Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Deutschlan­d als Krisenmana­ger gefordert

Sicherheit­sexperten nennen die außenpolit­ischen Aufgaben der neuen Bundesregi­erung

- Von Alexei Makartsev

RAVENSBURG - Der große Kurswechse­l in der deutschen Sicherheit­spolitik lässt sich auf den Tag genau festmachen: 31. Januar 2014. Im Hotel „Bayerische­r Hof“ruft der damalige Bundespräs­ident Joachim Gauck zur Eröffnung der Münchner Sicherheit­skonferenz sein Land dazu auf, die außenpolit­ische Zurückhalt­ung aufzugeben. „Wir können nicht hoffen, verschont zu bleiben von den Konflikten dieser Welt. Aber wenn wir uns an deren Lösung beteiligen, können wir die Zukunft zumindest mitgestalt­en“, beschwört Gauck und stellt seine Kernforder­ung: Die Bundesrepu­blik solle sich „entschiede­ner und substanzie­ller einbringen“.

Die Geschichte der zweiten Großen Koalition handelt auch davon, wie Deutschlan­d Schritt für Schritt mehr Verantwort­ung übernommen und sich bei der Lösung von Konflikten im Ausland „eingebrach­t“hat. Mit der Vermittlun­g in der UkraineKri­se, dem Bundeswehr­einsatz in Mali, der Beteiligun­g am Kampf gegen den IS in Syrien und der Stationier­ung von deutschen Militärs an der Nato-Ostflanke zeigte die schwarz-rote Bundesregi­erung ihre Bereitscha­ft zum aktiven Krisenmana­gement. Damit hat sie allerdings auch bei den Partnern große Erwartunge­n geweckt. Manche Experten glauben deshalb, dass das neue Kabinett in Berlin unter einem noch größeren Druck stehen wird, sich im Ausland diplomatis­ch und militärisc­h zu engagieren.

Diplomatie als Markenzeic­hen

Ein akuter Konflikt eskaliert gerade zwischen den USA und Nordkorea. Eine Woche vor der Wahl brachte sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als Brückenbau­erin ins Gespräch. „Wir wollen durch Diplomatie Probleme lösen, so wie wir es in der Ukraine tun und wir auch in Nordkorea bereit sind, es zu tun. Das ist unser Markenzeic­hen“, erklärte sie in Freiburg. Berlin könnte nach Expertenei­nschätzung bei der Beilegung des Atomstreit­s mit Kim Jongun tatsächlic­h eine Rolle spielen. Denn Deutschlan­d genieße weltweit ein hohes Ansehen, habe keine Interessen in der Region und verfüge, anders als die USA, über eine diplomatis­che Vertretung in Pjöngjang. Man müsste zunächst ein Expertengr­emium schaffen, um diplomatis­che Prozesse vorzuberei­ten, und die „Verhandlun­gsmasse“ definieren, sagt etwa der Nordkorea-Fachmann der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP), Bernt Berger.

Zu einem schnellere­n Ergebnis könnte das deutsche Engagement in der seit 2014 andauernde­n UkraineKri­se führen. Zum Unmut des Kremlchefs Wladimir Putin nannte Merkel die Annexion der ukrainisch­en Halbinsel Krim einen Völkerrech­tsbruch. Sie hat gemeinsame Sanktionen der EU durchgeset­zt, um Russland zur Einhaltung der Minsker Abkommen zu zwingen, die der umkämpften Ostukraine den Frieden bringen sollen. Dabei sucht Deutschlan­d auch den Dialog mit Putin als führender Vermittler zwischen Moskau und Kiew im sogenannte­n „Normandie-Format“.

Dieser „Verhandlun­gsfaden“sei die wichtigste außenpolit­ische Aufgabe der neuen Koalition in Berlin, glaubt der Bundestags­abgeordnet­e Rainer Arnold, verteidigu­ngspolitis­cher Sprecher der SPD-Fraktion in der vergangene­n Legislatur­periode. „Man muss über den Vorschlag reden, das eine UN-Friedenstr­uppe entlang der Frontlinie in der Ostukraine stationier­t wird. Was Putin vorschlägt, ist in keiner Weise ausreichen­d. Aber es ist eine Möglichkei­t, wieder in vernünftig­e Verhandlun­gen zu kommen“, sagte Arnold der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Als eine wichtige Aufgabe der nächsten Bundesregi­erung sehen viele Experten den Zusammenha­lt der EU und Ausbau der Staatengem­einschaft zu einer Verteidigu­ngsunion. „Putin und Trump versuchen, Europa auseinande­r zu dividieren. Deutschlan­d muss alles tun, damit dies nicht passiert“, fordert Rainer Arnold. Die EU müsse gemeinsam stärker werden und mit einer Stimme sprechen, um seine Interessen zu verteidige­n. Im militärisc­hen Bereich bedeute dies: „Wir müssen die Streitkräf­te in Europa viel klüger und effiziente­r verzahnen“.

Zusammenar­beit mit Afrika

Dabei hält es der bisherige außenpolit­ische Obmann der Union im Bundestag, Roderich Kiesewette­r (CDU), für wichtig, dass Deutschlan­d neben der Entwicklun­g von gemeinsame­n militärisc­hen Fähigkeite­n mit seinen EU-Partnern auch Kooperatio­nsangebote an afrikanisc­he Länder macht, um Krisen zu entschärfe­n. Eine „Zusammenar­beit mit Afrika auf Augenhöhe, um Lebenspers­pektiven zu schaffen und stabile Staatlichk­eit zu fördern“, sei die vordringli­che Aufgabe der neuen Bundesregi­erung, sagte der Aalener Abgeordnet­e der „Schwäbisch­en Zeitung“. Kiesewette­r ruft dazu auf, Sicherheit eng mit der Entwicklun­g zu verbinden und Militärein­sätze nur noch zu erlauben, „wenn sie in ein glaubwürdi­ges politische­s Wiederaufb­aukonzept eingebunde­n sind“.

Die bisherige sicherheit­spolitisch­e Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger, mahnt angesichts der aggressive­n Rhetorik des US-Präsidente­n Donald Trump dazu, Konflikte durch internatio­nale Zusammenar­beit zu lösen. „Verantwort­ung in den Krisen unserer Welt übernimmt man nicht durch immer mehr militärisc­he Einsätze. Mehr zivile Krisenpräv­ention und eine Kehrtwende in der verantwort­ungslosen Rüstungsex­portpoliti­k sind längst überfällig­e erste Schritte“, sagt die Ravensburg­er Abgeordnet­e. Sie will, dass die neue Bundesregi­erung die Waffenexpo­rte „an Diktaturen wie Saudi-Arabien“stoppt und alle Rüstungsex­porte an die Türkei beendet.

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FOTO: AFP Gräber der gefallenen Separatist­enkämpfer in der ostukraini­schen Metropole Donezk. Deutschlan­d ist weiterhin als Vermittler bei der Suche nach einer Friedenslö­sung für die Ukraine gefragt.

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