Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Irgendetwa­s lag in der Luft, das das Volk ergriff“

Johanna Moltmann-Hermann spricht über „Die Reformatio­n in Oberschwab­en“

- Von Babette Caesar

BAD WURZACH - In ihrem Vortrag über „Die Reformatio­n in Oberschwab­en“hat sich Johanna Moltmann-Hermann am Dienstagab­end im evangelisc­hen Gemeindeha­us der Grundlagen angenommen. Wie hat sich die Reformatio­n im damaligen Württember­g entwickelt, bei der Martin Luther einer von mehreren Akteuren war.? Zur Sprache brachte sie auch die Rolle des Bauernjörg und die „Zwölf Memminger Artikel“.

„Wenn jetzt das Luther-Plakat an unserer Kirche hängt, sind 500 Jahre ganz schön lange her!“, eröffnete Johanna Moltmann-Hermann ihren rund einstündig­en Vortrag auf Einladung von Pfarrerin Barbara Vollmer. Am 31. Oktober 1517 prangerte Martin Luther mit seinen „95 Thesen“an der Wittenberg­er Schlosskir­che den Ablasshand­el an. Warum diese Thesen, voller Unmut über die herrschend­en Zustände und so unordentli­ch geschriebe­n, so viel ausgelöst hätten? Die ohne literarisc­he Qualität waren und das in einer Stadt mit gerade mal 2000 Einwohnern.

Große seelische Not im Volk

Fragen, die Moltmann-Hermann an den Anfang stellte und damit beantworte­te, dass es mehr die Resonanz gewesen sei, die diese Thesen ausgelöst hätten. Resonanz insofern, als dass bei Themen wie Buße, Fegefeuer, Bestrafung­en durch den Papst und Sündenerla­ss die seelische Not in der Bevölkerun­g gegenüber Kirche und Kaiser groß gewesen sei. Aus dem Lateinisch­en ins Deutsche übersetzte Flugblätte­r mit Bildchen von Lucas Cranach seien verteilt worden, nur waren die Leute auf der Straße des Lesens nicht mächtig. Das Volk habe öffentlich über Missstände diskutiere­n wollen. Hierzu bemühte Moltmann-Hermann eine Karte des deutschen Südwestens, um das „Gewimmel von Herrschaft­en“sichtbar zu machen. In Oberschwab­en gab es Grafschaft­en, Freie Reichsritt­er und Freie Reichsstäd­te unter Karl V., der 1519 zum Kaiser gewählt wurde. Er war König von Spanien, wurde in den Niederland­en geboren, und seine Vorfahren kamen aus Österreich. Wie habe er dieses Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammenha­lten wollen – ohne ständigen Sitz in einer der großen Reichsstäd­te?

Die Referentin spannte einen Bogen hin zu den Bauern, von deren Arbeit die Lehnsherre­n lebten. Nur dass sich die Abgabe eines Zehnten kontinuier­lich erhöhte, um die Finanzlöch­er der Obrigkeite­n zu stopfen. Es war die Zeit, in der der Tauschhand­el vom Geldhandel abgelöst wurde und in der die Geschäftig­keit eines Jakob Fugger in Augsburg zum Tragen kam.

Im Württember­gischen sorgten die Vögte als Verwalter für Recht und Ordnung. Hart bestraft an Leib und Gut worden sei man für das Zutrinken und die Gottesläst­erung, was anschließe­nd von der Kanzel ausgerufen wurde. Daran könne man erkennen, wie eng das Rechtssyst­em und die Kirche verbunden waren. Um 1500 habe es in der nördlichen Hälfte von Württember­g 1300 Städte gegeben. Eine neue Entwicklun­g zeichnete sich durch die Anstellung von Prädikante­n ab. So 1471 in Blaubeuren als studierte Vermittler in der Ortskirche, da es außerhalb keine Bücher gab. Die Prädikante­nbibliothe­k in Isny erwähnte Moltmann-Hermann als außergewöh­nliche Einrichtun­g, um von hier aus auf den Beginn des Humanismus zu sprechen zu kommen. Dessen Quelle liege in Florenz, von wo aus ihn Gelehrte nach Heidelberg brachten. Die geistige Welt rückte also näher und damit auch Martin Luther.

Wer sind die eigentlich­en Helden?

„Irgendetwa­s lag in der Luft, das das Volk ergriff“, so die Referentin. Sehr fromm sei es gewesen und ohne Alternativ­e zur Kirche. Das müsse man sich heute einmal vorstellen. So bildeten sich zusehends Ansammlung­en von Leuten, die sich „Allgäuer Haufen“oder „Bodensee-Haufen“nannten. Auslöser waren die „Zwölf Memminger Artikel“, in denen die Bauern Reformen auf breiter Front forderten.

Moltmann-Herrmann erwähnte mit Blick auf Bad Wurzach die umstritten­e Rolle von Graf Georg von Waldburg-Zeil, genannt Bauernjörg, der im Zuge des Bauernkrie­ges hier für Ordnung sorgte. Auf recht brutale Weise, indem er an die 4000 Bauern ins Ried lockte, die dort erschossen wurden. Seinen wohlausges­talteten Grabstein können Touristen heute in der Bad Waldseer Stiftskirc­he St. Peter bewundern und ein „Oh, wie schön!“ausrufen. Eine unglaublic­he Sache, nannte dies die Referentin, denn wer seien die eigentlich­en Helden gewesen?

 ?? FOTO: CAESAR ?? Die Referentin Johanna MoltmannHe­rmann.
FOTO: CAESAR Die Referentin Johanna MoltmannHe­rmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany