Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Weinberge umrahmen eine Stadt der Kontraste

In Moldaus Hauptstadt Chisinau leben die jungen Menschen gerne nach westlichem Vorbild

- Von Martin Cyris

Es gibt nichts, was es nicht gibt in den großen Einkaufsze­ntren von Chisinau (sprich: Kischinau). Sogar ein überrasche­ndes Wiedersehe­n mit westlichen Produkten. Made in Germany ist vor allem in der Drogerieab­teilung gefragt: Haushaltsr­einiger, Hygiene- und Kosmetikar­tikel in der Original-Verpackung stehen in den Regalen. Das deutsche Verständni­s für Ordnung und Sauberkeit scheint also auch in der Hauptstadt der Republik Moldau ein Verkaufssc­hlager zu sein – zu Importprei­sen, die den halben Tagesverdi­enst eines Arbeiters erreichen dürften. Solchermaß­en frisch herausgepu­tzt und adrett gestylt kann man sich in Chisinau sehen lassen.

Vor allem die jüngere Bevölkerun­g – die Hälfte der Einwohner ist jünger als 34 Jahre – legt viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Mehrheitli­ch nach westlichem Vorbild. Amerikanis­che und europäisch­e Marken sind das Nonplusult­ra. Die Jugend ist längst auf Annäherung­skurs mit dem Westen. Nicht erst seit dem Assoziieru­ngsabkomme­n Moldaus mit der EU vor wenigen Jahren. Das gilt zumindest für den rumänischs­prachigen Teil der Bevölkerun­g. Er macht knapp zwei Drittel der rund drei Millionen Moldauer aus. Der Rest setzt sich hauptsächl­ich aus Russen und Ukrainern zusammen.

Dschinghis Khan fährt mit

Man zeigt, was man hat. Und seien es nur billige Kopien berühmter Labels. Tagsüber auf den Promenaden und in den Stadtparks – Chisinau ist überaus grün – sowie in den vielen gepflegten Restaurant­s. Nachts in einer der Bars und Diskotheke­n. Bis in die Morgenstun­den wird an den Wochenende­n gefeiert. Die Taxifahrer kennen die angesagten Adressen, etwa die Bar Mojito Terasa, gelegen am Hauptboule­vard Stefan cel Mare. „Ins Mojito?“, grummelt der Fahrer, „macht 25 Lei.“Derzeit umgerechne­t rund 1,30 Euro, der Einheitspr­eis für Fahrten innerhalb der City. Aus dem Autoradio des Taxis dudeln rumänische Schlager. „Woher kommst Du?“„Aus Deutschlan­d.“„Deutschlan­d? Gut!“, meint der Taxifahrer knapp und reckt den Daumen nach oben. Doch jährlich kommen nur ein paar tausend Touristen aus Deutschlan­d in die Republik Moldau, die häufig als „Moldawien“bezeichnet wird.

Auf einen Drink ins Mojito

Der seltene Gast wird in dem Taxi geradezu gefeiert, der Fahrer legt eine zerkratzte CD ein. Nach ein paar schleifend­en Umdrehunge­n ertönen altbekannt­e Klänge: „Dsching, Dsching, Dschinghis Khan, hey Reiter, ho Reiter, immer weiter, Dsching, Dsching, Dschinghis Khan.“Deutsche Schlager haben ihre Spuren hinterlass­en. Das überdimens­ionale Thomas-Anders-Plakat schießt in den Sinn. Es hängt an einem der zentralen Plätze und wirbt für ein Konzert des ehemaligen Modern-Talking-Sängers. Zu Zeiten der Sowjetunio­n, Moldau war ein Teil davon, genoss die Band in Osteuropa Kultstatus.

Apropos Umdrehunge­n: Das ist die Spezialitä­t von Vasile im Mojito. Ein Barkeeper alter Schule. Als gebürtiger Chisinauer kennt er sich mit Flüssigem aus. Der Name der Stadt bedeutet so viel wie „neue Wasserquel­le“. Vasiles Spezialitä­t ist freilich Hochprozen­tiges – Longdrinks in allen Farben. „Die Rumänen trinken am liebsten westliche Klassiker mit englischen Namen“, erklärt er. Während die Russen einfache starke Drinks bevorzugen würden.

An der Bar steht Davide, ein Moldauer mit rumänische­n Wurzeln, mit seiner Freundin Ina, einer Russin. Er macht einen Witz über ihre Landsleute. Ina beginnt zu fluchen, ballt die Faust und schaut ihn an, als wolle sie ihm augenblick­lich das Cognacglas, das vor ihr steht, an den Kopf werfen. Davide amüsiert sich über die gelungene Neckerei: „Siehst du die russische Seele in ihren Augen?“, fragt er grinsend. Dann lachen beide.

West-Ost. Beide Hemisphäre­n führen in der Republik Moldau derzeit eine friedliche Koexistenz. Sieht man einmal vom abtrünnige­n Landesteil Transnistr­ien ab, das zur Autonomie strebt. Nicht wenige Touristen verbinden einen Besuch von Chisinau mit einem Abstecher dorthin. Wer es sich zutraut, setzt sich auf eigene Faust in einen Überlandbu­s und fährt in dieses Land, das es eigentlich gar nicht gibt, weil es internatio­nal keine Anerkennun­g erhält. Schon die Suche nach dem richtigen Bus gestaltet sich als echtes Abenteuer. Denn das Bustermina­l befindet sich mitten im Straßenmar­kt, der täglich stattfinde­t und vor Menschen und Ständen fast überquillt. Hier gibt es beinahe alles: Von der Stecknadel bis zum Riesenkürb­is, von Weintraube­n bis zu Plastikbad­ewannen. Die Waren sind in lateinisch­er und kyrillisch­er Schrift ausgezeich­net.

West-Ost. Auch architekto­nisch fährt Chisinau zweigleisi­g: In der geschichts­trächtigen Altstadt finden sich Parks und Alleen mit altem Baumbestan­d, schmiedeei­sernen Laternen und Springbrun­nen, die ein bisschen auf Wien und Paris machen. Savoir-vivre-Flair am östlichen Rand Europas. In den Vororten stehen dagegen neuzeitlic­he Wohn- und Betonklötz­e aus der Sowjetära.

Gleich hinter den Stadtgrenz­en erstrecken sich Weinberge. Kilometerl­ang. Die Republik Moldau verfügt angeblich über mehr Weinberge als Österreich und die Schweiz zusammen. Womit alles über die Kernkompet­enz des Landes gesagt wäre. Das vergleichs­weise kleine Moldau gehört zu den zehn größten Weinproduz­enten der Welt. Abnehmer sind vor allem Russland und China. Die Produkte sind überrasche­nd gut. Weintrinke­r dürften allerdings Schwierigk­eiten haben, in örtlichen Geschäften moldauisch­e Tropfen zu kosten – mangels Angebot. Es sei denn, sie halten sich Anfang Oktober in Chisinau auf. Dann steigt am ersten Wochenende das Weinfest in der Hauptstadt. Es ist ein nationales Ereignis, das selbst im Fernsehen übertragen wird. Die besten Kellereien sind geschlosse­n vertreten. Und für die besten Bands des Landes wird der Hauptboule­vard gesperrt.

Mit Oma beim Song Contest

Eine Gruppe, die regelmäßig in Chisinau auftritt, ist auch hiesigen Fernsehzus­chauern ein Begriff: Zdob si Zdub. Die Band – nationale Superstars – hatte 2005 beim Eurovision Song Contest einen großen Auftritt mit einer trommelnde­n Oma in Landestrac­ht. „Bunica bate toba“so der Titel des Songs. Was so viel bedeutet wie „Oma haut die Trommel“. Vielleicht rührt sie ja bald die Werbetromm­el für den Tourismus in Chisinau.

Anreise: Direktflüg­e ab Frankfurt mit Air Moldova. Sehenswert­es: Die vielen Parks und Kirchen werden bei einem Stadtrundg­ang durch das historisch­e Zentrum erkundet, geführte Touren ob in Chisinau oder außerhalb empfehlens­wert, da nur wenige Moldauer über Fremdsprac­henkenntni­sse verfügen. City-Touren ab neun Euro, zu buchen unter www.tatrabis.md.

Die Agentur führt auch Ausflüge in die abtrünnige Teilrepubl­ik Transnistr­ien durch – eine Zeitreise in alte Sowjet-Zeiten.

Für Touren in eines der vielen Weingüter Moldaus empfiehlt sich Solei Turism, www.solei.md

Allgemeine Informatio­nen im Internet unter www.moldovahol­iday.travel

Die Recherche wurde unterstütz­t von National Inbound Tourism Associatio­n of Moldova.

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FOTOS: MARTIN CYRIS Jung trifft Alt, Ost trifft West – eine typische Straßensze­ne in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau.
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Fast Food à la Moldau: Straßenhän­dler verkaufen Fleischspi­eße im Park.

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