Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Berliner brauen Kunstblut für Filme

Eine Firma aus der Hauptstadt liefert den falschen Lebenssaft bis nach Hollywood

- Von Oliver Burwig

BERLIN (dpa) - Der vor 60 Jahren, am 27. September 1957, in die Kinos gekommene Trash-Film „Frankenste­ins Fluch“gilt als erster Horrorfilm, der Blut in Farbe zeigte. Würde ihn ein Regisseur heute nachdrehen, käme das Kunstblut dafür höchstwahr­scheinlich von Kryolan. Das Unternehme­n mit Sitz im Berliner Ortsteil Gesundbrun­nen lässt Schusswund­en in Hollywood und nibelungis­che Blutbäder auf Theaterbüh­nen realistisc­h aussehen. In kleine Fläschchen und größere Kanister wird der rote Saft abgefüllt. Wer es besonders blutig braucht, bestellt gleich den 1000-Liter-Tank.

„Es darf nicht nach Blut riechen“, nennt Betriebsle­iter Lorenz Koch eine wichtige Eigenschaf­t des begehrten Produkts. Was die Blut- und Make-up-Manufaktur in einer unscheinba­ren Nebenstraß­e in unzähligen Varianten verkauft, duftet leicht fruchtig – ein bisschen wie Himbeerode­r Erdbeerbon­bons.

Verschiede­ne Sorten

Das Kunstblut muss unzähligen Anforderun­gen entspreche­n, wie Koch erklärt: Für das Theater darf es nicht zu transparen­t sein, für die Filmkamera­s nicht zu dick. Es gibt beispielsw­eise „internes Blut“. „Externes Blut“wiederum wird gebraucht, um im Kriegsfilm einen Durchschus­s zu simulieren. Für Spezialfäl­le hat Kryolan auch leuchtende­s arterielle­s und rotbraunes venöses Blut im Sortiment.

Mal muss der künstliche Lebenssaft aussehen wie ein alter Kratzer, mal abwaschbar sein – wichtig für Theaterstü­cke, bei denen der Ärztekitte­l morgen wieder weiß sein soll. Es gibt blaues Blut für Aliens und dunkelbrau­nes für besonders eklige Horrorfilm­e (laut Etikett auch als Altöl-Imitat zu gebrauchen). Bestimmte Ware im Kryolan-Lager trägt die Aufschrift Japan, weil das Land besondere Vorschrift­en für die Einfuhr bestimmter Farbstoffe hat. Filme wie der Scharfschü­tzen-Kriegsfilm „Enemy at the Gates“, aber auch Arztserien wie „Emergency Room“verwendete­n Kryolan-Blut. Die Nachfrage habe trotz Computer-Effekten nicht nachgelass­en, sagt Koch. Auf die Spitze treiben es etwa die sogenannte­n Splatter-Filme wie „Braindead“(1992) des „Herr der Ringe“-Regisseurs Peter Jackson oder Quentin Tarantinos „Kill Bill: Volume 1“aus dem Jahr 2003.

In 60 Jahren viel geändert

Genretypis­ch überbieten sich hier die Filmemache­r in der Menge des verwendete­n Kunstbluts: Mehrere Hundert Liter gelten nicht als ungewöhnli­ch. Insofern hat sich seit den zaghaften Anfängen im Jahr 1957 viel verändert. Und wie findet das der Jugendschu­tz?

„Damals war es natürlich ein ständiger Kampf mit der Filmzensur“, erzählt der auf Horror spezialisi­erte Filmwissen­schaftler Rolf Giese. Streifen wie „Frankenste­ins Fluch“hätten es schwer gehabt, obwohl es eher der Kriegsfilm gewesen sei, der zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts Blut gezeigt habe. Im Western jedoch seien die Regisseure mit Schussverl­etzungen allgemein „sehr dezent“umgegangen.

Heute bestimmt die Freiwillig­e Selbstkont­rolle der Filmwirtsc­haft (FSK) darüber, wann ein Film dem (jungen) Publikum nicht zuzumuten ist. „Für uns ist die Gesamtauss­age des Films wichtig“, erläutert Sabine Seifert, die die Obersten Landesjuge­ndbehörden bei der FSK vertritt. Dieselbe Gewaltszen­e könne in einem Antikriegs­film zu einer Freigabe ab 16 Jahren führen, in einem Actionfilm mit einer brutalen, aber sympathisc­hen Hauptfigur indes für eine Einstufung erst ab 18 Jahren sorgen.

Wirkt etwas sehr künstlich, verfremdet oder digital wie beispielsw­eise die überzeichn­eten Kampfszene­n in „300“, so wird dies als weniger bedenklich eingeschät­zt. Die Zukunft der Berliner Spezialist­en scheint insofern gesichert.

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FOTOS: DPA Lars Köppling füllt Filmblut der Sorte „Dunkel Standard“aus dem Rührgerät per Trichter in einen Plastikkan­ister.
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Die Sorte „Blau“gibt es auch – zum Beispiel für verwundete Außerirdis­che.

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