Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Viva España“

Nach Wende in Katalonien-Krise schwindet Rückhalt für abgesetzte­n Puigdemont

- Von Ralph Schulze

MADRID - Ein Meer von spanischen Fahnen wehte am Sonntag in den Straßen der katalanisc­hen Regionalha­uptstadt Barcelona. Geschätzte 300 000 Menschen demonstrie­rten im Stadtzentr­um gegen die rechtswidr­ige Unabhängig­keitserklä­rung der inzwischen abgesetzte­n Separatist­enregierun­g. „Wir sind alle Katalonien“, stand auf einem Transparen­t am Kopf des Protestzug­es. Und: „Für das Zusammenle­ben!“Mehrere Redner warfen den Separatist­en vor, die katalanisc­he Gesellscha­ft gespalten und die spanische Region in eine schwere Krise getrieben zu haben.

Der einseitige Unabhängig­keitsproze­ss habe „Leid und Traurigkei­t“in die Gesellscha­ft gebracht, sagte Albert Rivera, Chef der liberalen und in Katalonien geborenen Partei Ciudadanos. Nun, nach der Zwangsentm­achtung der Separatist­en durch die spanische Regierung, müsse es darum gehen, „die Katalanen wieder zu versöhnen“. Er rief die Bürger dazu auf, bei der von Madrid durchgeset­zten Neuwahl am 21. Dezember „massenhaft an die Urnen zu gehen“. Katalonien habe eine neue Chance bekommen, eine Regierung zu wählen, „die für alle Katalanen eintritt“.

In dem Demonstrat­ionszug sah man neben spanischen Fahnen auch viele katalanisc­hen Banner und auch Flaggen der EU. Viele Menschen hielten Schilder in Herzform hoch, auf denen die Farben Spaniens, Katalonien­s und der EU leuchteten. „Es lebe Spanien“(„Viva España“), riefen die Menschen immer wieder. Zu der Kundgebung hatte nicht nur die Bürgerinit­iative „Katalanisc­he Zivilgesel­lschaft“aufgerufen, sondern auch die konservati­ve Volksparte­i, die Sozialiste­n und die Liberalen stützten den Protest. Die am Freitag von den Separatist­en verabschie­dete Unabhängig­keitserklä­rung sei ein „Angriff auf die Demokratie“, hieß es im Kundgebung­smanifest.

Stimmungsw­echsel

Es ist das zweite Mal, dass das prospanisc­he Lager in Katalonien Muskeln zeigt. Bereits am 8. Oktober hatten 350 000 Menschen in Barcelona gegen die Unabhängig­keitspolit­ik demonstrie­rt. Dass sich ein Stimmungsw­echsel in Katalonien anbahnen könnte, spiegelt sich auch in einer neuen Umfrage der in Madrid erscheinen­den Tageszeitu­ng „El Mundo“wieder. Wenn die Befragung richtig liegt, würden die drei Separatist­enparteien PDeCAT, ERC und CUP keine Mehrheit mehr im Parlament haben, sondern zusammenge­rechnet nur auf 42,5 Prozent der Stimmen kommen.

Spaniens konservati­ve Regierung hatte am Freitagabe­nd, nach der gegen die Verfassung verstoßend­en Unabhängig­keitserklä­rung, mit drastische­n Maßnahmen in den Konflikt eingegriff­en: Die rebellisch­e Regionalre­gierung von Carles Puigdemont wurde abgesetzt, das Parlament aufgelöst, und es wurde eine Neuwahl für 21. Dezember angesetzt. Zudem wurde beim Verfassung­sgericht beantragt, den Abspaltung­sbeschluss zu annulliere­n. Die Zwangsmaßn­ahmen sind von Spaniens Verfassung gedeckt und werden von einer großen Parteienko­alition in Spaniens Parlament aus Konservati­ven, Sozialiste­n und Liberalen mitgetrage­n.

Doch es schien am Wochenende nicht so, als ob sich Carles Puigdemont und seine Minister freiwillig zurückzieh­en wollten. Puigdemont rief am Samstag die Unabhängig­keitsbeweg­ung zum „demokratis­chen Widerstand“gegen den von Madrid beschlosse­nen Eingreifpl­an auf. „Wir werden daran arbeiten, ein freies Land zu konstruier­en.“Er gab indirekt zu verstehen, dass er sich weiterhin als Ministerpr­äsident sieht. Die schriftlic­he Fassung seiner TV-Ansprache war unterzeich­net mit „Carles Puigdemont, Regierungs-chef Katalonien­s“.

Spaniens Regierung reagierte am Wochenende mit betonter Gelassenhe­it. Spaniens Vize-Regierungs­chefin Soraya Saénz de Santamaría, welche bis zur Wahl einer neuen Katalanen-Regierung die Funktionen Puigdemont­s übernimmt, machte zudem klar, wie möglichem Ungehorsam in katalanisc­hen Behörden und in der Verwaltung begegnet wird: Zunächst durch Gehaltssto­pp und Sanktionen für renitente Angestellt­e. Und, wenn das nicht hilft, durch Entlassung.

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FOTO: IMAGO Im Demonstrat­ionszug durch Barcelona gab es neben spanischen und katalanisc­hen Flaggen auch welche der Europäisch­en Union.

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