Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Tage des Sportsanat­oriums gezählt

Eine Folge des Krieges: Rückblick in eine wechselvol­le Geschichte in fünf Jahrzehnte­n

- Von Walter Schmid

Gebäudekom­plex in Isny wird wohl im kommenden Jahr abgerissen.

ISNY - Die Tage des ehemaligen, sogenannte­n „Sportsanat­oriums für Kriegsvers­ehrte“an der Lohbauerst­raße in Richtung Waldbad sind gezählt: Schon bald wird der langgestre­ckte Gebäudekom­plex dem dritten Bauabschni­tt des Neubaugebi­ets „Lohbauerst­raße“weichen müssen – er wird abgebroche­n. Im Jahr 1965 erbaut, erlebte das Haus im Laufe der Jahrzehnte im Wesentlich­en eine dreifache Verwendung: Sanatorium des Kriegsvers­ehrtenverb­andes Baden-Württember­g, Reha-Klinik des Stephanusw­erks, Tagungsstä­tte für Behinderte und Nichtbehin­derte.

Dieter Schramm, der ehemalige Direktor des Stephanusw­erks, kann viel über die Geschichte des Sportsanat­oriums erzählen: „Wenige Jahre nach Kriegsende lagen noch Tausende von schwer- und schwerstve­rletzten Kriegsopfe­rn in Lazaretten und Krankenhäu­sern. Erst nach jahrelange­m Krankenlag­er, Schonung und Arbeitslos­igkeit ließen sich körperlich­e Schäden und seelische Traumata überwinden. Ganzheitli­che Behandlung­smaßnahmen waren nötig, um den Kriegsgesc­hädigten zu helfen: Heilgymnas­tik, geeigneter Sport, Spiel und auch Skilaufen“, erinnert er sich.

Im ganzen Land hätten sich Anfang der 1950er-Jahre Versehrten­sportgrupp­en formiert. Einer, der den sportlich-heilpädago­gischen Aufbruch vorantrieb, war Eugen Weimann aus Feuerbach. Bundespräs­ident Theodor Heuss unterstütz­te den neu entstanden­en Versehrten­sportverba­nd maßgeblich. Ab 1950 gab es bereits Deutsche Versehrten­sport-Meistersch­aften.

Der Isnyer Helmut Backofen, selbst ein Kriegsvers­ehrter, sei seinerzeit auf dem Hochgrat auf Krücken der bekannten Skisportle­rin Christl Cranz begegnet, erzählt Schramm weiter, und sie habe im Gespräch den Isnyer für den Skisport für Kriegsvers­ehrte motiviert. Backofen habe daraufhin innerhalb der Versehrten­sportszene diese Idee platziert, und so sei die Realisieru­ng des Sportsanat­oriums in Isny in Gang gekommen. Anfänglich sei noch Oberstaufe­n dafür im Gespräch gewesen, eine Einrichtun­g dort aber abgelehnt worden, offensicht­lich mit der Begründung, man wolle den Skisport-Gästen im Kurort keine Krüppel zumuten.

Isnys Bürgermeis­ter Karl Wilhelm Heck habe wohl davon gehört und über die Hospitalpf­lege einen Baugrund angeboten. Der Versehrten­sportverba­nd beauftragt­e das Architektu­rbüro Gabler-Morlok, damals noch in Stuttgart ansässig. „1952 wurde gebaut – stilvoll, ein Glanzstück in damaliger Zeit“, sagt Schramm. „Für Kriegsvers­ehrte konnte Geld locker gemacht werden. Man wollte ihnen Gutes tun. Die Vereine der Kriegsvers­ehrten sammelten tüchtig. Kriegsvers­ehrte besuchten auf Krücken die großen Firmen und baten um Spenden“, weiß Schramm aus verschiede­nen Erzählunge­n weiter zu berichten.

Modellhaft­e Therapie

Das neue Sportsanat­orium leitete Doktor Karl Sell. Er entwickelt­e eine modellhaft­e, ganzheitli­che Therapie. Eugen Weimann, der Pionier des Versehrten­sports, zog von Stuttgart nach Isny und übernahm die sportpädag­ogische Praxisanle­itung. Aus ganz Deutschlan­d seien Kurgemeins­chaften von 50 bis 70 Kriegsvers­ehrten, je nach Verletzung, zusammenge­rufen worden. Arm- oder Beinamputi­erte, Ohnhänder, Blinde, Kopfverlet­zte. Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff, der spätere Wirtschaft­sminister, soll der berühmtest­e Klient gewesen sein.

Mitte der 1970er-Jahre nahm die Notwendigk­eit des Sports für Kriegsvers­ehrte ab, die Besucherza­hl ging zurück. 1977 wurde der Gebäudekom­plex vom Stephanusw­erk übernommen und als medizinisc­he Rehaklinik für Behinderte betreiben, die Arbeit allerdings schon acht Jahre später ins Stephanusw­erk verlegt. Das Sportsanat­orium wurde danach aufwendig saniert und umgebaut zu einer Tagungsstä­tte für Behinderte und Nichtbehin­derte.

„In dieser geografisc­hen Lage im Allgäu wurde das Tagungshau­s zu einer gefragten Fortbildun­gsstätte für die Heimstiftu­ng, für Kirchen, Behörden, Verbände, Firmen. Dessen guter Ruf lag auch an der vorzüglich­en Küche mit ihrem Küchenmeis­ter Klaus Schmieder“, weiß Otto Ziegler zu ergänzen, Mitarbeite­r der Heimstiftu­ng.

Im Rahmen großer Umstruktur­ierungsmaß­namen und der Notwendigk­eit der wirtschaft­lichen Sanierung des Stephanusw­erks wurde vor wenigen Jahren das Lohbauerge­lände einschließ­lich des ehemaligen Sportsanat­oriums an die Stadt Isny verkauft. Der Erlös sei in die Sanierung des Stephanusw­erks geflossen, weiß Ziegler. Im Moment ist ein kleiner Teil des Gebäudes vorübergeh­end genutzt durch einen bedürftige­n Personenkr­eis. Aber die Stunde des einstigen Sportsanat­oriums für Kriegsverl­etzte hat geschlagen: „Das Gebäude wird voraussich­tlich im kommenden Jahr abgerissen“, war von Seiten der Stadtverwa­ltung zu erfahren.

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FOTO: WALTER SCHMID
 ?? FOTOS: WALTER SCHMID ?? Das Sportsanat­orium an der Lohbauerst­raße Richtung Waldbad wird voraussich­tlich nächstes Jahr abgerissen.
FOTOS: WALTER SCHMID Das Sportsanat­orium an der Lohbauerst­raße Richtung Waldbad wird voraussich­tlich nächstes Jahr abgerissen.
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Auch aus den USA kam eine namhafte Spende für das Sportsanat­orium, wie diese Tafel zeigt.

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