Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Der Tod ist ein Wiener

Die Friedhofsl­andschaft der österreich­ischen Hauptstadt ist riesig und umfasst fast 800 000 Grabstätte­n

- Von Franz Morawitz

WIEN (KNA) - „Der Tod, das muss ein Wiener sein“– die morbid-charmante Textzeile aus dem gleichnami­gen Wienerlied von Georg Kreisler gibt einen untrüglich­en Hinweis darauf, was den Wienern oftmals nachgesagt wird: ein besonderes Verhältnis zum Tod, zu dem „a schöne Leich“– ein üppiges Begräbnis – ebenso gehört wie der berühmte „Hoizpyjama“als Synonym für den Sarg als letztes Kleidungss­tück. Teil der mit dem Tod liebäugeln­den Seele Wiens ist seine vielfältig­e Friedhofsl­andschaft: von riesigen Friedhofsa­nlagen mit pompösen Grabmälern und Dutzenden Ehrengräbe­rn über abgelegene Friedhofsj­uwele bis hin zum kleinen Gottesacke­r mit schlichten Gräbern anonymer Toter.

Die Stadt verwaltet heute rund 600 000 Gräber auf 46 Friedhöfen. Zusammen mit den Friedhöfen privater Betreiber gibt es in Wien etwa 778 000 Gräber. Die älteste noch erhaltene Totenstatt ist der 1540 angelegte jüdische Friedhof in der Seegasse. Auf dem rund 2200 Quadratmet­er großen Areal finden sich heute rund 350 erhaltene Grabmäler. Zahlreiche prominente Vertreter der jüdischen Gemeinde Wiens wurden hier beigesetzt, etwa der Rabbiner Menachem Hendel (gestorben 1611) oder der Bankier Samuel Oppenheime­r (1703). Der jüngste Friedhof der Stadt ist der Feuerhalle Simmering angegliede­rt, dem am 17. Dezember 1922 eröffneten ersten Krematoriu­m Österreich­s.

Friedhof der Superlativ­e

Ein Friedhof der Superlativ­e ist der Zentralfri­edhof. Rund drei Millionen Menschen sind hier seit der Eröffnung 1874 bestattet worden. Heute verwaltet die Stadt Wien mehr als 330 000 aktive Gräber auf der Anlage. Die einzelnen Sektionen auf dem 2,5 Millionen Quadratmet­er großen Areal, die eine eigens eingericht­ete Buslinie miteinande­r verbindet, gleichen einem morbiden Themenpark: vom Babyfriedh­of in der Gruppe 35D bis hin zur Anatomie in der Gruppe 26, in der jenen gedacht wird, die ihre Körper der Wissenscha­ft zur Verfügung gestellt haben.

Wer die Ehrengräbe­r besuchen will, hält nach der Gruppe 40 Ausschau. Die Liste der Musik-, Kunst-, Literatur- und Wissenscha­ftsgrößen, die auf Europas zweitgrößt­em Friedhof begraben sind, liest sich wie das „Who is who“der jeweiligen Szene: Beethoven, Brahms, praktisch die gesamte Familie Strauss, Schubert und Arnold Schönberg. Die Schriftste­ller Friedrich Torberg und Arthur Schnitzler liegen nebeneinan­der in der Israelitis­chen Sektion. Und auch Falco und Udo Jürgens haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.

Tausende Autofahrer passieren täglich ein zwischen Firmengelä­nden und Straßen gelegenes Juwel der Wiener Friedhofsl­andschaft: Direkt an der meistbefah­renen Straße Österreich­s, der Wiener Südosttang­ente, liegt der St. Marxer Friedhof, der einzige erhaltene von ursprüngli­ch fünf Biedermeie­rfriedhöfe­n in der Hauptstadt der K.u.K.-Monarchie. 1784 wurden auf dem heute rund 60 000 Quadratmet­er großen Areal die ersten Toten bestattet. Weltweite Berühmthei­t erlangte der 1937 unter Denkmalsch­utz gestellte und legendenum­wobene Friedhof als Begräbniss­tätte Mozarts.

Seine Existenz verdankt der Friedhof Kaiser Joseph II. (17651790). Er verbot aus hygienisch­en Gründen Beisetzung­en innerhalb des Linienwall­s, des heutigen „Gürtels“, und ordnete die Neuanlage von insgesamt fünf „communalen“Begräbniss­tätten an, damals noch weit außerhalb der Stadt. Der St. Marxer Totenacker ist nach dem MarkusHosp­ital benannt, in dem seit dem Mittelalte­r vor der Stadt die Kranken gepflegt wurden. Über 90 Jahre wurden hier etwa 15 000 Menschen bestattet – bis der Zentralfri­edhof 1874 der letzte Ort für die verblichen­en Bürger der werdenden Millionens­tadt wurde.

Weit außerhalb des Stadtkerns am Alberner Hafen liegt versteckt der „Friedhof der Namenlosen“, dessen Bezeichnun­g Programm ist: Von 1840 bis 1940 wurden dort die meist anonymen Opfer des Donaustrom­s begraben. Die Begräbniss­tätte war ausschließ­lich Opfern des Flusses vorbehalte­n. Hier, bei Stromkilom­eter 1918 in Simmering, wo der Donaukanal in die Donau mündet, wurden durch einen Wasserstru­del einst Mord- und Unfallopfe­r oder Selbstmörd­er angeschwem­mt und gleich begraben. Der Friedhof ist in zwei Teile gegliedert: An den älteren Bereich, auf dem von 1840 bis 1900 insgesamt 478 unbekannte Tote bestattet wurden, erinnert heute nur noch ein Gedenkkreu­z. Hochwasser hatten das Areal immer wieder überschwem­mt. Der neue Friedhofst­eil wurde 1900 hinter dem Hochwasser­schutzdamm errichtet. Bis 1940 wurden hier 104 Wasserleic­hen beerdigt, nur 43 konnten identifizi­ert werden.

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FOTO: IMAGO Weltberühm­ter Gottesacke­r: der Wiener Zentralfri­edhof.

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