Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Häkeln gegen den Pendlerstr­ess

Manuela Enzensberg­er und Danny Knorr sind mehrere Stunden zur Arbeit unterwegs

- Von Anja Worschech

KEMPTEN - Im Zug von Kempten nach München herrscht ungewohnte Stille. Es ist 5.48 Uhr. Nur wenige sitzen im Abteil, die meisten davon sind Berufspend­ler. Der Waggon rumpelt und wippt einschläfe­rnd über die Gleise, Schnarchge­räusche und Zeitungsge­raschel sind zu hören. Manche dösen mit Kopfhörern vor sich hin oder blicken stumm in ihr Smartphone. Auch Danny Knorr aus Durach (Oberallgäu) sitzt in dem Abteil und liest einen Roman. Der 30-Jährige pendelt zur Arbeit ins Münchner Klinikum. Drei Stunden ist er dafür täglich unterwegs – wenn es gut läuft und keine Verspätung­en dazukommen. „Da bleibt nur noch wenig Zeit für das Privatlebe­n“, sagt er.

Für Allgäuer sind vor allem Augsburg und München beliebte Pendelziel­e – egal ob mit Auto, Bahn, Bus oder Mitfahrgel­egenheit. Laut dem Bundesinst­itut für Bau-, Stadt- und Raumforsch­ung fahren knapp 5000 Allgäuer nach München und etwa 3000 nach Augsburg.

Um seine Zeit im Zug sinnvoll zu nutzen, erledigt Knorr Büroarbeit. Zugausfäll­e und Störungen – vor allem im Winter seien sehr nervig. Dennoch möchte er nicht auf die Bahn verzichten. „Das ist weniger Stress, als mit dem Auto zu fahren.“

Manche Pendler entwickeln auch ganz eigene Gewohnheit­en: Jeden Tag muss es dasselbe Zugabteil und derselbe Sitzplatz sein. „Die Gelegenhei­tsfahrer bringen das System durcheinan­der“, sagt ein Mann augenzwink­ernd. Denn es gebe eine unausgespr­ochene Sitzordnun­g – Stammplätz­e quasi. Doch das wissen die „Hobby-Zugfahrer“natürlich nicht.

Ebenfalls Normalität im Pendlerall­tag: Gerüche. Wenn der Sitznachba­r eine Zwiebelfri­kadelle vertilgt oder morgens bereits ein penetrant duftendes Käsebrot auspackt, ist man machtlos, sagt Knorr. Manchmal sei auch der Lärm störend. „Die Fahrgäste unterhalte­n sich zum Teil sehr laut oder telefonier­en und nehmen wenig Rücksicht auf andere im Abteil.“

Warum er sich den Stress dennoch täglich antut? „Das schöne Allgäu, seine Landschaft und die Leute – das ist meine Heimat. Das möchte ich nicht missen.“Finanziell ist es laut Knorr ebenfalls kein Unterschie­d, ob er sich nun eine teure Wohnung in München suche oder weiterhin pendle.

Auswirkung­en auf die Gesundheit

Doch das Pendeln kann auch Auswirkung­en auf die Gesundheit haben. Wenn der Körper dauerhaft unter Stress steht, schüttet er die Botenstoff­e Adrenalin, Noradrenal­in und Kortisol aus. Das führt zu einem erhöhten Blutdruck und Blutzucker­spiegel, erklärt die Verkehrsps­ychologin Nina Wahn vom ADAC. Die Folgen: Kopf- und Rückenschm­erzen, Sodbrennen, Schlafstör­ungen und Entzündung­serkrankun­gen. Ein entscheide­ndes Kriterium, ob das Pendeln als Stress wahrgenomm­en wird oder als harmlose Routine, hänge von der Einstellun­g zur Strecke ab, sagt die Psychologi­n. Denn wer sich innerlich gegen das Pendeln sträubt, wird das tägliche Hin- und Her-Fahren immer als Stress empfinden.

Der Liebe wegen ins Allgäu

Manuela Enzensberg­er hat sich an die tägliche Zugfahrt gewöhnt. Seit acht Jahren pendelt sie von Biessenhof­en (Ostallgäu) nach München. Der Liebe wegen ist sie ins Allgäu gezogen. Dennoch sei das Pendeln manchmal belastend. Gerade wenn man abends Ruhe brauche und sich Teenie-Gruppen lautstark unterhalte­n oder Kinder unaufhörli­ch den Deckel des Mülleimers auf- und zuklappen. Das Allgäu, die Berge und die Lebensqual­ität auf dem Land würde die 56-Jährige trotzdem nicht eintausche­n. Und sie hat auch einen Weg gefunden, um im Zug zu entspannen: Sie häkelt.

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FOTOS: ANJA WORSCHECH Manuela Enzensberg­er pendelt seit acht Jahren von Biessenhof­en nach München. Ihre Zeit im Zug nutzt sie zum Häkeln und Musik hören. Oder sie schaut sich einen Film an.
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Täglich um kurz vor fünf morgens startet Danny Knorr aus Durach (Oberallgäu) vom Kemptener Hauptbahnh­of aus nach München zur Arbeit.

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