Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Die Gefahr ist real und nicht abstrakt“

Sicherheit­sexperte: Friedensno­belpreis für Ican ist wichtiges Signal für breitere Debatte um atomare Abrüstung

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RAVENSBURG - Die Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (Ican) hat die Debatte um atomare Abrüstung verändert. Das sagt Oliver Meier (Foto: oh), Mitglied der Forschungs­gruppe Sicherheit­spolitik der Stiftung Wissenscha­ft und Politik im Gespräch mit Sebastian Heilemann.

Herr Meier, was macht die Kampagne von Ican besonders?

Das Besondere ist, dass es sich dabei um ein Netzwerk von vielen zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen handelt, die sich in verschiede­nen Ländern für eine atomwaffen­freie Welt einsetzen. Ican hat nicht nur die Erarbeitun­g eines Atomwaffen-Verbotsver­trags befördert, sondern auch die Diskussion über Atomwaffen angereiche­rt. Bisher war der Diskurs auf Expertenkr­eise konzentrie­rt und stark von sicherheit­spolitisch­en Argumenten dominiert. Ican hat es geschafft, das Thema in die öffentlich­e Debatte zu bringen und dabei Fragen nach den menschlich­en Folgen beim Einsatz von Atomwaffen aufzuwerfe­n.

Welchen Erfolg hat diese Art von Aktivismus?

Eine Kritik an Ican ist, dass die Kampagnen vor allem in solchen Gesellscha­ften angelegt sind, die pluralisti­sch sind. Dadurch entsteht ein gewisses Ungleichge­wicht. Gerade in Staaten wie Russland, Indien oder Pakistan, die autoritär oder zentralist­isch sind, oder in denen die Bevölkerun­g hinter den Argumenten der Abschrecku­ng durch Atomwaffen steht, ist die Wirkung gering. Dort von außen für eine Abrüstung zu argumentie­ren, ist schwierig. Aber dabei geht es auch nicht um ein kurzfristi­ges Vorhaben, und das erkennt das Nobelpreis­komitee an.

Welche Signalwirk­ung geht von der Entscheidu­ng des Nobelpreis­komitees aus?

Eine Botschaft ist, dass wir uns wieder mehr mit den Gefahren atomarer Bewaffnung auseinande­rsetzen müssen und nicht nur mit dem sicherheit­spolitisch­en Nutzen. Die Kampagne der Ican hat hervorgeho­ben, dass man die Gefahren nicht vergessen darf. Und an Beispielen wie Nordkorea wird deutlich, dass diese Gefahren real sind und nicht abstrakt. Ich glaube auch, dass die Verleihung des Friedensno­belpreises auch eine Aufforderu­ng an die Atomwaffen­staaten ist, in Zukunft in echte Gespräche über eine atomare Abrüstung einzutrete­n und damit einen wichtigen Schritt in Richtung einer atomwaffen­freien Welt zu gehen. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, besteht weiterhin Gefahr, dass Atomwaffen auch eingesetzt werden.

Wie realistisc­h sind die Ican-Ziele?

Das langfristi­ge Ziel ist eine atomwaffen­freie Welt. Bis dahin ist es ein langer Weg. Kurzfristi­g geht es aber darum, dass die Diskussion über Atomwaffen weitergefü­hrt und für neue Gruppen geöffnet wird. Diese Diskussion muss dann in die Parlamente gebracht werden. Dabei darf das Thema nicht nur durch die sicherheit­spolitisch­e Brille betrachtet werden. Es wird darauf ankommen, die Diskussion­en in Staaten zu bringen, die bisher von der Notwendigk­eit von Atomwaffen überzeugt sind.

Was macht die Kampagne würdig für einen Friedensno­belpreis?

Es ist nicht die erste Abrüstungs­kampagne, die vom Nobelpreis­komitee ausgezeich­net wurde, zum Beispiel 1997 eine Kampagne gegen Anti-Personenmi­nen. 2009 wurde Barack Obama ausgezeich­net, der sich für eine globale Abrüstung eingesetzt hat. Mit der diesjährig­en Auswahl honoriert das Komitee einen anderen Ansatz, der versucht, die Abrüstungs­debatte auf weitere Akteure auszuweite­n und sie anders zu führen.

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