Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Tage des Sportsanatoriums gezählt
Eine Folge des Krieges: Rückblick in eine wechselvolle Geschichte in fünf Jahrzehnten
Gebäudekomplex in Isny wird wohl im kommenden Jahr abgerissen.
ISNY - Die Tage des ehemaligen, sogenannten „Sportsanatoriums für Kriegsversehrte“an der Lohbauerstraße in Richtung Waldbad sind gezählt: Schon bald wird der langgestreckte Gebäudekomplex dem dritten Bauabschnitt des Neubaugebiets „Lohbauerstraße“weichen müssen – er wird abgebrochen. Im Jahr 1965 erbaut, erlebte das Haus im Laufe der Jahrzehnte im Wesentlichen eine dreifache Verwendung: Sanatorium des Kriegsversehrtenverbandes Baden-Württemberg, Reha-Klinik des Stephanuswerks, Tagungsstätte für Behinderte und Nichtbehinderte.
Dieter Schramm, der ehemalige Direktor des Stephanuswerks, kann viel über die Geschichte des Sportsanatoriums erzählen: „Wenige Jahre nach Kriegsende lagen noch Tausende von schwer- und schwerstverletzten Kriegsopfern in Lazaretten und Krankenhäusern. Erst nach jahrelangem Krankenlager, Schonung und Arbeitslosigkeit ließen sich körperliche Schäden und seelische Traumata überwinden. Ganzheitliche Behandlungsmaßnahmen waren nötig, um den Kriegsgeschädigten zu helfen: Heilgymnastik, geeigneter Sport, Spiel und auch Skilaufen“, erinnert er sich.
Im ganzen Land hätten sich Anfang der 1950er-Jahre Versehrtensportgruppen formiert. Einer, der den sportlich-heilpädagogischen Aufbruch vorantrieb, war Eugen Weimann aus Feuerbach. Bundespräsident Theodor Heuss unterstützte den neu entstandenen Versehrtensportverband maßgeblich. Ab 1950 gab es bereits Deutsche Versehrtensport-Meisterschaften.
Der Isnyer Helmut Backofen, selbst ein Kriegsversehrter, sei seinerzeit auf dem Hochgrat auf Krücken der bekannten Skisportlerin Christl Cranz begegnet, erzählt Schramm weiter, und sie habe im Gespräch den Isnyer für den Skisport für Kriegsversehrte motiviert. Backofen habe daraufhin innerhalb der Versehrtensportszene diese Idee platziert, und so sei die Realisierung des Sportsanatoriums in Isny in Gang gekommen. Anfänglich sei noch Oberstaufen dafür im Gespräch gewesen, eine Einrichtung dort aber abgelehnt worden, offensichtlich mit der Begründung, man wolle den Skisport-Gästen im Kurort keine Krüppel zumuten.
Isnys Bürgermeister Karl Wilhelm Heck habe wohl davon gehört und über die Hospitalpflege einen Baugrund angeboten. Der Versehrtensportverband beauftragte das Architekturbüro Gabler-Morlok, damals noch in Stuttgart ansässig. „1952 wurde gebaut – stilvoll, ein Glanzstück in damaliger Zeit“, sagt Schramm. „Für Kriegsversehrte konnte Geld locker gemacht werden. Man wollte ihnen Gutes tun. Die Vereine der Kriegsversehrten sammelten tüchtig. Kriegsversehrte besuchten auf Krücken die großen Firmen und baten um Spenden“, weiß Schramm aus verschiedenen Erzählungen weiter zu berichten.
Modellhafte Therapie
Das neue Sportsanatorium leitete Doktor Karl Sell. Er entwickelte eine modellhafte, ganzheitliche Therapie. Eugen Weimann, der Pionier des Versehrtensports, zog von Stuttgart nach Isny und übernahm die sportpädagogische Praxisanleitung. Aus ganz Deutschland seien Kurgemeinschaften von 50 bis 70 Kriegsversehrten, je nach Verletzung, zusammengerufen worden. Arm- oder Beinamputierte, Ohnhänder, Blinde, Kopfverletzte. Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff, der spätere Wirtschaftsminister, soll der berühmteste Klient gewesen sein.
Mitte der 1970er-Jahre nahm die Notwendigkeit des Sports für Kriegsversehrte ab, die Besucherzahl ging zurück. 1977 wurde der Gebäudekomplex vom Stephanuswerk übernommen und als medizinische Rehaklinik für Behinderte betreiben, die Arbeit allerdings schon acht Jahre später ins Stephanuswerk verlegt. Das Sportsanatorium wurde danach aufwendig saniert und umgebaut zu einer Tagungsstätte für Behinderte und Nichtbehinderte.
„In dieser geografischen Lage im Allgäu wurde das Tagungshaus zu einer gefragten Fortbildungsstätte für die Heimstiftung, für Kirchen, Behörden, Verbände, Firmen. Dessen guter Ruf lag auch an der vorzüglichen Küche mit ihrem Küchenmeister Klaus Schmieder“, weiß Otto Ziegler zu ergänzen, Mitarbeiter der Heimstiftung.
Im Rahmen großer Umstrukturierungsmaßnamen und der Notwendigkeit der wirtschaftlichen Sanierung des Stephanuswerks wurde vor wenigen Jahren das Lohbauergelände einschließlich des ehemaligen Sportsanatoriums an die Stadt Isny verkauft. Der Erlös sei in die Sanierung des Stephanuswerks geflossen, weiß Ziegler. Im Moment ist ein kleiner Teil des Gebäudes vorübergehend genutzt durch einen bedürftigen Personenkreis. Aber die Stunde des einstigen Sportsanatoriums für Kriegsverletzte hat geschlagen: „Das Gebäude wird voraussichtlich im kommenden Jahr abgerissen“, war von Seiten der Stadtverwaltung zu erfahren.