Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Münchner Verhältnisse“in Kempten
Wer in der Allgäustadt ein neues Zuhause sucht, braucht einen langen Atem – Und wer seine Räume vermietet, erlebt einen unglaublichen Ansturm
KEMPTEN/OBERALLGÄU (be) - „Unglaublich“. Was Jil Karner erlebt hat, als sie Nachmieter für ihr kleines Appartement bei der Basilika in Kempten suchte, kann sie nicht fassen. Etwa 1000 Klicks in zwei Tagen auf eine Anzeige im Internet. Väter aus Stuttgart, die sofort anreisen wollten, um die Zimmer für den Sohn zu bekommen. Interessenten, die ihre Zahlungsfähigkeit durch alle möglichen Unterlagen nachweisen – die Kemptenerin war überrascht, dass so viele Leute so viel investieren, um eine Wohnung zu bekommen. Doch wer eine sucht, der weiß, wie schwierig das ist. „Fast schon Münchner Verhältnisse“sind das in Kempten nach Ansicht von Wohnungssuchenden. „Teilweise ist das schon so“, heißt es dazu vom Mieterverein. Als „angespannt“wird der Markt von Wohnungsbaugesellschaften bezeichnet. 300 bei einer Wohnungsbesichtigung in Durach, auch sonst lange Schlangen, Vermieter, die vom Gehalt bis zur Freizeitgestaltung alles wissen wollen. Leute, die in Anzug und Krawatte am Wochenende mit Bewerbungsportfolios zu Besichtigungen kommen – was eine Kemptenerin bei der Wohnungssuche alles erlebt hat, sei frustrierend. Eine Drei-Zimmer-Wohnung wollte sie mieten, sei bei den örtlichen Wohnungsbaugesellschaften vorstellig geworden, habe sich auf dem freien Markt umgeschaut. Alle 15 Minuten sei sie in den sozialen Netzwerken aktiv gewesen, habe zudem alle Nachbarn und Freunde eingespannt. Natürlich wollte sie nicht jede Wohnung, sondern hatte gewisse Vorstellungen wie Lage, Preis, Balkon oder Terrasse. Letztendlich habe sie auf eine seit jeher bewährte Art und Weise, über eine Anzeige in der Zeitung, Glück gehabt.
Ob das auch den vielen anderen so geht, die auf Suche sind? Die fast mit Hilferufen wie „Suche dringend eine 2-Zimmer-Wohnung“inserieren? Ingrid Vornberger vom Mieterverein weiß von zahlreichen Mietgesuchen. Und von teils übersteigerten Mieten – hauptsächlich von Vermietern, die nicht in Kempten leben. Da wäre der „längst überfällige und mehrfach eingeforderte“Mietspiegel für Kempten (der die ortsüblichen Mieten regelt) eine Hilfe. Denn die Durchschnittspreise von fünf bis sechs Euro pro Quadratmeter der örtlichen Wohnungsbaugesellschaften seien bezahlbar. Das Problem seien Vermieter, die sich an den höheren Preisen orientieren. Und: dass es definitiv zu wenig Wohnungen gebe.
Zwischen vier und neun Monaten liege bei der Sozialbau die durchschnittliche Vormerkzeit, sagt Geschäftsführer Herbert Singer. Er verweist auf die etwa 300 im Bau befindlichen Wohnungen (davon 250 zur Miete) und darauf, dass sein Unternehmen „auf wahnsinnig hohem Niveau liefert.“Wie viele Wohnungssuchende die Sozialbau freilich hat, will Singer nicht sagen. Von „einigen hundert“weiß aber der Mieterverein. Keinen Hehl aus 700 Anmeldungen für Mietwohnungen macht dagegen die Baugenossenschaft, die 1100 Wohnungen besitzt. Auf 1200, die bei der BSG-Allgäu auf der Warteliste sitzen, verweist Tanja Thalmeier vom Vorstand. 100 neue Mietwohnungen in Sankt Mang, 25 Auf der Ludwigshöhe, 47 in der Sligostraße, 26 für Senioren und 32 geförderte sollen die Wohnungsnot lindern.
Und was darf ein Vermieter alles vom potenziellen Mieter erfragen? Die Auskunft bei der Schufa, der Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung, über die Zahlungsfähigkeit ist laut Mieterverein erlaubt. Gehalt, Arbeitgeber, Familienstand – das darf der Vermieter wissen. Nicht beantworten muss man Fragen nach Ermittlungsverfahren, Mitgliedschaften, Schwangerschaft, Kinderwunsch und Bürgschaften. Sich vor dem Vermieter „entblößen“, wie der Eindruck mancher Suchenden ist, müsse man auf keinen Fall.