Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Medikationsplan mit Nebenwirkungen
Dokument soll Patienten helfen, doch Apotheker sehen noch Mängel
STUTTGART - Pro Jahr müssen 250 000 Menschen in Deutschland ins Krankenhaus, weil Medikamente unerwünschte Nebenwirkungen ausgelöst haben. Seit einem Jahr soll nun ein Medikationsplan helfen, solche Fälle zu vermeiden. Doch noch nutzen offenbar wenige Patienten den Plan so, wie von der Politik eigentlich beabsichtigt.
Verschreibt ein Arzt Patienten mehr als drei Arzneimittel, ist er seit dem 1. Oktober 2016 verpflichtet, diese in einem Dokument aufzulisten. Außerdem sind die Hinweise zur Einnahme dort vermerkt. Den Plan gibt er dem Patienten mit. Dieser kann ihn anderen Fachärzten oder in der Apotheke vorlegen. Dort können weitere Medikamente ergänzt werden. Dazu gehören auch rezeptfreie wie etwa Aspirin oder Nahrungsergänzungsmittel. Das ist deswegen wichtig, weil auch solche Mittel Wechselwirkungen mit anderen Arzneien haben können. Ein Beispiel: Das Schmerzmittel Acetylsalicylsäure (ASS), etwa in Aspirin, verträgt sich nicht mit Blutverdünnungsmitteln. Es verstärkt deren Effekte und kann zu inneren Blutungen führen.
Dieselben Stoffe, andere Namen
Außerdem nehmen viele Menschen Präparate mit unterschiedlichen Namen ein, die aber dieselben Stoffe enthalten. Verschiedene Ärzte verordnen sie, weil sie nichts von der Verschreibung des anderen Kollegen wissen. Krankenkassen schließen außerdem Rabattverträge mit bestimmten Herstellern ab. So kann es vorkommen, dass ein Arzt ein Präparat verordnet, der Apotheker aber ein anderes, wirkstoffgleiches ausgeben muss – weil nur dieses von den Kassen gezahlt wird. Auch solche Informationen erreichen den behandelnden Mediziner nicht mehr. Hier soll der Medikationsplan ebenfalls helfen.
Trotz der guten Idee hakt es bei der Umsetzung. „Es kommen kaum Pläne in den Apotheken an“, erklärt Stefan Möbius von der Landesapothekerkammer (LAK). Schuld daran sind aus Sicht der Apotheker mehrere Faktoren. Denn das Dokument liegt als Papier vor. Ein Arzt erfasst also Medikamente per Computer, druckt den Plan aus. Der Patient soll es immer dabeihaben, wenn er Medikamente kauft oder zum Arzt geht. Schon das ist eine Hürde. Die nächste: In der Apotheke oder beim nächsten Arzt wird das Dokument abgetippt oder handschriftlich ergänzt. „Noch umständlicher geht es nicht“, kritisiert Frank Eickmann vom Landesapothekerverband. Ab 2019 soll der Plan daher nur noch digital vorliegen. „Aber noch weiß niemand, wie das funktionieren soll“, so Eickmann.
Kritik kommt auch von Patientenschützern. Monika Müller vom Sozialverband VdK moniert, das zugrunde liegende Gesetz sei zu unkonkret. „Wer kontrolliert, dass ein Arzt das auch wirklich macht, wer hat die Endverantwortung?“Der VdK fordert grundsätzlich, mehr Geld in die Prävention zu stecken. Schon in der Schule müssten Kinder lernen, sich mit ihrer Gesundheit zu beschäftigen. „Der Patient selbst muss in eigener Sache kritisch nachfragen , wenn er Medikamente verschrieben bekommt“, sagt Müller.
Die Apotheker stört noch etwas anderes. Bislang können Ärzte die Zeit abrechnen, die sie mit einem Medikationsplan verbringen. 16 Millionen Euro bekommen Baden-Württembergs niedergelassene Ärzte dafür 2017. Die Apotheker erhalten dafür hingegen keine Erstattung der Kassen. „Wir sind gesetzlich verpflichtet, die Dokumente zu ergänzen. Doch das wird nicht vergütet – bei Ärzten aber sehr wohl“, kritisiert Eickmann.
Dennoch halten die Pharmazeuten den Plan grundsätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung. Verbesserungen erhoffen sie sich, wenn in wenigen Monaten sowohl Arztpraxen als auch Apotheken auf eine gemeinsame Datenbank zugreifen können. Darin sind alle verfügbaren Medikamente gelistet. Mit einer Software können Mediziner und Apotheker darauf zugreifen und einen bundesweit einheitlichen Medikationsplan erstellen. Der lässt sich über einen Code vom Papier einscannen – er muss also nicht wie bisher mühsam abgetippt werden.
Angebot Arzneimittelcheck
Allerdings greift der Medikationsplan aus Sicht der Apotheker zu kurz. „Nur weil die Medikamente auf der Liste stehen, schaut ja noch niemand danach, welche möglichen Wechselwirkungen sie haben“, sagt Verbandssprecher Eickmann. Wie sein Kollege von der Apothekerkammer fordert er mehr Verantwortung für Pharmazeuten. Schon jetzt bieten ausgewählte Apotheken ihren Kunden einen Arzneimittelcheck an. Dabei lassen sie sich von den Patienten alle Arzneien und Nahrungsergänzungsmittel nennen, die diese einnehmen. Dann wird analysiert, wie die Medikamente zusammenwirken. Die LAK bildet interessierte Apotheker dafür aus. Zahlen muss der Patient aber selbst. Die Kammer empfiehlt, 69 Euro abzurechnen. Die Analyse sei aufwendig und könne gerade bei Patienten, die mehr als zehn Arzneien nehmen, mehrere Stunden dauern, so die Begründung.