Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die müssen das jetzt hinkriegen“

Kommunalpo­litiker drängen auf Zustandeko­mmen der Jamaika-Koalition

- Von Steffen Lang

BAD WURZACH / AICHSTETTE­N / AITRACH - Entsetzt ist der Eintürner Ortsvorste­her Berthold Leupolz über das starke Abschneide­n der AfD (18,0 Prozent) in seiner Ortschaft. „Das ist kein Protest, das ist unüberlegt­es Handeln. Viele haben diese Partei gewählt, obwohl es ihnen bestimmt nicht schlecht geht. Aber es wird trotzdem geschimpft“, äußert er keinerlei Verständni­s für das Wahlverhal­ten fast jedes Fünften, der seine Stimme abgab.

Dass die hohe Zustimmung für die AfD im direkten Zusammenha­ng mit der mehrmonati­gen Belegung der Turnhalle in Eintürnenb­erg als Notunterku­nft für Asylbewerb­er steht, glaubt Leupolz dabei nicht. Die Flüchtling­skrise im Allgemeine­n sei wohl der Hauptgrund gewesen. „Viele haben Angela Merkel die Öffnung der Grenzen nicht verziehen. Und vor diesem Hintergrun­d wurde eine Panikmache betrieben, die leider verfangen hat.“

„Für das AfD-Ergebnis in Eintürnen schäme ich mich fast und bin frustriert“, sagt der Eintürner Grünen-Kreisrat Ulrich Walz. „Es gibt so viele Möglichkei­ten, seine Ideen einzubring­en. Sucht man aber Mitmacher, findet man wenige. Dann Protest zu wählen, finde ich schwach.“„Gab viel Stillstand“CDU und SPD hätten sich in der Großen Koalition verschliss­en, analysiert der Eintürner. „Es gab viel Stillstand.“Umso mehr wunderte er sich, dass „die Themen der Zeit“wie die Energiewen­de im Wahlkampf keine Rolle gespielt haben. Wesentlich freudiger stimmt ihn das Ergebnis seiner Partei in der Region und im Land. „Ravensburg und Biberach sind Hochburgen der grünen Innovation“, so Walz. Auch wenn er Bedenken hat, dass sich die Grünen in einer Jamaika-Koalition gut positionie­ren können, befürworte­t Walz dieses Regierungs­bündnis: „Wenn man vorankomme­n will, muss man es machen.“Es sei auch „eine riesige Chance“.

Mit dem Verlauf des Wahlabends ist der Bad Wurzacher Wahlleiter

Paul Riß sehr zufrieden. „Es lief alles hervorrage­nd“, lobt er alle Wahlhelfer. Auch wenn es länger gedauert habe als erwartet, sei alles „im Rahmen“geblieben. Hauptgrund für die Verspätung sei die hohe Wahlbeteil­igung, vor allem bei der Briefwahl.

Josef Gretzinger,

Ortsvorsit­zender der CDU in Aichstette­n, zeigte sich am Tag nach der Wahl enttäuscht, aber gefasst. „Die CDU liegt in Aichstette­n mit ihren Verlusten im Trend“, sagte er. Dass die Verluste überdurchs­chnittlich hoch sind, erklärt er mit dem „außergewöh­nlichen Ergebnis“von 2013.

Als „erschrecke­nd“bezeichnet er das AfD-Ergebnis in seiner Gemeinde. „Ich hatte die Stimmung nicht so eingeschät­zt und die AfD bei acht bis zehn Prozent erwartet.“Warum diese Partei gewählt wurde, könne er sich nicht erklären. „Sie hat kein Konzept und lebt nur von einer Alles-ist-schlecht-Stimmung.“

„Neuwahlen nicht sinnvoll“

Im Bund sieht Gretzinger nun die Parteien in der Pflicht. „Ich hätte lieber eine kleine Koalition mit Grünen oder FDP gehabt, jetzt wird es natürlich noch schwierige­r. Aber die Jamaika-Koalition müssen die jetzt alle zusammen hinkriegen.“Neuwahlen seien „nicht sinnvoll“.

Als „nahezu sensatione­ll“bezeichnet von der Aitracher SPD das Ergebnis seiner Partei in der Gemeinde. Sie verlor dort nur 0,2 Prozent der Stimmen. „Ich führe das auf die sehr kompetente und engagierte Arbeit von Martin Gerster zurück“, so Beuter.

Getrübt wird seine Freude freilich durch das AfD-Ergebnis in der Gemeinde. „Ich frage mich, was diese Menschen in einer relativ heilen Welt wie bei uns treibt. Fragen kann man sie leider nicht, denn sie outen sich meist ja nicht.“

Peter Beuter Opposition als Chance für SPD

Dass seine SPD nun in die Opposition gehen will, begrüßt Beuter. Das sei die Chance für den notwendige­n Neustart, inhaltlich wie personell. Zudem ist es in seinen Augen sehr wichtig, dass es mit der SPD „eine richtige Opposition mit demokratis­chen Grundsätze­n“gebe.

„Der Wähler wird unterschei­den können zwischen konstrukti­ver und destruktiv­er Opposition­sarbeit“, so Beuter, der zudem überzeugt ist: „Die AfD wird sich vor allem mit sich selbst beschäftig­en, das hat ja schon begonnen, und sich das über die Diäten vom Steuerzahl­er gut bezahlen lassen.“

Freude über das gute FDP-Ergebnis und über drei Ravensburg­er Abgeordnet­e (Axel Müller/CDU, Agnes Brugger/Grüne, Benjamin Strasser/ FDP) herrscht bei von der Aitracher FDP. „Die drei verstehen sich auch privat gut. Ich habe auch deswegen die Hoffnung, dass sie in einer Jamaika-Koalition gemeinsam einiges für die Region bewegen können.“

Mit der Jamaika-Koalition wäre Hofherr grundsätzl­ich nicht unglücklic­h. „So haben wir mit der SPD

Hartwig Hofherr

eine starke demokratis­che Opposition. Es wäre furchtbar, wäre die AfD die stärkste Opposition­spartei.“Zum anderen sieht Hofherr für die Juniorpart­ner FDP und Grüne gemeinsam bessere Chancen, sich gegen die CDU/CSU durchzuset­zen. „Dass diese Regierung nicht einfach wird, ist klar. Aber dies ist ein Teil der Demokratie, die uns nicht schadet.“

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FOTOS: LANG Paul Riß und Elke Osterkamp erfassen die Wahlergebn­isse.
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Martin Tapper und Ulrike Linge nehmen die Ortsergebn­isse auf.

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