Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Spatha, Sax, Fibeln und Knochen
Vor 65 Jahren entdeckten Bauarbeiter Überreste eines Alamannenfriedhofs mit 801 Gräbern
WEINGARTEN - Zunächst glaubt Anton Ege, er habe es mit einem Bajonett aus der napoleonischen Zeit tun. Drei Arbeiter hatten bei Kanalisationsgrabungen im Neubaugebiet am Immergrünweg Waffen und Knochen gefunden. Es ist der 23. September 1952. Ege, damals Leiter des Tiefbauamts, zieht sofort einen Experten hinzu, den Hauptlehrer Paul Eith, ehrenamtlicher Verbindungsmann zum Landesamt für Denkmalschutz in Tübingen. Dieser erkennt sofort, dass es sich keineswegs um Bajonette aus dem 19. Jahrhundert handelt, sondern dass eines der gefundenen Schwerter viel älter sein muss.
Vier Tage später, am 27. September 1952, erscheint in der „Schwäbischen Zeitung“ein Artikel Eiths, in dem er das Schwert als Hiebwaffe identifiziert, das in einem 1,70 Meter tiefen Grab gelegen habe. Dieser Umstand ließe eine erste Altersbestimmung zu, die in die vorchristliche Zeit reicht. Denn: Die christliche Kirche gestattete keine Waffen als Grabbeilagen. Er vermutet deshalb, es handle sich um einen alemannischen Reihengräber-Friedhof. Eith spricht von drei Gräbern, die man bislang gefunden habe. Zwei seien von Männern, eines das eines etwa zehnjährigen Kindes. Bei den Männern habe man ein alemannisches Kurzschwert, ein sogenanntes Sax, gefunden und ein Spatha, ein Langschwert. Das Alter der Waffen schätzt er auf 1300 Jahre. Ringe, Halsketten, Gürtelschnallen oder Metallknöpfe seien nicht vorhanden. Es sei nicht auszuschließen, dass sich auf dem Neubaugelände noch weitere Gräber befinden.
Eith sollte recht behalten. Doch dass Archäologen innerhalb der nächsten fünf Jahre insgesamt 801 Gräber freilegen würden, in denen 813 Menschen beerdigt worden waren, konnte natürlich auch er nicht ahnen. Damit zählt das Gräberfeld von Weingarten zu den bedeutendsten historischen Dokumenten der vorchristlichen Zeit in ganz Deutschland – nur der Fund von Lauchheim Mitte der Achtzigerjahre umfasst noch mehr Gräber. Überreste der zu dem Friedhof gehörenden Siedlungen sind nicht gefunden worden.
Alamannen lebten als Bauern
Die Geschichte der Besiedlung Oberschwabens durch die Alamannen beginnt mit dem Untergang des Römischen Reiches im 4. Jahrhundert nach Christus. Die Bedeutung des Namens „Alamanen“, der erstmals 289 nach Christus in seiner lateinischen Form Alamanni und später auch Alemanni erscheint, ist umstritten. Wahrscheinlich ist er germanischen Ursprungs und bedeutet „Menschen allgemein“oder „alle (wehrfähigen) Männer“. In Oberschwaben siedelten sich zunächst nur kleine Gruppen an, die etliche Wurzeln im mitteldeutschen Elbraum haben. Eine alamannische Identität bildete sich erst nach der Niederlassung heraus. Die Alamannen lebten als Bauern in Gehöften von mehreren Häusern.
Einblick in Gesellschaftsstruktur
Die Weingartener Gräber bieten Anthropologen einen tiefen Einblick in ihre Lebensweise: Was haben sie gegessen? Wie alt sind die Menschen im Durchschnitt geworden? Wie war ihre Gesellschaft aufgebaut, sind nur einige Fragen, die sich damit beantworten lassen. Interessant ist vor allem die letzte Frage. Aufgrund der Funde konnten die Wissenschaftler sagen, dass die alamannische Gesellschaft sehr durchlässig war. Das heißt, ein sozialer Aufstieg war also im Prinzip möglich. Wahrscheinlich nutzen mehrere Siedlungsgemeinschaften im Schussenbecken die Weingartener Begräbnisstätte
Der Fund ist aber nicht allein für Anthropologen und Archäologen von großem Wert. Er belegt nämlich auch die Existenz einer Siedlung namens Altdorf in vorchristlicher Zeit. Die Bezeichnung „Altdorf“geht auf Alachdorf zurück. Alach ist ein germanisches Kultwort und bedeutet „Heiligtum“oder „Tempel“. Und „Alachdorf“bedeutete ursprünglich „Dorf beim Heiligtum“, und zwar ein nicht christliches Heiligtum, mit dem nach aller Wahrscheinlichkeit der Martinsberg gemeint ist. Alachdorf/Altdorf ist demnach ein über 1500 Jahre alter Ortsname, der zu den ältesten Namen Oberschwabens zählt.
Knochen und Waffen
Eine Zeitspanne von 250 Jahren umfassen die gefundenen Gräber. 40 Bestattungen stammen aus dem 5. Jahrhundert, circa 130 aus dem 6. und rund 180 aus dem 7. Jahrhundert. Die Funde umfassen neben Skelettknochen und Waffen auch zahlreiche Alltagsgegenstände wie Kämme, Gürtelschnallen und kunstvoll gefertigte Fibeln, mit denen Frauen ihre Gewänder und Kleider zusammenhielten.
Seit 1975 sind die Exponate im Kornhaus in Weingarten zu sehen. 2008 wurde die Dauerausstellung modernisiert und in einem zeitgemäßen, interaktiven Konzept gestaltet. Es informiert die Besucher an zehn Stationen auf verschiedenen Ebenen über die Grabungen in Weingarten, Forschungsmethoden, Geschichte der Alamannen, Leben im Frühmittelalter, Tracht und Waffen der Männer, Tracht und Schmuck der Frauen, Glaube und Frömmigkeit, Handel und Verkehr, Metallhandwerk und Abschiedsrituale.
Alamannenmuseum, Karlstraße 28, Öffnungszeiten: Montag und Dienstag geschlossen; Mittwoch bis Sonntag 14 bis 17 Uhr. Besondere Öffnungszeiten an Feiertagen.