Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Pulverkammer Deutschlands
In Geesthacht an der Elbe begann Alfred Nobel vor 150 Jahren die industrielle Produktion von Dynamit
GEESTHACHT (dpa) - Die Nobelpreise werden alljährlich in Schweden vergeben, doch der Grundstock für das Stiftungskapital wurde vor 150 Jahren in der Nähe von Hamburg geschaffen. Über schwedische Kaufleute bekam Alfred Nobel (18331896) ein Grundstück bei Geesthacht an der Elbe vermittelt, das der Chemiker 1865 für 14 000 Taler kaufte, wie der Hamburger Historiker Eckardt Opitz berichtet. Dort errichtete der Schwede eine Fabrik für Nitroglycerin, das wenige Jahre zuvor vom Italiener Ascanio Sobrero erfunden worden war. Es begann eine rasante industrielle Entwicklung, die Geesthacht zur „Pulverkammer Deutschlands“machte, wie Jochen Meder vom Förderkreis Industriemuseum Geesthacht sagt.
Doch die erste Fabrik flog schon kurz nach der Errichtung 1866 in die Luft. Die verheerende Explosion brachte dem schwedischen Unternehmer, der sich zur Zeit des Unglücks in New York aufhielt, erheblichen Ärger ein. Den Behörden im Herzogtum Lauenburg versprach er, nach dem Wiederaufbau einen sehr viel sichereren Sprengstoff zu produzieren. In ganz Europa sei damals nach einem solchen Sprengmittel gesucht worden, sagt Ulrike Neidhöfer, die den Förderkreis Industriemuseum Geesthacht leitet. Vor allem beim Bau von Eisenbahnen und Tunneln sowie im Bergbau, wo sich das seit dem Mittelalter gebräuchliche Schwarzpulver als zu schwach erwies, sei der Bedarf groß gewesen.
Nobel, dessen Vater schon Rüstungsfabrikant im russischen Sankt Petersburg gewesen war, hatte das erkannt. Nach vielen Experimenten kam er auf die erfolgreiche Mischung aus Nitroglycerin und Kieselgur. Das sehr poröse Sediment aus Kieselalgen wurde weiter südlich bei Uelzen abgebaut. Es verminderte die Sprengkraft des Nitroglycerins nur um ein Viertel, machte es aber unempfindlich für Erschütterungen. Der Erfinder nannte den neuen Sprengstoff nach dem altgriechischen Wort dynamis (Kraft) „Dynamit oder Nobels Sicherheitspulver“.
Patentanmeldung im Jahr 1867
Nobel ließ sich die Erfindung im Lauf des Jahres 1867 in vielen Ländern patentieren, nach Angaben seines Biografen Erik Bergengren am 7. Mai in England und am 19. September in Schweden. Im selben Jahr wurden nach Auskunft von Opitz bereits elf Tonnen Dynamit in der Fabrik bei Geesthacht produziert. 1876 waren es bereits 5000 Tonnen.
Innerhalb von acht Jahren habe Nobel weltweit 15 Dynamitfabriken gegründet, sagt Neidhöfer. Doch Krümmel blieb die wichtigste. „Hier hat er den Grundstein für sein Vermögen gelegt“, sagt die Museumspädagogin. Der Schwede sei geschäftstüchtig gewesen. Für sein Produkt habe er mit Probesprengungen in Bergwerken in Clausthal (Harz) und in der Zeche Dorstfeld (Dortmund) geworben.
Bereits 1865 hatte der Erfinder in Hamburg die Gesellschaft Alfred Nobel & Co gegründet. Das später in Dynamit AG umbenannte Unternehmen wurde zu einem wichtigen Rüstungsunternehmen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs habe die Anlage aus mehr als 700 Gebäuden bestanden, sagt Meder. Doch davon ist heute fast nichts mehr zu sehen. Die Briten ließen nach 1945 fast alle Gebäude sprengen. In den 70er-Jahren begann auf dem Gelände der Bau des Kernkraftwerks Krümmel, das 2011 stillgelegt wurde.
Die Stadt Geesthacht verdankt Alfred Nobel ihre industrielle Entwicklung, aber auch ein zwiespältiges Erbe. Noch in den 90er-Jahren sei er im städtischen Museum als „ArbeiterAusbeuter“und „Kriegsgewinnler“präsentiert worden, sagt Neidhöfer. Nobel habe sich aber der ethischen Diskussion gestellt. Mit der jungen Pazifistin Bertha von Suttner stand der Dynamit-Erfinder in einem regen Briefwechsel. „Ich bin für den Frieden, aber Abschreckung ist das Beste“– diese Meinung habe Nobel vertreten.
Nobel habe sich auch Sorgen um seinen Nachruf gemacht, sagt die schwedische Biografin Ingrid Carlberg. Nach dem Tod eines Bruders von ihm schrieb die französische Zeitung „Le Figaro“am 15. April 1888 irrtümlich mit Bezug auf Alfred Nobel: „Der Händler des Todes ist gestorben.“Diese Darstellung habe ihn schockiert.
Die Entscheidung, einen Großteil seines Vermögens – gut 31 Millionen Kronen – in die Nobelpreisstiftung zu stecken, sei jedoch nicht allein vom schlechten Gewissen getrieben. Er habe an die Verteidigung des Friedens durch militärische Stärke geglaubt. „Sein Leben lang hat er über Waffen nachgedacht“, sagt Carlberg. Bis zuletzt habe eine Kanone für Testzwecke in seinem Garten in San Remo gestanden.