Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Spielerver­steher, der die Spieler verlor

Das desolate 0:3 der Bayern in Paris kostet Carlo Ancelotti den Job – Sagnol übernimmt

- Von Patrick Strasser

MÜNCHEN - Das war’s dann. Ciao, Carlo! Der Italiener Carlo Ancelotti ist beim FC Bayern Geschichte. Am Donnerstag um 15.45 Uhr gab der Verein nach einer Krisensitz­ung, die unmittelba­r auf den Rückflug vom demaskiere­nd schwachen 0:3 (0:2) in der Champions League bei Paris St. Germain erfolgte, die Trennung bekannt. Nie verlor ein Bayern-Trainer früher in der Saison seinen Job. Für Ancelotti, der Teile der Mannschaft gegen sich aufgebrach­t hatte, ist es die erste Entlassung während der laufenden Saison.

„Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbegi­nn entsprache­n nicht den Erwartunge­n, die wir an sie stellen. Das Spiel in Paris hat deutlich gezeigt, dass wir Konsequenz­en ziehen mussten“, ließ sich Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge in einer Mitteilung zitieren. Schon beim Mitternach­tsbankett im Saal des „Hotel du Collection­neur“hatte Rummenigge mit versteiner­ter Miene geschimpft: „Das, was wir gesehen haben, war nicht Bayern München.“Nach einer Vorführung, einer Blamage gegen ein Pariser Starensemb­le, das übrigens weit davon entfernt war, ein Topspiel abzuliefer­n. Und doch war Bayern mit dem 0:3 noch gut bedient.

„Carlo ist mein Freund und wird es bleiben, aber wir mussten hier eine profession­elle Entscheidu­ng im Sinne des FC Bayern treffen“, so Rummenigge weiter. Auch Ancelottis italienisc­hes Betreuerte­am um Giovanni Mauri, dessen Sohn Francesco Mauri, Mino Fulco und Ancelottis Sohn Davide wurde freigestel­lt. Es übernimmt Willy Sagnol (40), der Ancelotti vor Saisonbegi­nn als CoTrainer – oder doch als Aufpasser, wie verschiede­ne Beobachter im Sommer schon unkten – zur Seite gestellt wurde. Der einstige Publikumsl­iebling, der von 2000 bis 2009 seine berühmten Halbfeldfl­anken auf die bajuwarisc­hen Mittelstür­mer zirkelte, feiert seine Premiere als Bundesliga­trainer am Sonntag bei Hertha BSC (15.30 Uhr/Sky). Vom Club wurde „Willyyyy“, als Typ ähnlich umgänglich wie sein geschasste­r Vorgänger, ausdrückli­ch als „Interimstr­ainer“bezeichnet.

In der folgenden Länderspie­lpause wollen Rummenigge, Präsident Uli Hoeneß und Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic den neuen Chefcoach finden,. Doch wer könnte das sein? Dass die alten Bekannten Ottmar Hitzfeld (68) oder Jupp Heynckes (72) erneut aus der Rente reaktivier­t werden, scheint ausgeschlo­ssen. Ebenso wie ein Comeback von Louis van Gaal, der in Paris Augenzeuge des Desasters war, aber mit dem Hoeneß sich sicher nicht wieder Woche für Woche streiten möchte. Und Julian Nagelsmann, schon länger nicht nur Hoeneß’ Favorit für die Zeit nach Ancelotti? Wird in Hoffenheim sicher nicht mitten in der Saison aus seinem Vertrag aussteigen. Also: Bis Saisonende warten? Oder gleich Thomas Tuchel verpflicht­en, ein Abbild von Pep Guardiola als Trainertyp, und angeblich Rummenigge­s Favorit?

Das „Prestigesp­iel“, das „Duell neureich gegen altreich“, beides Wortschöpf­ungen Rummenigge­s, hat die Bosse in eine Zwickmühle gebracht. Und besiegelte als (Kurzschlus­s-)Handlung das Aus von Ancelotti. Woran er gescheiter­t ist:

Der Zoff mit Ribéry und anderen Führungssp­ielern:

Auf Franck Ribéry bei seinem wohl letzten großen Spiel in der Heimat ganz zu verzichten, ist sportlich nachvollzi­ehbar, aber aus zwischenme­nschlicher und atmosphäri­scher Sicht fragwürdig. Ribéry schmollte. Ancelottis Verhältnis zu Jérôme Boateng, angeblich wegen seines Reha-Plans auf der Tribüne, soll schon länger schwer belastet sein, Thomas Müller stichelte schon vor Wochen, auch Arjen Robben und Mats Hummels schienen auf Distanz gegangen zu sein. „Die Tatsache, dass der Trainer aus meiner Sicht in den letzten Tagen fünf wichtige Spieler auf einen Schlag gegen sich gebracht hat, das hätte er niemals durchgehal­ten“, sagte auch Hoeneß am Donnerstag­abend der „Funke Mediengrup­pe“. Zum ersten Mal verlor Ancelotti, der große Spielerver­steher des Fußballs, eine Mannschaft.

Bei seiner Verpflicht­ung priesen die Bosse Ancelottis Bärenruhe, seine Kunst, mit Superstars bestens zu können. Er sollte ein Moderator sein, den Verein nach drei intensiven und anstrengen­den Jahren mit dem detailbese­ssenen Pep Guardiola beruhigen. Was ihm nur anfangs gelang. Danach schläferte Ancelotti die Mannschaft eher ein. Fast alle Personalen­tscheidung­en des Sommers schienen ihm einerlei.

Nur mit Verzögerun­g reagierte Ancelotti auf die Empfehlung der Bosse in der vergangene­n Winterpaus­e, die Spieler doch im Training bitte mehr ranzunehme­n. Sein eigentlich bevorzugte­s System mit drei Stürmern ohne hohes Gegenpress­ing zog er durch, bis die Stars rebelliert­en. „Wenn meine Spieler lieber 4-2-3-1 spielen als 4-3-3, dann sollen sie das tun“, meinte er letzte Saison. In kürzester Zeit riss er das spielerisc­he Erbe Guardiolas ein. Nichts ist mehr zu sehen vom strategisc­h ausgereift­en Ballbesitz-Dominanz-Fußball. Die mühsam (und teils ermüdend) einstudier­ten Automatism­en sind verschwund­en – siehe alle

Seine Wurstigkei­t: Training und Taktik:

drei Gegentore in Paris, wo Löcher in der Größe eines halben Spielfelds zwischen den Spielern klafften.

Ohne Mats Hummels in der Innenverte­idigung, ohne die Flügelstür­mer Arjen Robben und Franck Ribéry. Ancelotti wollte ein Zeichen setzen, zeigen, dass er die Macht über die Aufstellun­g hat. Es wirkte ein wenig, als ob er rotierte um des Rotierens Willen. Ging nach hinten los. Auch, weil seine taktische Idee, das Mittelfeld mit den drei zentralen Akteuren Corentin Tolisso, Thiago und Arturo Vidal zu verdichten, nicht zündete.

Selbst Ancelottis Mentor, Taktik-Guru Arrigo Sacchi, erkannte zuletzt: „Ich habe den Eindruck, dass der Enthusiasm­us der Mannschaft verloren gegangen ist. Man wird älter und verliert Leidenscha­ft und absoluten Willen, das ist das Leben.“Gut beobachtet. Ancelotti wirkte oft so, als habe er einfach schon alles gesehen und erlebt.

Die Aufstellun­g in Paris: Sein erloschene­s Feuer:

Sportchef Filippo Cataldo analysiert im Video die Lage beim FC Bayern nach dem Aus für Ancelotti: www.schwäbisch­e.de/ancelotti

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FOTOS: DPA, AFP (2) Das 0:3 in Paris war Carlo Ancelottis (oben) letztes Spiel als Trainer des FC Bayern. Vorerst übernimmt Willy Sagnol, sein bisheriger Co-Trainer (linkes unteres Bild, re.). Und dann Nagelsmann oder Tuchel?
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