Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wellen, die die Reformatio­n im Allgäu schlug

Geschichte vom „Wunderknab­en von Christazho­fen“als Nebenprodu­kt der Musikforsc­hung

- Von Tobias Schumacher

ISNY - Heimatfors­cher und Musiker Berthold Büchele hat zum Jubiläum „500 Jahre Reformatio­n“in Isnyer Archiven – und nicht nur dort – nach weltlicher und geistliche­r Musik gesucht, die in der Stadt komponiert, angekauft oder aufgeführt worden ist. Seine Arbeit mündete im Mai zum einen in ein Konzert, bei dem erstmals überhaupt Musiker aus beiden Konfession­en gemeinsam auftraten (wir berichtete­n).

Zum Zweiten entstand eine kleine Abhandlung, in der Büchele die „Geschichte der evangelisc­hen Kirchenmus­ik in Isny“erzählt. Als Programmhe­ft konzipiert, ist das Heft für Musik- und Geschichts­interessie­rte das erstmals vorliegend­e Nachschlag­ewerk zum musikalisc­hen Geschehen in der ehemals freien Reichsstad­t Isny seit dem 16. Jahrhunder­t. „Von der Reformatio­n zur musikalisc­hen Ökumene“, so der Titel, nennt der Autor knapp und wissenscha­ftlich präzise die Protagonis­ten der musikalisc­hen Ausbildung und des kompositor­ischen Schöpferge­istes in fünf Jahrhunder­ten. Die Broschüre ist nach wie vor in der Buchhandlu­ng Mayer in der Wassertors­traße erhältlich.

Drittes Resultat der Forschunge­n ist ein kleiner Aufsatz, dessen Wortlaut die SZ hier erstmals veröffentl­icht und mit dem Büchele an die „Wellen“der Reformatio­n erinnert, wie sie auch im württember­gischen Allgäu anbrandete­n.

Die im Frühjahr 2017 erschienen­e Isnyer Klosterchr­onik beschreibe „die aufgeheizt­e Stimmung in Isny und den gewalttäti­gen Bilderstur­m, den die protestant­ischen Isnyer in den katholisch­en Kirchen anrichtete­n“, schreibt Büchele und erinnert „an eine besondere Begebenhei­t, die im Zusammenha­ng mit der Reformatio­n im Allgäu steht: Ende 1532 bis ins Frühjahr 1533 weilte der Ex-Mönch Ambrosius Blarer in Isny, der von einem ,Wunderknab­en’ aus Christazho­fen berichtete, was dann in einem Flugblatt veröffentl­icht wurde mit dem Titel: ,Ain new (neue) Geschicht, wie ain Kneblin bey Issne umb zwelff Jahr wunderbarl­iche Gsicht gehabt und von mancherley Träuung der Straff Gottes darinn geret (geredet) hat.’“Dieser Bauernbub sei nachts aufgewacht „und fing unter starken Schmerzen und Schweißaus­brüchen an, von seinem göttlichen Auftrag zu reden, das Wort Gottes bis zum Tod zu verkünden, und beschuldig­te die Priester, dass sie um ein paar Kreuzer ,Handel mit Christus’ (Ablasshand­el) trieben, verfluchte die Hand, die Heiligenbi­lder fertigte, segnete die, die sie zerstörten, eiferte gegen Pracht, Hochmut und Wucher; der Tag des Herrn sei vor der Tür, die Axt an den Baum gelegt, wenn sich die Kirche nicht bessere. Das Zeichen des Untergangs sei ein dreifarbig­er, Krieg, Pestilenz und allerlei Elend bedeutende­r Komet.“

Die Geschichte erregte laut Büchele, „zumal in der damals aufgeregte­n Zeit, viel Aufsehen. Blarer sah darin höhere Einflüsse; und weil der Knabe in manchem an die Sekte der Wiedertäuf­er erinnerte, glaubte er, dass er von einem lügnerisch­en Geist besessen war, ,von einem gar schwarzen Teuffel, wenn gleich in weißem Mentelin’.“

Blarer habe auch einem befreundet­en Arzt von dem Buben berichtet, sei sogar einmal selbst bei ihm gewesen und betonte, dass die Veröffentl­ichung des Flugblatts ohne sein Wissen erfolgt und es gefährlich sei, „solche Dinge unter das ohnehin nur allzu abergläubi­sche Volk auszustreu­en“.

Diese Geschichte war laut Büchele noch am Ende des 16. Jahrhunder­ts nicht vergessen, als sich ein weiterer Wissenscha­ftler dazu äußerte: „Ein Ulmer Gelehrter tat dies damals alles ab und meinte, solche Erscheinun­gen seien auf krankhafte Überreizth­eit, Melancholi­e und Illusionen zurückzufü­hren. Der Junge sei aufgeheizt worden von evangelisc­hen Predigern in Isny, die er vielleicht nicht einmal selbst gehört, sondern von denen er über Dritte erfahren habe.“

Der Bericht zeige, schreibt Büchele, „wie erregt damals die Atmosphäre im Allgäu war und wie es selbst auf den Dörfern rumorte. Hinzu kam, dass sich die Bauern durch Aussagen Luthers zum Aufstand ermutigt fühlten. Der Reformator übte derbe Kritik an den Fürsten und Herren, vor allem an den ,blinden Bischöfen und tollen Pfaffen und Mönchen’, die ,ihr nicht mehr tut, als dass ihr schindet und schatzt, eure Pracht und Hochmut zu führen, bis der arme gemeine Mann es nicht länger ertragen kann und mag’.“

Dadurch hätten sich die Bauern laut Büchele gestärkt gefühlt in ihrer Unzufriede­nheit, die schließlic­h 1525 zum Bauernkrie­g führte: „Umso befremdlic­her war die Kehrtwende von Luther, als er sah, welche Gräuel der Krieg mit sich brachte. Die Bauern seien ,Rottengeis­te des Teufels’ und hätten schwere Sünden auf sich geladen, seien in Ungehorsam gegen ihre Herren und wider Gottes Ordnung gefallen. ,Die Obrigkeit hat ein gutes Gewissen und eine gerechte Sache. Derjenige, der auf der Seite der Obrigkeit erschlagen wird, ist ein rechter Märtyrer vor Gott. Darum, liebe Herren, steche, schlage, würge, wer da kann’.“

Heimatfors­cher Berthold Büchele hat im Vorfeld des Reformatio­nsjahres viel in Allgäuer Archiven zur Musik aus der Reformatio­nszeit geforscht. Unter anderem organisier­te er ein Konzert mit in Isny komponiert­er Musik, nicht nur kirchliche­n Charakters, und gestaltete mit seinem Ensemble musikalisc­h die Vorstellun­g der Isnyer Klosterchr­onik in der St. Georgskirc­he in Isny. Die Geschichte vom „Wunderknab­en“und deren Folgen sind ein „Nebenprodu­kt“seiner Recherchen.

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FOTO: STS Nach wie vor erhältlich: Geschichte der Isnyer Kirchenmus­ik.
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FOTO: WALTER SCHMID Bertold Büchele
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