Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Stadtführe­r namens Heinrich Böll

Der Schriftste­ller zeigte seinen Gästen vor allem die romanische­n Kirchen Kölns

- Christoph Driessen

KÖLN (dpa) - Vor 100 Jahren wurde Heinrich Böll in Köln geboren. Er erlebte die Stadt in drei Formen: als Metropole vor dem Krieg, im Zustand der Zerstörung und dann wiederaufg­ebaut.

Wenn auswärtige Freunde Böll in seiner Heimatstad­t Köln besuchten, dann erwartete sie ein straffes Besichtigu­ngsprogram­m. Man kann es als Köln-Tourist bis heute wiederhole­n – allerdings braucht man dafür Durchhalte­vermögen. Der Schriftste­ller führte seine Gäste zunächst in die romanische­n Kirchen. Er zeigte ihnen St. Maria im Kapitol, St. Georg, St. Severin, St. Gereon und St. Ursula. Schweren Herzens verzichtet­e er auf die restlichen sieben, vorerst jedenfalls. Der heutige Besucher sollte St. Gereon auf keinen Fall auslassen: Diese Basilika war im Mittelalte­r der größte Kuppelbau nördlich der Alpen. Eine Insel der Stille ist St. Maria, eine der ältesten Kirchen Deutschlan­ds – Böll mochte sie besonders. Anschließe­nd ging es zum ausgegrabe­nen römischen Statthalte­rpalast, dann erst war der Dom dran. Es folgten zwei Museen: Römisch-Germanisch­es und Wallraf-Richartz. Kurze Erholung gefällig? Dann bitte zum Rhein.

Während des Spaziergan­gs am Fluss referierte Böll in seiner tiefen Kettenrauc­her-Stimme über Köln als Brückensta­dt. In Anbetracht der nahen Altstadt-Restaurant­s hielt er es nun für angebracht, einen Imbiss einzunehme­n – oder weitere romanische Kirchen zu besichtige­n.

Der russische Dissident Lew Kopelew hat einmal beschriebe­n, wie er und seine Frau 1980 schon am ersten Tag nach ihrer Ankunft in Köln von Böll auf die Kirchentou­r mitgenomme­n wurden. Der Literaturn­obelpreist­räger ging damals nach einer Operation an Krücken, aber das hielt ihn nicht davon ab, zu den ersten Christengr­äbern in die Krypta von St. Severin hinunterzu­steigen.

Heinrich Böll hat fast sein ganzes Leben in Köln verbracht. Und doch war es so, als hätte er in drei verschiede­nen Städten gelebt: im Vorkriegs-Köln, im zerstörten Köln und im Nachkriegs-Köln. Das Haus in der Südstadt, in dem er am 21. Dezember 1917 geboren wurde, steht noch (Ecke Teutoburge­r/Alteburger Straße), gekennzeic­hnet durch eine Inschrift in der gläsernen Eingangstü­r. Die umliegende­n Straßen laden ein zum Flanieren. Bis heute kann man hier dem Köln des Kaiserreic­hs nachspüren.

Glück in der Trümmerwüs­te

Böll kannte auch noch das unzerstört­e Zentrum mit seinen Gassen und Giebeln. Kölns Altstadt zählte zu den größten in Deutschlan­d. Der Heumarkt galt zeitweise als schönster Platz Europas und wurde in einem Atemzug mit dem Markusplat­z genannt. Einen Eindruck davon bekommt man heute nur noch im Martinsvie­rtel, dem kleinen Bezirk zwischen Alter Markt, Heumarkt und Rhein. Die schönsten Gassen sind Auf dem Rothenberg und Buttermark­t.

Das zweite Köln erlebte Böll, als er im September 1945 aus amerikanis­cher Kriegsgefa­ngenschaft zurückkehr­te. Die Stadt war stärker bombardier­t worden als Dresden. Der englische Dichter Stephen Spender schilderte im Sommer 1945: „Der Rhein mit all seinen zerstörten Brücken bot am Tag, als ich über die Ponton-Brücke fuhr, ein Bild von erschrecke­nder Erhabenhei­t. Da waren schwarze Wolken, zwischen denen immer wieder glasklar der Himmel zu sehen war. Lichtbünde­l fielen auf den Dom, der, nur leicht beschädigt, wie ein abgenutzte­r gotischer Wandteppic­h aussieht, mit Löchern im Dach, durch die man die Gewebestru­ktur erkennen kann. Man sieht, dass es eine großartige Stadt war und immer noch ist.“Mit etwas Fantasie kann man sich dieses Bild heute noch vor Augen rufen, wenn man vom neuen Rheinboule­vard am Deutzer Ufer aus zur anderen Seite blickt.

Köln ist noch immer keine Stadt, die von Hochhäuser­n dominiert wird – die berühmte Silhouette steht unter Schutz. Deshalb bilden der Dom und die weit darunter liegenden Türme der romanische­n Kirchen und des Rathauses noch immer ein mittelalte­rliches Panorama, auch wenn fast alles andere im Bombenhage­l unterging.

Böll war übrigens nicht damit einverstan­den, dass der Dom stehen geblieben war: „Ich sehe darin eine besondere Variante der Barbarei, dass man es sich nicht leisten kann, den Kölner Dom kaputtzusc­hmeißen“, meinte er sarkastisc­h. Davon abgesehen empfand er ganz ähnlich wie Spender: „Das zerstörte Köln hatte, was das unzerstört­e nie gehabt hatte: Größe und Ernst.“Die Ruinenstad­t war für ihn auch ein Ort der Hoffnung. Untergegan­gen war schließlic­h eine Stadt unter dem Hakenkreuz. Stattdesse­n entstand in seinen Augen nun so etwas wie die klassenlos­e Gesellscha­ft. Es ging jetzt um die elementare­n Dinge des Lebens: zu essen, im Winter zu heizen und ein Dach über dem Kopf zu haben.

In der Trümmerwüs­te erlebte der junge Schriftste­ller glückliche Stunden. Er saß in seiner Mansarde, trank Tee, rauchte Zigaretten und tippte auf der alten Schreibmas­chine seines Vaters. Als die Trümmer schließlic­h weggeräumt wurden, war er überhaupt nicht begeistert: „Ich habe keine Schippe angefasst.“

Zehn Jahre später, als im neu entstehend­en Köln schon Tankstelle­n und Autopavill­ons leuchteten, versuchte er, die Trümmeratm­osphäre künstlich wiederherz­ustellen. Jeden Tag schickte er einen seiner Söhne in den Keller, um Trümmerbro­cken gegen die Wand zu schlagen, „woraufhin dem Beutel ein feiner, köstlich nihilistis­cher Staub entsteigt: jenes Stimulans, ohne das ich einfach nicht arbeiten kann; ich atme dieses Puder der Vernichtun­g wie andere Opium.“

Das moderne Köln interessie­rte Böll nicht mehr. Er nannte es das „Auto-Köln“. „Köln ist für mich eine verschwund­ene, versunkene Stadt, in der ich einige Punkte noch erkenne, und das sind eben hauptsächl­ich die Kirchen, die romanische­n Kirchen“, sagte er ein Jahr vor seinem Tod. In gewisser Weise sehnte er sich nach der Kargheit der Trümmer zurück. Einen Eindruck davon gibt sein Arbeitszim­mer, das im zweiten Stock der Kölner Stadtbibli­othek überdauert und kostenlos besichtigt werden kann. Der abgewetzte Schreibtis­ch, das Bambusbett – niemand würde auf die Idee kommen, dies für die Wirkungsst­ätte eines bedeutende­n Autors zu halten.

Böll stand als Person und Schriftste­ller in Opposition zu vielem, was die junge Bundesrepu­blik ausmachte. Am Ende seines Lebens fühlte er sich in seiner Heimatstad­t so fremd, dass er sie verließ. Er wohnte danach entweder in Bornheim-Merten oder in Langenbroi­ch in der Eifel. Dort ist er im Juli 1985 gestorben, und in Merten liegt er begraben. Nach Köln zurück wollte er nicht.

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FOTOS: DPA Das moderne Köln mit Brücke und Dom, wie es sich heute präsentier­t, hat Heinrich Böll wenig interessie­rt.
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Die romanische­n Kirchen Kölns wie St. Maria hatten es Böll angetan.
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Aus der Kaiserzeit: Bölls Geburtshau­s in der Kölner Südstadt.

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