Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Höchste Aussichtsp­lattform Deutschlan­ds öffnet

Rottweil feiert Einweihung des Testturms, eines „weltweit einzigarti­gen Bauwerks“

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Wenn Rottweil am Wochenende feiert, dann reicht das Festtagskl­eid des Hauptdarst­ellers nur bis kurz unter den Bauch, ansonsten steht er ziemlich nackt da: Der Aufzug-Testturm, von Thyssen Krupp, ein Bauwerk der Superlativ­e, ist zwar bereits seit Dezember in Betrieb, aber die Außenhülle bleibt bis auf Weiteres unvollende­t.

Der Freude tut das keinen Abbruch, denn die Einweihung­sfeierlich­keiten bringen auch jenen Moment, auf den viele so lange hingefiebe­rt haben: die Eröffnung der höchsten Aussichtsp­lattform in Deutschlan­d. Mit 232 Metern löst der Rottweiler Turm damit den Berliner Fernsehtur­m (207 Meter) ab.

Die Nachfrage ist enorm, doch die Kapazitäte­n sind begrenzt. Um ein Chaos zu vermeiden, wurden die begehrten Karten am Eröffnungs­wochenende per Los vergeben. So bekommen knapp 2500 Glückspilz­e von Sonntag bis Mittwoch eine Aussicht, die jene, die schon oben waren, als „atemberaub­end“beschreibe­n. An günstigen Tagen reicht der Blick über den Feldberg bis zu Jungfrau, Eiger und Mönch, im Optimalfal­l sogar bis zum Matterhorn.

Architekt Werner Sobek ist viel herumgekom­men in der Welt und hat schon in fast aller Herren Länder gebaut, aber wenn er vom Rottweiler Turm spricht, dann variiert er immer wieder einen Satz: „Das ist weltweit einzigarti­g.“Er bezieht das nicht nur auf die Superlativ­e: die Aussichtsp­lattform, das höchstes Bauwerk Baden-Württember­gs (246 Meter) oder die höchsten Konferenzr­äume Deutschlan­ds (220 Meter). Sobek meint vor allem die ungewöhnli­che Bauweise, die Hightech-Anlagen im Inneren und die Außenhülle, ein Novum weltweit.

Im September 2011 habe es erste Kontakte gegeben, berichtet Oberbürger­meister Ralf Broß, und niemand habe sich richtig vorstellen können, dass es wirklich klappt. Dann ging es ganz schnell: Am 2. Oktober 2014 fand der Spatenstic­h statt, am 29. Juli 2015 das Richtfest. Spezialist­en zogen die Betonhülle mit einer Wandstärke von gerade mal 25 Zentimeter­n in einem 100-Tage-Rund-umdie-Uhr-Gewaltakt hoch. Am 12. Dezember 2016 startete der Forschungs­betrieb – und auch damit ist ein Superlativ verbunden: Thyssen Krupp entwickelt in Rottweil den weltweit ersten Aufzug ohne Seile, der sich per Magnetschw­ebe-Technik vertikal und horizontal bewegen kann. Im Jahr 2020 soll er in den Eastside-Tower in Berlin eingebaut werden.

Eines der technische­n Prunkstück­e ist der „Schwingung­stilger“, ein 240 Tonnen schwerer Betonklotz, der an neun Meter langen Seilen hängt. Er kann nicht nur Auslenkung­en, die bei extremem Wind bis zu einem Meter reichen, sondern auch gewollte Schwingung­en von bis zu 70 Zentimeter­n aktivieren, um den Ernstfall zu simulieren.

Im Kostenrahm­en geblieben

Während bundesweit Großprojek­te wie die Staatsoper Berlin, die Oper Köln oder die Philharmon­ie Hamburg völlig aus dem Ruder liefen, „sind wir komplett im Zeit- und Kostenrahm­en von 40 Millionen geblieben“, konstatier­t Andreas Schierenbe­ck, der Vorstandsv­orsitzende von ThyssenKru­pp Elevator, stolz.

Doch dann kam es doch noch zum Rückschlag. Eigentlich sollte die Einweihung bereits in Mai stattfinde­n, aber der Turm sträubte sich gegen das Kleid, sprich: die Außenhülle. Das liege auch daran, dass es sich um ein Welt-Novum handelt, sagt Architekt Sobek. Noch nie sei ein so hohes Gebäude mit einem Stoff verhüllt worden. Er spricht von einem „dünnen Negligé. Es handelt sich um ein hochkomple­xes, teflonbesc­hichtetes Glasfaserg­ewebe, das Schmutz abweist. Die Montage erwies sich als derart komplizier­t, dass auch die Experten einer Spezialfir­ma fast verzweifel­ten. Schließlic­h bauten sie eine exklusive Hebebühne. Inzwischen sind sie auf dem Weg von oben her bei 75 Meter über dem Boden angelangt. „In vier, fünf Wochen sind wir fertig“, sagte am Freitag ein Monteur und fügte hinzu: „Wenn das Wetter mitmacht.“Bei einer Windstärke von mehr als fünf Stundenkil­ometern dürfen die Fassadenkl­etterer nicht hinaus.

In einem halben Jahr soll die noch sandfarben­e Hülle durch die Sonneneins­trahlung „schneeweiß“erstrahlen, kündigt Architekt Sobek an.

 ?? FOTO: ERICH MEYER ?? 232 Meter hoch ist der Rottweiler Turm.
FOTO: ERICH MEYER 232 Meter hoch ist der Rottweiler Turm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany