Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das russische Revolutionsjahr 1917 und die Folgen
Eine Revolution mit Massenprotesten und Kampfszenen fand am 7./8. November 1917 (25. Oktober nach dem alten Kalender) in
St. Petersburg nicht statt. Der „Sturm auf das Winterpalais“, dessen Bilder die Welt mit dem „Roten Oktober“verbindet, stammen aus Sergej Eisensteins Revolutionsfilm von 1927 und aus einer Theateraufführung von 1920. Der sowjetische Gründungsmythos beruhte auf einer Falschmeldung. Was tatsächlich stattfand, war ein Putsch, eine fast unblutige Machtübernahme. Diese schuf erst Voraussetzungen für eine grundlegende Umwälzung. Der Bürgerkrieg, der folgte, war mit rund acht Millionen Toten allerdings umso blutiger. Erst der Sieg der „Roten“über die „Weißen“, besiegelte 1921 die neuen Machtverhältnisse. Gleichwohl waren auf Seiten der „Weißen“, anders als der Mythos erzählt, kaum Monarchisten, sondern Liberale und demokratische Kräfte. Revolutionsführer Wladimir Lenin war ein zynischer Machtpolitiker. Er fegte die Bedenken der eigenen Parteigenossen, der Bolschewiki, vor einem gewaltsamen Umsturz vom Tisch. In der seit Februar 1917 wirkenden „Provisorischen Regierung“, die der Abdankung des Zaren folgte, sah er den Hauptgegner. Lenin versprach den Bauern eigenes Land, den Völkern des Imperiums Autonomie und Nationalitätenrechte. Damit köderte er sie für die Sache der „Roten“. Es blieb jedoch bei Versprechungen.
Die Sowjetunion wurde zu einem Nationalitätengefängnis, unter Josef Stalin verwandelten sich Staat und Gesellschaft in ein totalitäres System. Mithilfe einer Modernisierungsdiktatur wurde das Land industrialisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg erreichte der Gegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus im Ost-WestKonflikt den politischen und ideologischen Höhepunkt. (kldo)