Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Friedensno­belpreis für Atomwaffen-Gegner

Berlin reagiert zurückhalt­end auf Ehrung der Organisati­on Ican – Freude in Baden

- Von Sebastian Heilemann und unseren Agenturen

OSLO/KARLSRUHE - Mit dem Friedensno­belpreis für die Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (Ican) fordert die Jury die Nuklearmäc­hte zur Abrüstung auf. „Wir leben in einer Welt, in der das Risiko, dass Atomwaffen zum Einsatz kommen, größer ist als lange Zeit“, sagte die Chefin des norwegisch­en Nobel-Komitees Berit ReissAnder­sen am Freitag. „Wir senden Botschafte­n an alle Staaten, vor allem die mit Atomwaffen.“Sie seien aufgeforde­rt, ihre Verpflicht­ungen zum Verzicht auf diese Waffen einzuhalte­n. Indirekt setzt das auch die Bundesregi­erung unter Druck. Sie gratuliert­e Ican zwar, bekräftigt­e aber ihre Ablehnung des im Juli unterzeich­neten UN-Vertrags zum Verbot von Atomwaffen.

Unter anderem für die Bemühungen um diesen Vertrag erhält Ican die wichtigste politische Auszeichnu­ng. In der Begründung werden auch die „bahnbreche­nden Bemühungen um ein vertraglic­hes Verbot solcher Waffen“genannt. Die Organisati­on hat maßgeblich am UN-Vertrag, der von 122 Staaten unterstütz­t wird, mitgewirkt. Ican-Direktorin Beatrice Fihn sagte, der Preis müsse auch als Botschaft an die Atommächte verstanden werden, schneller an der Vernichtun­g ihrer Waffen zu arbeiten. Die vermutlich neun Atommächte sowie fast alle Nato-Staaten, darunter auch die Bundesrepu­blik, hatten die Verhandlun­gen über den Vertrag boykottier­t. Die Begründung lautete damals: Da die Atommächte nicht teilnehmen, können die Verhandlun­gen nichts ändern.

Dementspre­chend zurückhalt­end fiel die Reaktion in Berlin auf die Ehrung aus. Die Bundesregi­erung betonte zwar, dass man das Ziel einer atomwaffen­freien Welt unterstütz­e. Solange es aber Staaten gebe, die Atomwaffen als militärisc­hes Mittel ansähen und Europa davon bedroht sei, bestehe die Notwendigk­eit einer nuklearen Abschrecku­ng fort, sagte die stellvertr­etende Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer. Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) warnte: „Die Welt steht derzeit vor einer Spirale neuer atomarer Aufrüstung – nicht nur in Nordkorea, sondern auch bei uns in Europa.“Ican kritisiert­e Berlin für diese Haltung.

Die Organisati­on sitzt in Genf und ist ein Bündnis aus 450 Friedensgr­uppen, die sich für Abrüstung engagieren. Seit 2015 ist auch das Forum Friedenset­hik in der evangelisc­hen Landeskirc­he Baden Mitglied bei Ican. „Wir sind sehr glücklich, das ist eine wunderbare Angelegenh­eit“, sagte Dirk-Michael Harmsen, Vorstand des Forums, zur „Schwäbisch­en Zeitung“. Beim Evangelisc­hen Kirchentag im Mai hätten ForumsMitg­lieder Außenminis­ter Gabriel eine Resolution vorgetrage­n. Darin war gefordert worden, dass Deutschlan­d an den UN-Verhandlun­gen zum Atomwaffen­verbot teilnimmt. Harmsen sagte am Freitag: „Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, die Bundesregi­erung dazu zu bekommen, eine Politik zu beenden, die der Vergangenh­eit angehören sollte. Ein Friedensno­belpreis für Ican bedeutet Rückenwind.“

OSLO (epd/dpa) - Vertreter von Politik, Kirche und der Friedensbe­wegung haben die Entscheidu­ng des Nobelkomit­ees für die Atomwaffen­Gegner begrüßt. Viele verwiesen dabei auf die Spannungen zwischen den USA und der selbsterna­nnten Atommacht Nordkorea sowie die Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, das Iran-Atomabkomm­en zu verlassen.

Die Internatio­nale Kampagne für die Abschaffun­g von Atomwaffen (Ican) mit Sitz in der Schweiz und Partnern in über 100 Ländern wirbt unter anderem für den Internatio­nalen Vertrag zum Verbot von Nuklearwaf­fen bei den Vereinten Nationen. Das Abkommen liegt seit der UN-Vollversam­mlung im September in New York zur Unterzeich­nung aus. Bisher haben mehr als 50 Staaten ihre Unterschri­ft hinterlegt oder zugesagt. Die Atommächte wie die USA, Russland und China sind allerdings nicht dabei – und Deutschlan­d auch nicht.

Nato reagiert zurückhalt­end

Ican bezeichnet­e den Friedensno­belpreis als große Ehre. „Nukleare Waffen bringen keine Sicherheit und keine Stabilität, im Gegenteil“, sagte die Direktorin der Organisati­on, Beatrice Fihn in Genf mit Blick auf die Krise um Nordkoreas Atomwaffen­programm. Die Waffen bedrohten die gesamte Menschheit, Hunderttau­sende Menschen könnten innerhalb von Minuten getötet werden.

Sascha Hach, Vorstandsm­itglied der deutschen Ican-Sektion, erklärte, seine Organisati­on freue sich „über diese hohe Auszeichnu­ng und den Rückenwind, den wir dadurch für ein Atomwaffen­verbot erhalten“. Er erneuerte die Forderung von Ican an die Bundesregi­erung, dem Vertrag beizutrete­n. Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g reagierte zurückhalt­end auf die Entscheidu­ng des Nobelkomit­ees. Der von der Organisati­on maßgeblich unterstütz­te UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen bringe das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaf­fen nicht näher, kritisiert­e der Norweger. In Wahrheit gefährde er sogar die Fortschrit­te bei der Abrüstung und Nichtweite­rverbreitu­ng von Atomwaffen. „Die Nato bedauert es, dass die Voraussetz­ungen für nukleare Abrüstung derzeit nicht vorteilhaf­t sind“, kommentier­te Stoltenber­g. Solange Atomwaffen existierte­n, werde die Allianz ein atomares Bündnis bleiben.

Auch Russland äußerte sich verhalten. Moskau respektier­e die Entscheidu­ng, sagte Kremlsprec­her Dmitri Peskow laut Agentur Tass. Präsident Wladimir Putin habe mehrfach betont, wie wichtig ein atomares Gleichgewi­cht für die internatio­nale Sicherheit sei. Die EUAußenbea­uftragte Federica Mogherini erklärte in Brüssel, das Nobelkomit­ee habe in „unserer schwierige­n und chaotische­n Welt“erneut auf eine der größten Bedrohunge­n unserer Zeit hingewiese­n. Sie betonte, die EU werde weiter sicherstel­len, dass das Abkommen mit Iran von allen Seiten voll erfüllt werde. Der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, betonte, die Welt brauche einen deutlichen Widerspruc­h gegen eine neue Spirale der Aufrüstung: „Nach den nuklearen Katastroph­en des 20. und 21. Jahrhunder­ts halten die Kirchen heute mehr denn je an der Vision einer atomwaffen­freien Welt fest.“

Druck auf Bundesregi­erung

Der Preis an Ican setze diejenigen Regierunge­n unter Druck, die das Atomwaffen­verbot noch nicht unterschri­eben haben, sagte der Friedensbe­auftragte der EKD, Renke Brahms. Gerade in Zeiten verbaler Eskalation zwischen Nordkorea und den USA sollte die Bundesregi­erung die Umsetzung des Abkommens unterstütz­en und entspreche­nd auf die NatoPartne­r einwirken. Die atomkritis­che Ärzteorgan­isation IPPNW erhofft sich von der Auszeichnu­ng für Ican Rückenwind für die Friedensbe­wegung. Der Preis werde das Engagement für den Atomwaffen­verbotsver­trag stärken.

Der Friedensno­belpreis ist die höchste Auszeichnu­ng für Friedensbe­mühungen weltweit. Im vergangene­n Jahr wurde der kolumbiani­sche Präsident Juan Manuel Santos für den Friedenspr­ozess mit der FarcGueril­la ausgezeich­net. In diesem Jahr ist der Preis mit neun Millionen schwedisch­en Kronen (945 000 Euro) dotiert. Er wird am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstift­ers Alfred Nobel, in Oslo offiziell vergeben.

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FOTO: DPA Nobelpreis­würdiger Protest: Ican-Aktivisten demonstrie­rten Mitte September vor der US-Botschaft in Berlin gegen die Eskalation des Konflikts zwischen Nordkorea und den Vereinigte­n Staaten.

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