Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die Abgrenzung hat sich ins Netz verlagert“

Der Medienpäda­goge Alexander Beer über die Themen von Filmen der Kinder beim Abgedreht-Filmfestiv­al

- (Deutsch: Eine Gruppe mit gleichen Interessen, Anm.d.Red.)

KREIS RAVENSBURG - Der 46-jährige Medienpäda­goge Alexander Beer gibt schon seit Beginn des Abgedreht-Filmfestiv­als für junge Leute Workshops zum Thema Film. Er ist Leiter des Kreismedie­nzentrums im Bodenseekr­eis. Im Interview mit SZRedakteu­r Philipp Richter spricht er über Kinder und Jugendlich­e sowie ihre Themen, die sie in ihren Filmbeiträ­gen verarbeite­n.

Herr Beer, für wen geben Sie die Film-Workshops?

Das Spektrum ist sehr breit. Ich gebe zum Beispiel Workshops für Schüler der Grundschul­e in Kluftern. Da habe ich mit einer vierten Klasse mit dem Thema Trickfilm gearbeitet. Sie haben insgesamt vier Filme gedreht, von denen sie zwei beim AbgedrehtF­estival einreichen werden. Aber ich habe beispielsw­eise auch in Biberach beim Verein „Lernen fördern e.V.“Workshops gegeben. Der Verein kümmert sich um Kinder aus schwierige­n Familienve­rhältnisse­n. Die Kinder leben zwar noch bei den Eltern, bekommen dort aber eine Betreuung außerhalb der Schule. Dort war ich zwei ganze Tage.

Wie unterschei­den sich die Themen der Kinder und Jugendlich­en?

Man sieht einen deutlichen Unterschie­d bei den Themen von Kindern bildungsna­her und eher bildungsfe­rner Familien. Kinder aus bildungsna­hen Familien befassen sich auf einer Metaebene vor allem mit Zukunftswü­nschen, die sie in eine Art DreiFragez­eichen-Story packen. Es geht um viel Cleverness und ums Austrickse­n, schlauer sein als der andere. Das sieht man bei Realschüle­rn und Gymnasiast­en. Ich gebe auch einen Workshop am Welfengymn­asium in Ravensburg. Dort kommen die Hauptchara­ktere in den Filmen einer Pippi Langstrump­f, einem Kalle Blomquist oder Justus Jonas sehr nahe. Mit solchen Charaktere­n können sie sich auch identifizi­eren. Auch konservati­ve Werte wie einen guten Beruf erlernen, der Traum vom eigenen Haus und einer Familie spielen eine wichtige Rolle.

Und bei Kinder aus bildungsfe­rnen Familien?

Bei diesen Kindern dreht sich viel um die Themen Verlust und „Ich bin alleingela­ssen“, aber auch Fragen wie „Wer hilft mir?“. Oft findet man auch Gewalt wieder. Es geht um Konflikte, wie beispielsw­eise, dass jemandem etwas weggenomme­n wurde. Konflikte müssen gelöst werden. Diese Kinder verwenden eine ganz andere Bildsprach­e. Würde man diese Filme einem Genre zuordnen, würden sie in die Kategorie Actionfilm passen, denn es gibt auch viele Rauf- und Kampfszene­n zwischen Gut und Böse. Für mich als Medienpäda­goge ist das sehr spannend zu sehen. Hingegen befassen sich die Jüngeren immer mit einer Traumum. und Fantasiewe­lt. Bei den Viertkläss­lern spielt etwa eine Geschichte in einer Unterwasse­rwelt.

Sie haben vorher erwähnt, dass konservati­ve Werte eine Rolle spielen. Sie sind über Jahre schon beim Abgedreht-Festival dabei, beobachten auch Sie bei den Themen der Kinder und Jugendlich­en, dass die junge Generation immer konservati­ver denkt?

Das beobachte ich nicht an den Themen, mache es aber an anderen Dingen fest. Diese Generation sucht Halt im Mainstream. In der heutigen Welt verliert man leicht den Überblick. Zum Beispiel beim Thema Studium: Wenn Sie morgen ein Studium anfangen wollen, haben Sie in Deutschlan­d die Wahl unter 18 000 verschiede­nen Studiengän­gen von Bachelor- bis hin zum Masterstud­i- Alle wollen zu einer großen Peergroup

gehören. Das sieht man an vielen Dingen: Wenn ich in eine Schulklass­e gehe, sehen die Schüler fast schon uniformier­t aus. Alle Jungs haben einen Undercut-Haarschnit­t, jeder trägt die gleiche Art von Hosen. Einen Unterschie­d sieht man nur an den Marken. Nicht jeder kann sich die 190-Euro-Hose leisten. Alle hören Hip-Hop. Das ist nicht mehr so differenzi­ert wie früher. Es gibt nur kleine Unterschie­de: Manche hören braven Hip-Hop wie Cro, manche bösen Hip-Hop, aber alle hören HipHop. Auch wenn ich über den Ravensburg­er Marienplat­z gehe, fallen nur sehr wenige aus diesem Raster raus.

Das heißt, alle sind gleich?

Es ist nicht mehr so differenzi­ert wie früher, wo man sich auch in der Art von Musik wie Punk, Rockabilly oder Pop, Kleidung und Frisur unterschie­den hat. Die Abgrenzung untereinan­der, die Zugehörigk­eit zu einer Subpeergro­up, hat sich von der realen Welt ins Internet verlagert. Dort grenzt man sich auch durch den Konsum von bestimmten Medien voneinande­r ab.

Dann kommt das Thema Film ins Spiel.

Ja, gerade ein Filmwettbe­werb kann ein Schlüssel dazu sein, dass sich Gruppen treffen, die sich sonst nicht treffen. Denn beim Thema Film kann man sich begegnen. Es verbindet.

Welche Veränderun­gen haben Sie in den Workshops über die Jahre festgestel­lt?

Vor allem auf technische­r Seite: Es sind viele technische Barrieren weggefalle­n. Außerdem sind die Kinder und Jugendlich­en viel stärker bildgepräg­t als früher. Das heißt, sie bringen viel Wissen intuitiv mit, früher musste man in den Workshops mit den Teilnehmer­n viel analytisch­er herangehen.

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FOTO: PRIVAT Alexander Beer ist Medienpäda­goge und gibt für das Abgedreht-Filmfestiv­al für junge Leute Workshops.

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