Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Wellen, die die Reformation im Allgäu schlug
Geschichte vom „Wunderknaben von Christazhofen“als Nebenprodukt der Musikforschung
ISNY - Heimatforscher und Musiker Berthold Büchele hat zum Jubiläum „500 Jahre Reformation“in Isnyer Archiven – und nicht nur dort – nach weltlicher und geistlicher Musik gesucht, die in der Stadt komponiert, angekauft oder aufgeführt worden ist. Seine Arbeit mündete im Mai zum einen in ein Konzert, bei dem erstmals überhaupt Musiker aus beiden Konfessionen gemeinsam auftraten (wir berichteten).
Zum Zweiten entstand eine kleine Abhandlung, in der Büchele die „Geschichte der evangelischen Kirchenmusik in Isny“erzählt. Als Programmheft konzipiert, ist das Heft für Musik- und Geschichtsinteressierte das erstmals vorliegende Nachschlagewerk zum musikalischen Geschehen in der ehemals freien Reichsstadt Isny seit dem 16. Jahrhundert. „Von der Reformation zur musikalischen Ökumene“, so der Titel, nennt der Autor knapp und wissenschaftlich präzise die Protagonisten der musikalischen Ausbildung und des kompositorischen Schöpfergeistes in fünf Jahrhunderten. Die Broschüre ist nach wie vor in der Buchhandlung Mayer in der Wassertorstraße erhältlich.
Drittes Resultat der Forschungen ist ein kleiner Aufsatz, dessen Wortlaut die SZ hier erstmals veröffentlicht und mit dem Büchele an die „Wellen“der Reformation erinnert, wie sie auch im württembergischen Allgäu anbrandeten.
Die im Frühjahr 2017 erschienene Isnyer Klosterchronik beschreibe „die aufgeheizte Stimmung in Isny und den gewalttätigen Bildersturm, den die protestantischen Isnyer in den katholischen Kirchen anrichteten“, schreibt Büchele und erinnert „an eine besondere Begebenheit, die im Zusammenhang mit der Reformation im Allgäu steht: Ende 1532 bis ins Frühjahr 1533 weilte der Ex-Mönch Ambrosius Blarer in Isny, der von einem ,Wunderknaben’ aus Christazhofen berichtete, was dann in einem Flugblatt veröffentlicht wurde mit dem Titel: ,Ain new (neue) Geschicht, wie ain Kneblin bey Issne umb zwelff Jahr wunderbarliche Gsicht gehabt und von mancherley Träuung der Straff Gottes darinn geret (geredet) hat.’“Dieser Bauernbub sei nachts aufgewacht „und fing unter starken Schmerzen und Schweißausbrüchen an, von seinem göttlichen Auftrag zu reden, das Wort Gottes bis zum Tod zu verkünden, und beschuldigte die Priester, dass sie um ein paar Kreuzer ,Handel mit Christus’ (Ablasshandel) trieben, verfluchte die Hand, die Heiligenbilder fertigte, segnete die, die sie zerstörten, eiferte gegen Pracht, Hochmut und Wucher; der Tag des Herrn sei vor der Tür, die Axt an den Baum gelegt, wenn sich die Kirche nicht bessere. Das Zeichen des Untergangs sei ein dreifarbiger, Krieg, Pestilenz und allerlei Elend bedeutender Komet.“
Die Geschichte erregte laut Büchele, „zumal in der damals aufgeregten Zeit, viel Aufsehen. Blarer sah darin höhere Einflüsse; und weil der Knabe in manchem an die Sekte der Wiedertäufer erinnerte, glaubte er, dass er von einem lügnerischen Geist besessen war, ,von einem gar schwarzen Teuffel, wenn gleich in weißem Mentelin’.“
Blarer habe auch einem befreundeten Arzt von dem Buben berichtet, sei sogar einmal selbst bei ihm gewesen und betonte, dass die Veröffentlichung des Flugblatts ohne sein Wissen erfolgt und es gefährlich sei, „solche Dinge unter das ohnehin nur allzu abergläubische Volk auszustreuen“.
Diese Geschichte war laut Büchele noch am Ende des 16. Jahrhunderts nicht vergessen, als sich ein weiterer Wissenschaftler dazu äußerte: „Ein Ulmer Gelehrter tat dies damals alles ab und meinte, solche Erscheinungen seien auf krankhafte Überreiztheit, Melancholie und Illusionen zurückzuführen. Der Junge sei aufgeheizt worden von evangelischen Predigern in Isny, die er vielleicht nicht einmal selbst gehört, sondern von denen er über Dritte erfahren habe.“
Der Bericht zeige, schreibt Büchele, „wie erregt damals die Atmosphäre im Allgäu war und wie es selbst auf den Dörfern rumorte. Hinzu kam, dass sich die Bauern durch Aussagen Luthers zum Aufstand ermutigt fühlten. Der Reformator übte derbe Kritik an den Fürsten und Herren, vor allem an den ,blinden Bischöfen und tollen Pfaffen und Mönchen’, die ,ihr nicht mehr tut, als dass ihr schindet und schatzt, eure Pracht und Hochmut zu führen, bis der arme gemeine Mann es nicht länger ertragen kann und mag’.“
Dadurch hätten sich die Bauern laut Büchele gestärkt gefühlt in ihrer Unzufriedenheit, die schließlich 1525 zum Bauernkrieg führte: „Umso befremdlicher war die Kehrtwende von Luther, als er sah, welche Gräuel der Krieg mit sich brachte. Die Bauern seien ,Rottengeiste des Teufels’ und hätten schwere Sünden auf sich geladen, seien in Ungehorsam gegen ihre Herren und wider Gottes Ordnung gefallen. ,Die Obrigkeit hat ein gutes Gewissen und eine gerechte Sache. Derjenige, der auf der Seite der Obrigkeit erschlagen wird, ist ein rechter Märtyrer vor Gott. Darum, liebe Herren, steche, schlage, würge, wer da kann’.“
Heimatforscher Berthold Büchele hat im Vorfeld des Reformationsjahres viel in Allgäuer Archiven zur Musik aus der Reformationszeit geforscht. Unter anderem organisierte er ein Konzert mit in Isny komponierter Musik, nicht nur kirchlichen Charakters, und gestaltete mit seinem Ensemble musikalisch die Vorstellung der Isnyer Klosterchronik in der St. Georgskirche in Isny. Die Geschichte vom „Wunderknaben“und deren Folgen sind ein „Nebenprodukt“seiner Recherchen.