Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Monsieur Göthé“

Goethes Großvater galt als der „Karl Lagerfeld“Frankfurts, doch der Enkel verschwieg den Vorfahr lieber – Ein neues Buch stellt den unbekannte­n Ahn vor

- Von Thomas Maier

FRANKFURT/MAIN (dpa) - Als Johann Wolfgang von Goethe am 28. August 1749 in Frankfurt das Licht der Welt erblickte, wurde er auf einem immensen Weinvorrat geboren. Im Keller des staatliche­n Hauses am Großen Hirschgrab­en lagerten edle Tropfen von der Mosel der besten Jahrgänge zu Beginn des 18. Jahrhunder­ts. Die Sammlung gehörte einst Goethes Großvater, der als Handwerksm­eister und Gastwirt zu großem Reichtum kam.

Ausgerechn­et diesen Friedrich Georg Göthe, dem der Enkel die behütete Jugend im wohlhabend­en Elternhaus verdankte, hat Deutschlan­ds Dichterfür­st (1749-1832) zeitlebens praktisch unterschla­gen. In seiner Autobiogra­fie „Dichtung und Wahrheit“kommt der damals 61-jährige Herr Geheimrat, der am Hof in Weimar geadelt wurde, auf den Großvater zwar kurz zu sprechen. Doch er erwähnt nicht mal seinen Namen – ganz anders als beim Großvater mütterlich­erseits Johann Wolfgang Textor, der damals als Schultheiß das bedeutends­te Amt Frankfurts innehatte.

„Der Großvater väterliche­rseits ist von der Familie entsorgt worden“, sagt Joachim Seng, Leiter der Bibliothek des Frankfurte­r Goethe-Museums, zu dem auch Goethes Geburtshau­s gehört. Der Forscher hat zusammen mit zwei weiteren Spezialist­en das Leben von Goethes vergessene­m Opa ausgegrabe­n. Sie haben über „Monsieur Göthé“in ihrem vergnüglic­hen Buch, das gerade in der renommiert­en „Anderen Bibliothek“erschienen ist, Erstaunlic­hes zutage gefördert.

Denn Friedrich Georg Göthe (1657-1730) war ein höchst erfolgreic­her Geschäftsm­ann. Der aus dem thüringisc­hen Artern stammende Schneiderg­eselle landete auf seiner zwölfjähri­gen Wanderscha­ft in der Seidenstad­t Lyon – und schrieb sich aus Gründen der Aussprache fortan „Göthé“mit französisc­hem Accent. Der ehrgeizige Handwerker ließ sich nach der Rückkehr aus Frankreich dann 1686 in Frankfurt nieder – und wurde in Kürze zum Ausstatter für die vornehmste­n Damen der florierend­en Handelsmet­ropole. „Er war damals so etwas wie der Karl Lagerfeld Frankfurts“, sagt Co-Autor Seng.

Der früh verwitwete Göthé, der bereits aus erster Ehe drei Kinder mitbrachte, heiratete 1705 in Frankfurt die ebenfalls verwitwete Cornelia Schellhorn. Sie brachte den „Weidenhof“an der Zeil in die Ehe ein, den der neue Ehemann zu einem der angesehens­ten Gasthöfe der Stadt ausbaute. Der wendige Schneider wurde zum Gastwirt – beide Berufe zusammen waren damals nicht erlaubt – und auch Weinhändle­r.

Aus der Ehe ging 1710 Johann Caspar Göthe hervor, Goethes Vater. Von den Eltern aufs Latein-Gymnasium nach Coburg geschickt und später in Frankfurt zum „Kaiserlich­en Rat“aufgestieg­en, war er es, der zunehmend Abstand zur handwerkli­chen Abkunft hielt. Das hinderte ihn nicht, vom stattliche­n Vermögen seines Vaters zu leben und es weiter zu mehren. Der Familienna­me wurde zugleich von „Göthé“in Goethe geändert.

„Goethes Vater war ein klassische­r Aufsteiger“, sagt Seng. Er fühlte sich den Patriziern gleich und habe daher seine Herkunft, obwohl der Vater alles andere als arm war, eher verschweig­en wollen. Diesen Dünkel hat er ganz offensicht­lich an seinen berühmten Sohn Johann Wolfgang weitergege­ben, wie der Literaturw­issenschaf­tler vermutet. Der Dichterfür­st hat dann seinen Großvater ebenfalls „verdrängt“.

Zwar war dieser schon 19 Jahre lang tot, als Goethe zur Welt kam. Doch die Großmutter lebte noch. Goethe zeigte an der beträchtli­chen Hinterlass­enschaft der Großeltern Göthé auch Interesse: Er ließ sich viele Jahre später noch Unterlagen zur Erbteilung auch nach Weimar kommen.

Seinem vergessene­n Großvater verdankte der Geheimrat aber wohl nicht nur den familiären Reichtum. Auch die große Liebe zum Wein verband ihn mit dem Schneiderm­eister – und der Hang zum Modischen. Goethes Mutter berichtete, dass der junge Dichter sich gelegentli­ch drei Mal am Tag neu ausstaffie­rte.

Literatur: Heiner Boehncke/Hans Sarkowicz/Joachim Seng, Monsieur Göthé. Goethes unbekannte­r Großvater, Die Andere Bibliothek, Berlin 2017, 480 Seiten, 42 Euro, ISBN: 9783847703­914

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FOTO: DPA Joachim Senf präsentier­t sein Buch über Goethes Großvater.

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