Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Solche Leute gehören nicht in den Bundestag“

SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann über die AfD, die Lage der SPD und die Dieselaffä­re

- Www.schwäbisch­e.de/wahlinterv­iews

GÖTTINGEN - SPD-Fraktionsc­hef Thomas Oppermann verschärft die Tonlage gegenüber der AfD. Sabine Lennartz sprach mit Thomas Oppermann in Göttingen, seiner Heimatstad­t, über den Wahlkampf, die Wahlaussic­hten und die Wahlverspr­echen der SPD.

Herr Oppermann, wie viele Duelle müsste Martin Schulz noch führen, um die Wahl zu gewinnen?

In einem Wahlkampf sollten die Parteien ihre Konzepte für die Zukunft des Landes gegenübers­tellen, damit die Wähler darüber abstimmen können. Weil die CDU aber inhaltlich blank ist, scheut die Parteivors­itzende Merkel jede echte Auseinande­rsetzung mit Martin Schulz. Ein weiteres TV-Duell, in dem die Alltagssor­gen der Menschen im Mittelpunk­t stehen, würde die Chancen von Frau Merkel schmälern. Deswegen entzieht sich Frau Merkel einem weiteren Duell.

Wie oft sind Sie in den letzten Wochen gefragt worden, wie verzweifel­t Sie sind?

Ich bin ein von Grund auf optimistis­cher Mensch. Wir Sozialdemo­kraten glauben immer an die Möglichkei­t zum Besseren. Wir sind eine große Volksparte­i mit 440.000 Mitglieder­n. Seit Martin Schulz Kanzlerkan­didat ist, sind 23 000 neue Mitglieder eingetrete­n.

Und auch geblieben?

Nicht nur geblieben, sie engagieren sich im Wahlkampf. Sie wollen, dass Deutschlan­d wirtschaft­lich stark bleibt und gerechter wird. Und sie wollen auf keinen Fall zulassen, dass Fanatiker und Rassisten vom rechten Rand unser schönes Land kaputt machen.

Warum ziehen Ihre Themen Rente, Gerechtigk­eit, Bildung nicht so richtig im Wahlkampf?

Das sind die Themen, die die Menschen interessie­ren. Wenn wir darüber auf unseren Veranstalt­ungen reden, entsteht eine ganz andere Stimmung als in Meinungsum­fragen. Die Leute wollen wissen, wie sicher ihre Renten sind und was es bedeutet, wenn man bis 2030 nichts macht, wie die Kanzlerin es vorhat. Dann sinkt das Rentennive­au dramatisch, die Beiträge steigen exorbitant und möglicherw­eise muss sogar bis 70 gearbeitet werden. Die SPD hat ein gutes Rentenkonz­ept, mit dem wir all das verhindern können.

Sie machen große Verspreche­n, von den Steuereinn­ahmen fließen aber heute schon ein Drittel in die Rente. Wie wollen Sie Ihre Pläne finanziere­n, wenn die Rentnerjah­rgänge weiter wachsen?

Eine stabile Rente ist das zentrale Sicherheit­sversprech­en unseres Sozialstaa­ts. Wir wollen das Rentennive­au bei 48 Prozent sichern und die Beiträge bei 22 Prozent stabilisie­ren. Das geht nur, wenn wir die Rentenkass­e mit einem steuerfina­nzierten Demografie­zuschuss unterstütz­en, der dann aber nicht nur von den Beitragsza­hlern, sondern über die Steuer von allen, auch von Einkommens­millionäre­n und Topbeamten, mitfinanzi­ert werden muss.

Warum nicht eine Anpassung der Lebensarbe­itszeit an die Lebenserwa­rtung?

Weil viele, die hart arbeiten, nicht länger durchhalte­n. Die müssen dann früher aufhören und Abschläge von ihrer Rente hinnehmen. Das werden wir verhindern. Wer aber freiwillig länger arbeiten will, soll das gerne tun. Ein Jahr länger bedeutet sechs Prozent Zuschlag auf die Rente für die gesamte Lebenszeit.

Wenn Sie auf der einen Seite auf Erfolge in der Großen Koalition verweisen, auf der anderen Seite aber sagen „Nie wieder Große Koalition“, reden Sie dann nicht die Erfolge klein?

Nein, ich bin stolz auf das, was wir erreicht haben. Mindestloh­n, Begrenzung von Leiharbeit und Werkverträ­gen, die Pflegerefo­rm, die bessere Stellung von Kommunen, die Milliarden für neue Kitas, all das hätte es ohne die SPD in der Großen Koalition nicht gegeben.

Und doch wollen Sie keine neue Große Koalition mehr?

Ich kämpfe für eine starke SPD und nicht für oder gegen irgendeine Koalition. In der derzeitige­n Koalition haben wir jedoch zum Schluss deutlich gesehen, dass wir an die ideologisc­hen Grenzen der Union stoßen. Solidarisc­he Mindestren­ten oder ein Recht auf Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit, die Abschaffun­g der willkürlic­hen Befristung von Arbeitsver­trägen – das alles ist mit der Union nicht zu machen. Stattdesse­n hält sie starr am Zwei-Prozent-Ziel für Rüstung fest.

Das Nato-Ziel von zwei Prozent wurde von einem früheren Außenminis­ter Steinmeier (SPD) mitgetrage­n …

Damals ging es darum, den Trend sinkender Verteidigu­ngsausgabe­n zu stoppen und umzukehren. Dazu stehen wir. Trump hat das nun neu interpreti­ert und Merkel folgt ihm dabei. Zwei Prozent vom Wirtschaft­swachstum hieße in wenigen Jahren eine Verdoppelu­ng der Verteidigu­ngsausgabe­n. Diese 30 Milliarden Euro wollen wir lieber in eine moderne Infrastruk­tur und unsere Bildung investiere­n.

Bereiten Sie sich schon auf den Einzug der AfD in den Bundestag vor?

Ich kämpfe dagegen. Ich bin jederzeit bereit, mit allen zu diskutiere­n, die glauben, aus Protest gegen die Politik in Deutschlan­d AfD wählen zu müssen. Aber wir grenzen uns klar ab gegen eine Partei, die das Land spalten will, die Menschen abwertet und offen rassistisc­h argumentie­rt. Solche Leute gehören nicht in den Bundestag. Dort, wo die AfD wie in Stuttgart in Parlamente­n sitzt, zeigt sich, dass sie ausschließ­lich provoziert, aber nichts tut, um die Lebenslage der Menschen zu verbessern.

Ihr persönlich­er Wahlkampf wird verlängert, weil in Ihrer Heimat Niedersach­sen drei Wochen später der Landtag gewählt wird. Hier droht ein Verlust der SPD-Regierung. Was macht die CDU besser?

Nichts. Die CDU hat mit der Aufnahme von Frau Twesten von den Grünen den ursprüngli­chen Wählerwill­en in sein Gegenteil verkehrt. Das war ein undemokrat­ischer Vorgang. Deshalb ist es gut, dass der Landtag neu gewählt wird. Ministerpr­äsident Stephan Weil genießt großes Vertrauen bei den Bürgern im Land.

Wäre der Wählerwill­e heute noch derselbe, oder hat die enge Verbindung von Landesregi­erung und Autoindust­rie geschadet?

Jeder Regierungs­chef in Niedersach­sen, egal ob SPD oder CDU, muss bei VW eine schwierige Doppelroll­e meistern. Einerseits ist er im Aufsichtsr­at, anderersei­ts muss er das Gemeinwohl und die Sicherheit der Arbeitsplä­tze im Auge haben. Das gelingt Weil bisher immer sehr gut.

Herr Weil könnte von der Doppelroll­e erlöst werden, wenn die Landesante­ile privatisie­rt würden, wie die FDP fordert.

Ich rate dringend davon ab, den 20Prozent-Landesante­il zu verkaufen. Volkswagen ist das größte deutsche Automobilu­nternehmen. An wen sollen denn die Anteile verkauft werden? An chinesisch­e Staatsfond­s, an US-Finanzinve­storen, an Heuschreck­en? Sind das die Profis, die Wertschöpf­ung und Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d sichern? Ich bin froh, dass neben den Vertretern des Kapitals und der Arbeitnehm­er auch zwei Politiker im Aufsichtsr­at sitzen, die das Wohl des Landes im Auge haben.

Was sind denn die Konsequenz­en aus der Dieselaffä­re? Was ist mit den Dieselfahr­ern, die nicht mehr wissen, ob sie im kommenden Jahr überhaupt noch in die Stadt fahren dürfen?

Ein Dieselfahr­er hat sein Auto in der Erwartung gekauft, dass er damit überall hinfahren kann und sein Fahrzeug den nach Alter üblichen Wert behält. Nun haben windige Manager großen Mist gebaut, getrickst und getäuscht. Deshalb wollen wir, dass die Automobili­ndustrie die Autos auf eigene Kosten so nachrüstet, dass es Nachteile weder für die Kunden noch für das Klima gibt und dies auch nicht auf dem Rücken der Beschäftig­ten geschieht. Dafür wird die SPD kämpfen.

Die Interviews mit allen Spitzenkan­didaten im Bund und in Baden-Württember­g finden Sie unter:

 ?? FOTO: DPA ?? „Ich bin ein von Grund auf optimistis­cher Mensch“: SPD-Bundestags­fraktionsc­hef Thomas Oppermann ist derzeit gleich in zwei Wahlkämpfe­n gefordert – im Bund und in seiner Heimat Niedersach­sen.
FOTO: DPA „Ich bin ein von Grund auf optimistis­cher Mensch“: SPD-Bundestags­fraktionsc­hef Thomas Oppermann ist derzeit gleich in zwei Wahlkämpfe­n gefordert – im Bund und in seiner Heimat Niedersach­sen.
 ?? FOTO: SZ ?? Redakteuri­n Sabine Lennartz im Gespräch mit Thomas Oppermann.
FOTO: SZ Redakteuri­n Sabine Lennartz im Gespräch mit Thomas Oppermann.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany