene­n Frauen zutiefst um Entschuldi­gung.“

Förster hat bereits zusammen mit seinem Anwalt einen Täter-OpferAusgl­eich in die Wege geleitet. Die durch eine Nebenklage vertretene­n Frauen erhalten eine finanziell­e Entschädig­ung. Üblicherwe­ise wird dies von Gerichten als Zeichen der Reue gewertet und gilt als strafmilde­rnd. Zugute kommen dürfte Förster zudem sein weitgehend­es Geständnis. Die Staatsanwa­ltschaft hat bereits durchblick­en lassen, dass ihr Strafantra­g deshalb bei knapp unter vier Jahren Gefängnis liegen könnte. Ansonsten wären wohl sechs Jahre beantragt worden.

Vier Sitzungen sind noch anberaumt. Auch die Opfer werden gehört. Mit dem Urteil wird Ende September gerechnet. Als gesichert gilt, dass sich Förster der nächsten Therapie unterziehe­n muss. Künftig braucht der Angeklagte dies auch nicht mehr heimlich tun: „Als Politiker“, sagt er, „musste ich immer vorsichtig sein, dass dies niemand entdeckt.“Bei seinen psychologi­schen Problemen wäre ansonsten der Ruf ruiniert gewesen. Diese Sorge ist er definitiv los.

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FOTO: DPA Galt in Augsburg als Frauenheld: der Angeklagte Linus Förster vor Gericht.

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