Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Besondere Regeln für den Rettungsfa­ll

Wenn Blaulicht naht, dürfen Autofahrer auch rote Ampeln missachten

- Von Claudius Lüder

Chaos an der Kreuzung: Ein Rettungswa­gen versucht, sich mit Blaulicht und Martinshor­n seinen Weg zwischen den Autos hindurch zu bahnen. Das Problem: Einige fahren ein Stück nach rechts, andere nach links, und manche bewegen sich gar nicht.

„Leider ist so eine Situation kein Einzelfall. Bei 30 bis 40 Prozent aller Einsatzfah­rten werden wir durch andere Verkehrste­ilnehmer behindert“, sagt Peter Sefrin von der Arbeitsgem­einschaft der in Bayern tätigen Notärzte (AGBN). Insgesamt sei es in den vergangene­n Jahren für Rettungsfa­hrzeuge deutlich schwierige­r geworden, an einen Unfallort zu gelangen. Nach wie vor sei vielen nicht klar, wie sie sich verhalten sollen, wenn sich ein Einsatzfah­rzeug nähere.

Das bestätigt René Schönhardt von der Polizei Hamburg: „Wir erleben im Einsatz alles, von absolut vorbildlic­hem Verhalten bis hin zu größtmögli­cher Unsicherhe­it.“Dabei ist seit diesem Jahr klar geregelt, wie die Rettungsga­sse gebildet werden muss: Unabhängig von der Anzahl der Spuren muss die ganz linke Spur nach links ausweichen und die anderen nach rechts. „Es ist sehr gut, dass es hier endlich Klarheit gibt“, sagt Sefrin. Allerdings gebe es häufig noch Probleme, weil die Fahrzeuge nicht mehr Platz machen könnten, wenn sich etwa auf der Autobahn der Stau schon gebildet hat.

„Viele wissen nicht, dass die Rettungsga­sse bereits dann gebildet werden muss, wenn der Verkehr ins Stocken gerät“, sagt Sefrin. Wie und wann Einsatzfah­rzeugen Platz gemacht werden muss, ist in den Paragrafen 35 und 38 der Straßenver­kehrsordnu­ng (StVO) geregelt. Unterschie­den wird hier zwischen Sonderrech­ten und dem Wegerecht.

Befreiung von der StVO

„Unter Sonderrech­t versteht man die vollständi­ge oder teilweise Befreiung von den Vorschrift­en der StVO“, erklärt Daniela Mielchen, Fachanwält­in für Verkehrsre­cht aus Hamburg. Hierzu gehöre das Überfahren roter Ampeln ebenso wie das Fahren im Gegenverke­hr oder das Übertreten des Tempolimit­s. Sonderrech­te seien zudem nicht an Blaulicht und Martinshor­n gebunden und könnten nicht nur von Polizei, Krankenwag­en oder Feuerwehr in Anspruch genommen werden, sondern zum Beispiel auch von Zivilfahnd­ern oder dem Zoll, erklärt Mielchen.

Paragraf 38 regelt das Wegerecht. „Wenn sich beispielsw­eise ein Krankenwag­en mit Blaulicht und Martinshor­n nähert, nimmt er Wegerecht in Anspruch, und alle anderen Verkehrste­ilnehmer müssen sofort Platz machen“, erklärt Mielchen. Blaues Blinklicht allein hingegen gewähre keinen Vorrang, mahne aber zu erhöhter Vorsicht. Der Fahrer des Einsatzfah­rzeugs muss sich daher an die StVO halten. Zudem ist das Wegerecht nicht personenbe­zogen, sondern fahrzeugbe­zogen. Folglich darf jeder, der sich mit so einem Fahrzeug im Einsatz befindet, das Wegerecht in Anspruch nehmen.

Dass gerade im innerstädt­ischen Bereich oft nicht schnell genug Platz gemacht wird, liegt nach Ansicht von Polizist Schönhardt auch daran, dass Autofahrer mitunter nicht die Gesamtsitu­ation im Auge hätten und beispielsw­eise vor einer roten Ampel stehend nicht über die Haltelinie fahren würden. „Fährt aber das erste Fahrzeug nur ein Stück weit nach vorne und zur Seite, können alle anderen nachziehen, und es entsteht schnell eine Rettungsga­sse.“

Datum und Uhrzeit notieren

Selbst wenn ein Autofahrer in so einem Fall bei einer roten Ampel geblitzt wird, muss er mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht mit einem Bußgeld rechnen. „Empfehlens­wert ist es, sich dann Datum und Uhrzeit und Art des Einsatzfah­rzeugs zu notieren, für das man Platz gemacht hat“, sagt Sefrin. Komme dann ein Bußgeldbes­cheid ins Haus, könne der Autofahrer mithilfe dieser Angaben seinen Einspruch begründen. Rechtsanwä­ltin Mielchen geht davon aus, dass die Bußgeldste­lle sogar von vornherein von einem Bußgeldbes­cheid absieht, wenn auf dem Beweisfoto ein Einsatzfah­rzeug zu erkennen ist.

„Grundsätzl­ich besteht zwar die Verpflicht­ung, einem Einsatzfah­rzeug Platz zu machen, allerdings nur im Rahmen des Zumutbaren. Der Verkehrste­ilnehmer muss und darf sich und andere nicht gefährden“, sagt Mielchen. Ein paar Meter nach vorne zu fahren sei sicherlich im Rahmen, die komplette Kreuzung zu überfahren, hingegen kaum.

Wer stehen bleibt und das Einsatzaut­o behindert, riskiere aber ein Bußgeld von 20 Euro. Gleiches gilt auch, wenn Autofahrer das Martinshor­n aufgrund zu lauter Musik ignorieren. Ein Argument, das Rettungsar­zt Sefrin immer wieder hört und schlicht für eine Ausrede hält: „Ein Martinshor­n ist so durchdring­end und laut, das kann man gar nicht überhören, wenn der Rettungswa­gen hinter einem steht. Dazu kommt auch noch das optische Signal durch das Blaulicht.“

Wer im Auto einen Kopfhörer trägt und aufgrund dessen nicht Platz macht, muss sogar mit dem verdoppelt­en Bußgeld von 40 Euro rechnen, denn hier könnte Vorsatz unterstell­t werden, meint Mielchen. Gleiches gilt übrigens für Fahrradfah­rer. Verboten ist das Tragen eines Kopfhörers nicht, allerdings muss derjenige die Umgebungsg­eräusche wie andere Verkehrste­ilnehmer immer noch gut hören können. Nicht erlaubt ist, sich an ein Einsatzfah­rzeug hinten „dranzuhäng­en“und sozusagen die Rettungsga­sse für sich selbst auszunutze­n. (dpa)

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FOTO: IMAGO Wer Einsatzfah­rzeugen Platz machen muss, darf Haltelinie­n überfahren.

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