Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Wir halten Aktien für fair bewertet“
Anlagestrategen von Deutscher Bank und Commerzbank über aktuelle Chancen an der Börse
RAVENSBURG - Die faktische Abschaffung der Zinsen macht die Geldanlage für die als zinsaffin geltenden deutschen Sparer nach wie vor zu einem großen Problem. Wann sich an dieser Situation etwas ändern könnte und wo Anleger noch mit positiven Renditen rechnen können, erklären die Chef-Anlagestrategen der Deutschen Bank und der Commerzbank, Ulrich Stephan und Chris-Oliver Schickentanz, im Interview mit Andreas Knoch.
Die Wirtschaft läuft. Die Wachstumsaussichten, gerade im Euroraum, werden angehoben. Haben wir den Krisenmodus hinter uns?
Stephan: Ganz so optimistisch bin ich da nicht. Wir haben in den vergangenen Jahren zu wenige Strukturreformen durchgeführt. Zwar läuft die Konjunktur im Moment gut, aber es wird zu wenig für das Potenzialwachstum getan. Das größte Problem ist die seit Jahren schwächelnde Produktivität. Wenn das Produktivitätswachstum nicht zurückkommt, dürften die Zinsen in Europa noch über Jahre auf niedrigem Niveau bleiben.
Was erwarten Sie von der nächsten EZB-Sitzung im Oktober?
Schickentanz: Wir gehen davon aus, dass Mario Draghi auf der EZB-Sitzung im Oktober erste Hinweise gibt, wie er das Anleihekaufprogramm drosseln will. Anfang Januar 2018 könnte das augenblickliche Ankaufvolumen von 60 Milliarden Euro monatlich sukzessive reduziert werden. Allein schon aus technischen Gründen: Denn die Währungshüter in Frankfurt dürfen nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Staatsanleihen eines Euromitglieds aufkaufen. Beim Status quo wird die Notenbank diese Grenze im Fall von Deutschland schon in den kommenden Monaten erreichen. Stephan: Wir rechnen mit einem schrittweisen Ausstieg aus den krisenbedingten geldpolitischen Sondermaßnahmen vom kommenden Jahr an, in dem die EZB ihr Anleihekaufprogramm zurückfahren dürfte. Der Schritt dürfte Staatsanleihen stärker betreffen als Unternehmensanleihen. Daher könnten Unternehmensanleihen noch interessant bleiben.
Wann wird Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), die Zinsen erhöhen?
Stephan: Zinsanhebungen werden wir nicht vor 2018 oder 2019 sehen – und wenn, dann auch nicht gleich bei dem für Anleger relevanten Hauptrefinanzierungssatz. Erste Zinsschritte der EZB dürften den Einlagensatz betreffen, der aktuell bei minus 0,4 Prozent liegt und den Banken zahlen, wenn sie Geld bei der EZB deponieren. Und je stärker der Euro aufwertet, desto länger wird sich die Zinswende hinziehen. Schickentanz: Im ersten Halbjahr 2019 könnte es so weit sein. Die EZB wird bis dahin ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent zwar nicht erreichen. Auf ihrer Ratssitzung im September hat sie die Prognose für die Kerninflation gerade wieder gesenkt. Doch die Konjunktur läuft immer besser. Gleichwohl: Es wird ein sehr zäher Zinserhöhungszyklus. Die EZB muss sehr unterschiedliche Staaten über einen geldpolitischen Kamm scheren. Der aktuelle Leitzins ist für viele Länder aus der Europeripherie zwar angemessen, für Deutschland müsste er auf Basis der Wachstums- und Inflationsraten aber bei 2,5 bis drei Prozent liegen.
Wie beurteilen Sie die Aussichten am Rentenmarkt?
Stephan: Wir sind bei Anleihen vorsichtig. Wenn, dann sollten Anleger auf Kurzläufer setzen, die bei einem zyklischen Renditeanstieg nicht so stark verlieren wie Langläufer. Bei Staatsanleihen der Eurozone bevorzugen wir die Peripherie nach Ratingverbesserungen in einigen Ländern. Schickentanz: Unserer Meinung nach existieren am Rentenmarkt spürbare Korrekturrisiken. Der Renditerückgang über den Sommer ist vor allem den politischen Krisenherden wie Nordkorea geschuldet. Wenn sich die Situation dort wieder entspannt, und davon gehen wir aus, werden die Renditen bei Staatsanleihen wieder steigen – und die Kurse festverzinslicher Anleihen entsprechend sinken. Gründe dafür sind die gute konjunkturelle Situation der Weltwirtschaft und tendenziell steigende Inflationsraten. Zudem dürfte die EZB als Käufer von Staatsanleihen im kommenden Jahr den Rücktritt antreten.
Was halten Sie von Unternehmensanleihen als Alternative zu Staatsanleihen?
Stephan: Unternehmensanleihen sind bereits sehr teuer. Papiere mit guten Bonitäten im Investmentgrade und mit mittellangen Laufzeiten rentieren aktuell mit nur noch etwa 0,8 Prozent. Hochzins-Anleihen, früher auch „Schrottanleihen“genannt, werfen rund drei Prozent ab. Gerade in diesem Segment werden Anleger für das eingegangene Risiko nicht mehr ausreichend entschädigt. Etwas bessere Chancen gibt es aktuell nur noch im Bereich der Schwellenländer-Anleihen, die, abhängig von der Währung, rund fünf Prozent abwerfen.
Schickentanz: Auch bei Unternehmensanleihen wird die Luft zunehmend dünner. Die Risikoaufschläge gegenüber sicheren Staatsanleihen sind fast auf einem 40-Jahrestief. Die durchaus positiven Konjunkturaussichten sind mehr als eingepreist. Relativ betrachtet dürften sich Unternehmensanleihen zwar besser als Staatsanleihen schlagen. Damit eine positive Rendite zu erwirtschaften, ist aber nur noch bei schwächeren Bonitäten möglich.
Der Dax hat zwischenzeitlich ein neues Rekordhoch erreicht. Wird der Kursaufschwung am Aktienmarkt weitergehen?
Stephan: Wir halten Aktien auf diesem Niveau für fair bewertet. Wie es weitergeht, bestimmen die Gewinnaussichten. Aktuell fahren die Unternehmen gute Gewinne ein. Analysten revidieren die Aussichten teilweise sogar nach oben. Hält dieser Trend an, werden die Aktienmärkte weiter zulegen. Regional bevorzugen wir den Euroraum und Japan. Schickentanz: Nach der Korrektur in den Sommermonaten sind die Bewertungen auf einem angemessenen Niveau. Was die weiteren Aussichten angeht, glauben wir, dass die historischen Durchschnittsgewinne an den Aktienmärkten, die bei rund neun Prozent jährlich liegen, in den kommenden Jahren nicht zu erreichen sind. Wir befinden uns in einem durch steigende Unternehmensgewinne getriebenen Kursaufschwung, bei dem Renditen von fünf bis sechs Prozent jährlich realistischer sind.
Was empfehlen Sie Anlegern? Wie sollten diese ihr Geld investieren?
Stephan: Das kommt auf das persönliche Risikoprofil an. Generell sollten Anleger angesichts vorhandener geld- und realpolitischer Risiken breit streuen. Risikofreudigen Investoren empfehlen wir einen nennenswerten Anteil Aktien – durchaus 50 Prozent – sowie Staats- und Unternehmensanleihen sowie Immobilien. Konservativere Anleger sollten den Immobilienanteil im Depot auf Kosten der Aktien erhöhen. Schickentanz: Wir empfehlen einen Mix aus verschiedenen Anlageklassen mit Schwerpunkt Aktien. Sicherheitsorientierten Anlegern raten wir zu offenen Immobilienfonds, die zurzeit eine durchschnittliche Rendite von zwei Prozent per annum abwerfen
Die Kosten einer Fondsanlage stehen im aktuellen Kapitalmarktumfeld stärker in der Diskussion. Sollten Anleger eher auf passive Fonds wie Exchange Traded Funds (ETF, Indexfonds, die einen Index abbilden) setzen, die günstiger sind, oder auf aktiv gemanagte und hoffen, dass die teuren Fondsmanager den Markt schlagen?
Schickentanz: Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Aktives Management steht seit einiger Zeit in der Kritik, ob den höheren Kosten auch eine Überrendite gegenübersteht. In bestimmten Segmenten – etwa bei Dividenden oder Multi-Asset-Fonds – kann es die zweifellos liefern. Bei anderen Themen, etwa bei der Umsetzung kurzfristiger Anlagestrategien, sind ETFs sinnvoller. Stephan: Anleger sollten bei aktiv gemanagten Fonds genau schauen, welcher Fondsmanager dahinter steckt und wie dessen Bilanz der vergangenen Jahre aussieht. Bei ETFs ist die Liquidität eine wichtige Kenngröße. Prinzipiell gilt, dass es für aktives Fondsmanagement umso schwieriger wird, eine Überrendite zu erwirtschaften, je effizienter der Markt ist, in dem der Manager investiert. Der Dax beispielsweise gilt als sehr effizient.
Was können Anleger perspektivisch von Anlagerobotern erwarten?
Stephan: Wir glauben, dass es dafür in Deutschland einen Markt gibt und arbeiten intensiv an Lösungen. In den kommenden Wochen werden wir mit einer digitalen Vermögensverwaltung für Privatkunden an den Markt gehen, hinter der eine automatisierte Anlageberatung einer Kombination aus Mathematik und Menschen steckt. Erste Ergebnisse damit sind ermutigend. Man wird damit nicht den heiligen Gral der Vermögensallokation finden. Doch das ist auch gar nicht das Ziel. Der Mechanismus muss das liefern, was der Anleger erwartet. Schickentanz: Wir haben seit einigen Monaten über unsere Direktbanktochter Comdirect einen digitalen Anlageservice im Programm. Neben individuell zugeschnittenen Anlagevorschlägen übernimmt das Programm auch die regelmäßige Überprüfung und Optimierung des Depots. Solche Angebote werden hinsichtlich Quantität als auch Qualität zunehmen.