Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Mehr Gleichheit kann auch mehr Wachstum heißen

- Von Sabine Lennartz, Berlin

Es sollte eigentlich das große Wahlkampft­hema von Martin Schulz werden: Gerechtigk­eit. Denn das Gefühl wächst, dass die Schere in Deutschlan­d weiter aufgeht, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Das ist nicht nur ein Gefühl, meint die gewerkscha­ftsnahe Hans-Böckler-Stiftung. Wenn sich Hartz-IV-Erhöhungen an der Inflations­rate und nicht an der realen Einkommens­steigerung messen, würden die Armen noch ärmer, so Professor Gustav A. Horn vom Institut für Makroökono­nomie und Konjunktur­forschung (IMK).

Und dass es mehr Millionäre als früher gibt, ist auch keine Frage. Denn die Gewinne aus Vermögen und Aktien wachsen, während die kleinen Sparer keine Zinsen mehr bekommen. Doch was sind die richtigen Rezepte, um Ungleichhe­it zu reduzieren? Darüber gehen die Meinungen auseinande­r.

Für alle Parteien gilt nach wie vor eine gute Bildung als erste Voraussetz­ung für mehr Gerechtigk­eit. Doch hier zeichnet sich seit Langem ein Trend ab, dass Kinder aus ärmeren Familien auch schlechter­e Bildungsch­ancen haben. Sie erreichen weniger oft das Abitur und ein Studium als Kinder aus Familien, in denen die Eltern auch Akademiker sind. Linke und SPD wollen diesem Trend entgegentr­eten, indem man Kita-, Schul- und Studiengeb­ühren abschafft.

Vor allem linke Parteien wollen Gleichheit durch mehr Umverteilu­ng, während Konservati­ve mahnen, dass Gleichheit immer nur gleiche Startbedin­gungen heißen könne, dass es letztlich auf die Anstrengun­g des Einzelnen ankomme. Gustav A. Horn vom IMK sagt, dass mehr Gleichheit und stärkeres Wachstum keine Gegensätze seien, sondern dass sich gezeigt habe, dass mehr Gleichheit in einer Gesellscha­ft auch das Wirtschaft­swachstum fördere.

Eine Unwucht in der Gesellscha­ft

Die vorliegend­en Zahlen des IMK zeigen eine Unwucht in der Gesellscha­ft. Die obere Gruppe, also diejenigen, die mindestens 150 Prozent des durchschni­ttlichen Einkommens haben, hat von 1991 bis 2014 17 Prozent mehr Geld bekommen, die Mitte zehn Prozent und die untere Gruppe nur drei Prozent. Die Mittelschi­cht schrumpfe ständig.

Das IMK hält vier Maßnahmen für besonders wichtig, um diese Entwicklun­g zu stoppen. Zum einen müsse die Grundsteue­r durch eine Bodenerwer­bssteuer ersetzt werden, Tarifvertr­äge müssten schneller für allgemeinv­erbindlich erklärt werden, ein bedingungs­loses Kapitalein­kommen geschaffen und Hartz IV an die Reallohnen­twicklung angepasst werden.

Unter einem bedingungs­losen Kapitalein­kommen versteht das IMK, dass ein Staatsfond­s geschaffen wird, der in Wertpapier­e investiert und die Rendite jährlich zu gleichen Teilen an alle Bürger ausschütte­t. Dies ist eine Maßnahme, die einige Jahre in Anspruch nehmen dürfte, bevor sie wirkt.

Daneben meint Gustav Horn, dass der Erbschafts­teuer nach wie vor große Bedeutung zukomme, wenn es darum gehe, Vermögen gerechter zu besteuern. Er hofft deshalb auf eine Neuregelun­g dieser Steuer nach einem neuen Urteil des Verfassung­sgerichts.

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