Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Die müssen das jetzt hinkriegen“
Kommunalpolitiker drängen auf Zustandekommen der Jamaika-Koalition
BAD WURZACH / AICHSTETTEN / AITRACH - Entsetzt ist der Eintürner Ortsvorsteher Berthold Leupolz über das starke Abschneiden der AfD (18,0 Prozent) in seiner Ortschaft. „Das ist kein Protest, das ist unüberlegtes Handeln. Viele haben diese Partei gewählt, obwohl es ihnen bestimmt nicht schlecht geht. Aber es wird trotzdem geschimpft“, äußert er keinerlei Verständnis für das Wahlverhalten fast jedes Fünften, der seine Stimme abgab.
Dass die hohe Zustimmung für die AfD im direkten Zusammenhang mit der mehrmonatigen Belegung der Turnhalle in Eintürnenberg als Notunterkunft für Asylbewerber steht, glaubt Leupolz dabei nicht. Die Flüchtlingskrise im Allgemeinen sei wohl der Hauptgrund gewesen. „Viele haben Angela Merkel die Öffnung der Grenzen nicht verziehen. Und vor diesem Hintergrund wurde eine Panikmache betrieben, die leider verfangen hat.“
„Für das AfD-Ergebnis in Eintürnen schäme ich mich fast und bin frustriert“, sagt der Eintürner Grünen-Kreisrat Ulrich Walz. „Es gibt so viele Möglichkeiten, seine Ideen einzubringen. Sucht man aber Mitmacher, findet man wenige. Dann Protest zu wählen, finde ich schwach.“„Gab viel Stillstand“CDU und SPD hätten sich in der Großen Koalition verschlissen, analysiert der Eintürner. „Es gab viel Stillstand.“Umso mehr wunderte er sich, dass „die Themen der Zeit“wie die Energiewende im Wahlkampf keine Rolle gespielt haben. Wesentlich freudiger stimmt ihn das Ergebnis seiner Partei in der Region und im Land. „Ravensburg und Biberach sind Hochburgen der grünen Innovation“, so Walz. Auch wenn er Bedenken hat, dass sich die Grünen in einer Jamaika-Koalition gut positionieren können, befürwortet Walz dieses Regierungsbündnis: „Wenn man vorankommen will, muss man es machen.“Es sei auch „eine riesige Chance“.
Mit dem Verlauf des Wahlabends ist der Bad Wurzacher Wahlleiter
Paul Riß sehr zufrieden. „Es lief alles hervorragend“, lobt er alle Wahlhelfer. Auch wenn es länger gedauert habe als erwartet, sei alles „im Rahmen“geblieben. Hauptgrund für die Verspätung sei die hohe Wahlbeteiligung, vor allem bei der Briefwahl.
Josef Gretzinger,
Ortsvorsitzender der CDU in Aichstetten, zeigte sich am Tag nach der Wahl enttäuscht, aber gefasst. „Die CDU liegt in Aichstetten mit ihren Verlusten im Trend“, sagte er. Dass die Verluste überdurchschnittlich hoch sind, erklärt er mit dem „außergewöhnlichen Ergebnis“von 2013.
Als „erschreckend“bezeichnet er das AfD-Ergebnis in seiner Gemeinde. „Ich hatte die Stimmung nicht so eingeschätzt und die AfD bei acht bis zehn Prozent erwartet.“Warum diese Partei gewählt wurde, könne er sich nicht erklären. „Sie hat kein Konzept und lebt nur von einer Alles-ist-schlecht-Stimmung.“
„Neuwahlen nicht sinnvoll“
Im Bund sieht Gretzinger nun die Parteien in der Pflicht. „Ich hätte lieber eine kleine Koalition mit Grünen oder FDP gehabt, jetzt wird es natürlich noch schwieriger. Aber die Jamaika-Koalition müssen die jetzt alle zusammen hinkriegen.“Neuwahlen seien „nicht sinnvoll“.
Als „nahezu sensationell“bezeichnet von der Aitracher SPD das Ergebnis seiner Partei in der Gemeinde. Sie verlor dort nur 0,2 Prozent der Stimmen. „Ich führe das auf die sehr kompetente und engagierte Arbeit von Martin Gerster zurück“, so Beuter.
Getrübt wird seine Freude freilich durch das AfD-Ergebnis in der Gemeinde. „Ich frage mich, was diese Menschen in einer relativ heilen Welt wie bei uns treibt. Fragen kann man sie leider nicht, denn sie outen sich meist ja nicht.“
Peter Beuter Opposition als Chance für SPD
Dass seine SPD nun in die Opposition gehen will, begrüßt Beuter. Das sei die Chance für den notwendigen Neustart, inhaltlich wie personell. Zudem ist es in seinen Augen sehr wichtig, dass es mit der SPD „eine richtige Opposition mit demokratischen Grundsätzen“gebe.
„Der Wähler wird unterscheiden können zwischen konstruktiver und destruktiver Oppositionsarbeit“, so Beuter, der zudem überzeugt ist: „Die AfD wird sich vor allem mit sich selbst beschäftigen, das hat ja schon begonnen, und sich das über die Diäten vom Steuerzahler gut bezahlen lassen.“
Freude über das gute FDP-Ergebnis und über drei Ravensburger Abgeordnete (Axel Müller/CDU, Agnes Brugger/Grüne, Benjamin Strasser/ FDP) herrscht bei von der Aitracher FDP. „Die drei verstehen sich auch privat gut. Ich habe auch deswegen die Hoffnung, dass sie in einer Jamaika-Koalition gemeinsam einiges für die Region bewegen können.“
Mit der Jamaika-Koalition wäre Hofherr grundsätzlich nicht unglücklich. „So haben wir mit der SPD
Hartwig Hofherr
eine starke demokratische Opposition. Es wäre furchtbar, wäre die AfD die stärkste Oppositionspartei.“Zum anderen sieht Hofherr für die Juniorpartner FDP und Grüne gemeinsam bessere Chancen, sich gegen die CDU/CSU durchzusetzen. „Dass diese Regierung nicht einfach wird, ist klar. Aber dies ist ein Teil der Demokratie, die uns nicht schadet.“