Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Angriff des schwarzen Mähdreschers
Agco nimmt mit größtem Projekt der Firmengeschichte Claas und John Deere ins Visier
BREGANZE - Er ist schwarz, er ist riesig und er hat „Augen und Ohren“: Mit einer völlig neu entwickelten Mähdreschergeneration bläst der amerikanische Landmaschinenkonzern Agco mit seinen Marken Fendt, Massey-Ferguson und Challenger zum Angriff auf Claas, John Deere und CNH (Case, New Holland), die in diesem Bereich bisher führend sind.
Hergestellt wird die bis zu 647 PS starke Modellserie „Ideal“der Klassen 7, 8 und 9 im ErntemaschinenKompetenzzentrum des Konzerns im italienischen Breganze bei Vicenza (Venetien). Sechs Jahre dauerte die Entwicklung der völlig neuen Maschinen. 200 Millionen Dollar wurden investiert. Mit den damit verbundenen Ausgaben waren es laut Eric Hansotia, bei Agco verantwortlich für Erntemaschinen, sogar 320 Millionen Dollar.
„Das ist das bei Weitem größte Projekt in der Geschichte von Agco. Mit dem neuen Ideal bieten wir den aktuell besten Mähdrescher der Welt an. Mit der Maschine sind wir auch in diesem Segment auf Augenhöhe mit unseren Wettbewerbern“, verkündete der deutsche Konzernchef Martin Richenhagen bei der Vorstellung selbstbewusst. Angepeilt wird ein Absatzvolumen von 2000 bis 2500 Mähdreschern, davon etwa tausend in Europa und tausend in Amerika. Wieviele Mähdrescher verkauft werden müssen, damit sich das Projekt rechnet, wollte Hansotia auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“nicht sagen.
Mit Massey-Ferguson, Valtra sowie Fendt im Top-Segment spielt Agco, nach John Deere und CNH weltweit drittgrößter Landmaschinenkonzern, im Traktorenbereich eine starke Rolle. Allein Fendt peilt für 2017 eine Absatzsteigerung um etwa zehn Prozent auf 15 000 Einheiten an. Jede Marke entwickelt und produziert die Schlepper eigenständig. Fendt fertigt in Marktoberdorf Traktoren und in Asbach-Bäumenheim bei Donauwörth Kabinen und Hauben.
Diesel noch lange unverzichtbar
Kürzlich stellte Fendt in Marktoberdorf den ersten Elektrotraktor für den Einsatz auch in Städten, etwa als Räumfahrzeug, vor. Generell wird jedoch nach Einschätzung von FendtChef Peter-Josef Paffen der Dieselmotor im Agrarbereich noch Jahrzehnte unverzichtbar bleiben.
Die neue Mähdreschergeneration des Konzerns trägt zwar auch die Namen der unterschiedlichen Konzernmarken auf ihrem Blechkleid – doch darunter ist überall das Gleiche. Es gibt eine gemeinsame Plattform für alle Mähdrescher.
Das ist zunächst einmal ein Risiko, denn warum sollte ein Käufer mehr zahlen, nur weil Fendt draufsteht, wenn er beim Erwerb eines Massey-Ferguson das gleiche Produkt erhält? „Wir unterscheiden uns bei den Optionen, im Service und im Vertrieb“, heißt es bei Fendt. Außerdem plane man darüber hinaus weitere Optionen.
Die Plattformstrategie spart Kosten: Entwicklung und Produktion sind durch größere Stückzahlen günstiger, die Komplexität reduziert sich, weil nicht jede Marke eigene Lösungen entwickelt und man sich auf die Kernkompetenzen konzentrieren kann.
„Augen und Ohren“, also Sensoren, messen Kornverluste, Füllstände, Feuchtigkeit des Getreides und vieles mehr in Echtzeit. Joystick und Tablet im rundum verglasten Führerhaus, niedrige Verbräuche, der nach Konzernangaben mit einem Fassungsvermögen (je nach Version) von 12 500 bis 17 100 Litern größte fest verbaute Korntank, ein über App gesteuertes sekundenschnelles automatisches Kupplungssystem, Telematik und mit 3,3 Metern Breite straßentaugliche Maße hebt Agco besonders hervor.
Autonomer Betrieb möglich
Natürlich könnte das Riesending auch autonom fahren, wenn es die Gesetzeslage erlaubte. Im Rahmen des Digitalisierungsprojekts bei Fendt wird in Marktoberdorf ein Monitoring Team eingerichtet, das live Fahrzeugdaten von Fendt-Maschinen im Einsatz erhält – aber nur, wenn der Kunde das will.
Aus den Daten können Informationen über den technischen Zustand und die Nutzung gewonnen werden, die Informationen zur Optimierung des Einsatzes oder zur Vermeidung von Ausfallzeiten geben. Für das gesamte Projekt unter Berücksichtigung der Digitalisierung sollen in den nächsten fünf Jahren 50 Millionen Dollar investiert werden.
Claas, das im schwäbischen Bad Saulgau unter anderem Maschinen für die Futterernte produziert, CNH und John Deere, sind gewarnt. Richenhagen, der seit 2004 an der Agco-Spitze steht, will auf Platz zwei in der Branche. Lange Zeit bemühte er sich, den deutschen Konkurrenten Claas, für den er selbst einmal gearbeitet hat, zu übernehmen. Doch das Familienunternehmen aus dem westfälischen Harsewinkel wollte nicht. Auch deshalb entwickelte Agco nun eine eigene Mähdrescherserie.
Ob die Rechnung aufgeht, wird sich zeigen. Die Branche befindet sich seit drei, vier Jahren in einer ihrer regelmäßig auftretenden Krisen, die einem Schweinezyklus ähneln. Jahrelang war es bergauf gegangen. Agco kam 2013 schon einmal auf einen Umsatz von mehr als zehn Milliarden Dollar. 2016 waren es nur noch 7,4 Milliarden Dollar. Der Gewinn ging gegenüber 2015 von 264 auf 160 Millionen Dollar zurück. Trotz niedriger Weizenpreise sieht Agco jedoch Zeichen der Erholung – vor allem in Europa und in Nordeuropa. Für 2017 wird ein Umsatz auf Vorjahreshöhe erwartet. Während der Krise tätigte der US-Konzern einige Übernahmen, baute Fabriken in China und stärkte den Vertrieb im südlichen Afrika.
Richenhagen, der in diesem Jahr 65 geworden ist, hat noch einen Vertrag bis 2020. Der gelernte Lehrer für Religion und Französisch will bis dahin den Marktanteil in den USA verdoppeln, Marktführer im „Precision Farming“– säen, düngen und ernten mit digitalen Mitteln – werden, und einen Nachfolger aussuchen.
Sorgen bereitet dem bei Atlanta lebenden Kölner, der auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, der wachsende Protektionismus, gerade auch in den USA. „Wie das unser Geschäft kaputt machen kann, erleben wir gerade in der Türkei“, sagt er. Dort zwangen Sonderzölle für Importprodukte Agco zu einer Erhöhung des lokalen Fertigungsanteils.