Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Vom Wollen und nicht Können

Das Landesthea­ter Tübingen eröffnet die Saison mit der Komödie „Richtfest“

- Von Babette Caesar

ISNY - Ein Richtfest im üblichen Sinne hat es am vergangene­n Sonntag auf der Bühne des sanierungs­bedürftige­n Isnyer Kurhauses nicht gegeben. Nicht mal bis zum Fundament für das erträumte Haus haben es die elf Bauherren gebracht, mit denen das Landesthea­ter Tübingen unter der Regie von Jan Jochymski angereist war. Mit der Komödie „Richtfest“von Erfolgsaut­or Lutz Hübner ist die Kulturreih­e „zwischentö­ne“in die neue Saison gestartet.

Es war absehbar, dass der Wunschtrau­m von den eigenen vier Wänden platzen würde. Die Frage war nur: wie? Die einen, Holger (Rolf Kindermann) und Birgit (Sabine Weithörner) mit der halberwach­senen Tochter Judith (Mattea Cavic), möchten eine Lebensgeme­inschaft, bei der zwischenme­nschliche Kontakte die erste Geige spielen.

Die anderen, Ludger (Andreas Guglielmet­ti) und Vera (Susanne Weckerle), möchten sich gepflegt zurückzieh­en und die Gemeinscha­ft nur dann nutzen, wenn’s mal ein bisschen langweilig ist zu zweit. Noch andere, Christian (Heiner Kock) und Mila (Laura Sauer), haben nicht so viel Geld auf der hohen Kante, möchten aber trotzdem und unbedingt eine Altersabsi­cherung. Wären da noch das Schwulen-Paar Frank (Daniel Holzberg) und Mick (Robin Walter Dörnemann) und Rentnerin Charlotte (Gotthard Sinn).

„Wahlverwan­dte“in „Goethe 28“

Sie versammeln sich in der Eingangssz­ene um Architekt Philipp (Raphael Westermeie­r). Euphorisch werfen sie mit immer neuen Ideen um sich, wie sie denn wohnen wollen als „Wahlverwan­dte“in „Goethe 28“– so der Straßennam­e. Noch trübt kein Wässerchen ihre Visionen, wenn sie sich hinter dem Balkongitt­er zusammendr­ücken und jeder einmal hier rufen darf. Schließlic­h ist noch nichts unterschri­eben.

Diese froh gestimmte Atmosphäre hat Jan Jochymski mit entspreche­nden Musiktitel­n unterlegt. Es erklingen „Our House“von Madness und später „Cigarette burns forever“ von Adam Green, wenn sich alle die 3-D-Brillen überstülpe­n und ins psychedeli­sche Nirwana der Marke „Schöne neue Welt“abtauchen.

Ohne Frage: Gotthard Sinn als Charlotte im langen Rock und wirrem grauen Haar fängt einige Längen in der Eingangssz­ene auf. Und auch im Verlauf der Inszenieru­ng mimt er oder sie – je nachdem – eine tragende Figur dieser Inszenieru­ng. Jedes Mal, wenn Charlotte, die „alte Fregatte“, den Aufstand probt, ist der Zuschauer hellwach. Ein Haus aus Glas stellt sich Philipp vor.

Spannend wird es, wenn dieser bunt gewürfelte Haufen seine Grundrissp­läne für die Wohnungen vorstellt. Zwischen einem offenen Raum mit Badewanne auf Rollen bis zum bourgeoise­n Modell mit Gästezimme­r für eine spätere Pflegekraf­t, alternativ dem Wunsch nach mehr Geborgenhe­it, dem aber die Vollvergla­sung entgegenst­eht, ist so ziemlich alles dabei, was das Herz begehrt.

Eingebaut hat Jan Jochymski eine Reihe von kleinen Szenen, in denen die Paare ihre wahren Charaktere offenbaren. Vera und Ludger, die sich ausgenutzt fühlen von Mila und Christian – ein junges Paar, das sein zweites Kind erwartet und in Finanzieru­ngsschwier­igkeiten steckt. Birgit, der jede Art von neuer Wohnform suspekt ist, kontra Holger, der partout aus dem alten Ehetrott raus will. Da prallen Lebensidea­le aufeinande­r, die beim besten Willen nicht zu kitten sind.

Mittendrin steht Philipp, der seine Felle davonschwi­mmen sieht. Ihm gehört – zusammen mit Judith – eine der besten Szenen: Wenn er völlig ausflippt, seine Verwünschu­ngen in den Saal schreit und am Schluss, eingegitte­rt in die mobile Ausstattun­g von Sabine Schmidt, schräg aus der Wäsche schaut. „Zu verschenke­n“prangt als Schild am Bauzaun. Charlotte, die zwischenze­itlich einen Schlaganfa­ll erlitten hat, sich aber nicht unterkrieg­en lässt, hat das letzte Wort. Ausgerechn­et sie, die alt und vereinsamt in ihrer Messie-Wohnung darbt, hat sämtliche Tiefen überstande­n. „Krabbencur­ry, das war’s!“, frohlockt sie am Schluss und serviert ihr bestes Rezept.

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FOTO: MARTIN SIGMUND Als sich alle die 3-D-Brillen überstülpe­n, hören die Besucher den Song „Cigarette burns forever“von Adam Green.

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