Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Wie schwarz dieUnion ist

CDU und CSU auf der Suche nach ihrem Profil

- Von Sabine Lennartz

BERLIN - In der Union gärt es. 32,9 Prozent, ein historisch schlechtes Ergebnis bei der Bundestags­wahl und eine CDU-Chefin und Kanzlerin, die sich davon völlig ungerührt gibt. Vor allem die CSU will sich nicht abfinden mit dem Ergebnis. „Einfach weiter so geht nicht“, sagt Horst Seehofer. Das denken auch viele Abgeordnet­e im Süden des Landes. CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer fordert: „Wir müssen eine Kursorient­ierung innerhalb der Union machen.“Man müsse die rechte Flanke schließen. Auch die Junge Union macht Druck. Sie trifft sich in Dresden und hat wie Seehofer gefordert, nicht auf ein „weiter so“zu setzen. Außerdem fordert sie ein Ende der ungesteuer­ten Zuwanderun­g in die Sozialsyst­eme. In Dresden ist dieses Thema besonders virulent. „Die Leute wollen, dass Deutschlan­d Deutschlan­d bleibt“, hat Stanislav Tillich, der sächsische CDU-Ministerpr­äsident gesagt, nachdem die AfD in Sachsen 27 Prozent geholt hat und damit knapp vor der CDU lag. Kein Wunder also, dass Angela Merkel in Dresden erwartet wird, wenn sich die traditione­ll eher konservati­v aufgestell­te Junge Union trifft.

Vernachläs­sigt

Von einer „Vernachläs­sigung der konservati­ven Wählerscha­ft“, die Mitursache für das Entstehen und die Wahlerfolg­e der AfD sei, spricht eine Pressemitt­eilung des Berliner Kreises, der gemeinsam mit der neuen Werteunion an die Öffentlich­keit ging.

An diesem Sonntag nun wollen CDU und CSU Sondierung­sgespräche führen. Die zwei Parteichef­s Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), die Generalsek­retäre Peter Tauber (CDU) und Andreas Scheuer (CSU), Kanzleramt­sminister Peter Altmaier und der bayerische Innenminis­ter Joachim Hermann sowie Fraktionsc­hef Volker Kauder und Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt treffen sich im Adenauer-Haus in Berlin und verhandeln darüber, ob CDU und CSU „noch inhaltlich­e Geschwiste­r sind“.

Anlass der Überlegung­en ist die Schlappe bei der Bundestags­wahl: 63 Mandate hat die Unionsfrak­tion insgesamt verloren, davon zehn die CSU-Landesgrup­pe. Selbst die traditione­ll starke baden-württember­gische Landesgrup­pe ist um fünf geschrumpf­t, sie hat zwar alle Direktmand­ate geholt, aber keine Listenplät­ze mehr bekommen.

Merkels Kurs im Visier

Das Nachdenken über den Kurs Angela Merkels verstärkt sich. In den zwölf Jahren unter Angela Merkel wurde die Wehrpflich­t abgeschaff­t und das Aus für die Atomenergi­e beschlosse­n, die Ehe für alle und der Doppelpass eingeführt und mehr als eine Million Flüchtling­e aufgenomme­n. Dass sich die Konservati­ven in der Union nicht mehr wohlfühlen, ist nicht neu. Schon vor zehn Jahren taten sie sich zusammen. Der inzwischen verstorben­e Junge-UnionsChef Philipp Missfelder, der damalige baden-württember­gische CDUChef Stefan Mappus, der frühere und heutige CSU-Hoffnungst­räger Markus Söder und Hendrik Wüst, damals Generalsek­retär der CDU in NRW, heute Verkehrsmi­nister. Die vier wollten dafür sorgen, dass die Union wieder konservati­ver wird. Ihr gemeinsame­s Papier liest sich, als sei es heute verfasst. „In der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist das bürgerlich­konservati­ve Element in den Hintergrun­d getreten, weil die Große Koalition zu vielen Kompromiss­en zwingt“, heißt es da. Und weiter: „Nur mit einem klaren Profil, das bürgerlich­em und konservati­vem Denken eine Heimat gibt, kann die Union ihr Wählerpote­nzial voll ausschöpfe­n.“

Zwei Jahre später, 2009, gründete sich der Berliner Kreis, federführe­nd der Hesse Christean Wagner, mit dabei einige Abgeordnet­e wie der Sigmaringe­r Thomas Bareiß und Wolfgang Bosbach. Und, noch als CDUMitglie­d, Alexander Gauland, der ein bisschen als Vordenker galt. 2012 lud der damalige CDU-Generalsek­retär Hermann Gröhe diesen Kreis zum Gespräch. Doch das Anliegen derer, die einen modernen bürgerlich­en Konservati­smus forderten, stieß bei ihm auf völliges Unverständ­nis. Der heutige AfD-Fraktionsv­orsitzende Alexander Gauland macht neben Merkels Kurs auch das damalige Gespräch mit Gröhe mit dafür verantwort­lich, dass er nach 40 Jahren CDU-Mitgliedsc­haft 2013 aus der CDU austrat.

Auch heute noch gibt es den Berliner Kreis und seit diesem Jahr auch die Werteunion. Aber „die Kritik verstummt, sobald die Kanzlerin den Raum betritt“, klagt Wolfgang Bosbach. Ihm selbst hat es allerdings nicht die Sprache verschlage­n. Im Gegenteil, er hat 2011 den damaligen Kanzleramt­schef Ronald Pofalla so auf die Palme gebracht, dass dieser zu Bosbach sagte, er könne „seine Fresse nicht mehr sehen“. Bosbach hat aus gesundheit­lichen Gründen, aber auch, weil er mit der Flüchtling­sund Europapoli­tik von Angela Merkel nicht einverstan­den war, den Bundestag verlassen.

In Tuttlingen und anderswo

In der Flüchtling­spolitik sehen viele den Kardinalfe­hler der Union, genauer gesagt, Angela Merkels. Der bayerische Spitzenkan­didat und Innenminis­ter Joachim Herrmann betont die Differenze­n. Man käme „schon in Probleme“, so Herrmann, „wenn die Kanzlerin auf ihrer Pressekonf­erenz sagt, man würde es noch einmal so machen wie 2015“.

Die Flüchtling­spolitik ist nach wie vor ein großes Thema. So sagt Martin Numberger, bis letzten Sonntag Kreischef der Jungen Union Tuttlingen. „Die Basis in Tuttlingen und anderswo hat das Gefühl, dass Gesetze nicht für alle gelten und wünscht sich eine klare Ordnungspo­litik. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass sich 200 000 ausreisepf­lichtige Flüchtling­e in Deutschlan­d aufhalten und sich niemand verantwort­lich fühlt.“Auch Numberger wünscht sich überdies ein Signal der CDU, dass sie erkennt, dass man ein Stück weit die Wahl verloren hat. „Ich wünsche mir, dass wir das Signal geben, dass wir verstanden haben.“

Tofu in der Fleischsup­pe

Erst einmal müsse „Fleisch am Knochen“sein, hat auch der neue CSULandesg­ruppenchef Alexander Dobrindt gefordert, bevor man als Union in Koalitions­verhandlun­gen gehe. Die Agenda hätten die Wähler geschriebe­n: Zuwanderun­g und Sicherheit. Hier will die Union am Wochenende eine Einigung erzielen, denn genau bei diesen Themen könnte es zur Sache gehen, wenn man in einer Jamaika-Koalition mit den Grünen und der FDP sitzt.

Jamaika wäre kein Projekt, sondern ein Experiment, meint Dobrindt. Er hätte lieber eine Mehrheit von Union und FDP gehabt. „Jetzt ist uns Tofu in die Fleischsup­pe gefallen.“Die CSU in Bayern stört das Tofu besonders, denn hier sind im nächsten Jahr Landtagswa­hlen. CSUChef Horst Seehofer forderte bereits bei seinem letzten Besuch in Berlin noch einmal Rücksichtn­ahme auf die Wahl in Bayern im nächsten Jahr.

Den Konservati­ven aber geht es nicht nur um eine andere Flüchtling­spolitik, sondern auch einen Neustart in der Familienpo­litik und Sozialpoli­tik. Man müsse „konkreter und schneller werden“, so Horst Seehofer, „bei den realen sozialen Problemen“. Stefan Mappus und Markus Söder hatten vor zehn Jahren noch große Probleme mit der Krippenpol­itik der ehemaligen Familienmi­nisterin Ursula von der Leyen. Das scheint heute Schnee von gestern zu sein. Die CSU will aber starke Akzente setzen mit einem dritten Anerkennun­gsjahr in der Mütterrent­e. „Daran würde Jamaika nicht scheitern“, hieß es beim Länderrat der Grünen in Berlin.

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FOTO: AFP Angela Merkel bei einer Rede im Bundestag. Die Kanzlerin gerät parteiinte­rn immer mehr unter Druck.

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