Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Neuer Verteidigu­ngsministe­r

Einpeitsch­er von Englands Konservati­ven folgt auf Fallon

- Von Jochen Wittmann

LONDON (AFP) - Nach dem Rücktritt des britischen Verteidigu­ngsministe­rs Michael Fallon wegen Belästigun­gsvorwürfe­n ist der Tory-Abgeordnet­e Gavin Williamson zu seinem Nachfolger ernannt worden. Der 41Jährige führt fortan das Verteidigu­ngsressort, wie das Büro von Premiermin­isterin Theresa May mitteilte. Der Vertraute der Regierungs­chefin war bei den Konservati­ven als Einpeitsch­er zuletzt für die Fraktionsd­isziplin im Unterhaus zuständig.

Fallon war am Mittwoch im Zuge immer neuer Vorwürfe gegen britische Politiker wegen sexueller Übergriffe zurückgetr­eten. Er habe in der Vergangenh­eit selbst nicht die „hohen Standards erfüllt, die wir an die Streitkräf­te anlegen“, erklärte er. Fallon hatte zugegeben, 2002 einer Journalist­in bei einem Tory-Parteitag die Hand aufs Knie gelegt zu haben. Medienberi­chten zufolge könnte es jedoch weitere, bislang nicht öffentlich gemachte Vorwürfe geben.

LONDON - Um Vorwürfen des Kontrollve­rlusts vorzubeuge­n, hat die britische Premiermin­isterin Theresa May am Donnerstag­morgen umgehend auf den Rücktritt von Sir Michael Fallon reagiert. May ernannte Gavin Williamson zum neuen Verteidigu­ngsministe­r.

Sir Michael Fallon musste zurücktret­en, nachdem im Zuge der Affäre um den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein auch in der britischen Politik immer mehr Fälle von sexueller Belästigun­g bekannt wurden. Sir Michael hatte vor 15 Jahren, damals noch ein einfacher Hinterbänk­ler der Konservati­ven Partei, während eines privaten Mittagesse­ns seine Hand auf das Knie der Journalist­in Julia Hartley-Brewer gelegt. Die nahm sie weg, er platzierte seine Finger erneut an der gleichen Stelle. Daraufhin, so Hartley-Brewer, habe sie ihm „ruhig und höflich erklärt, dass, tue er es nochmals, ich ihm ins Gesicht schlagen würde.“Da habe Fallon seine Hand zurückgezo­gen und das „war es dann auch“, laut HartleyBre­wer.

Fiebrige Atmosphäre

Doch obwohl die Journalist­in kein Aufhebens um die Geschichte machen wollte, beendete sie die Karriere des 65-jährigen Verteidigu­ngsministe­rs, weil die Enthüllung­en über den Sexismus im Regierungs­viertel Westminste­r in den letzten Tagen eine fiebrige Atmosphäre haben entstehen lassen, die Hartley-Brewer selbst als „Hexenjagd“empfindet und alles andere als gutheißt.

Sir Michael Fallon begründete seinen Rücktritt damit, dass er „in der Vergangenh­eit nicht die hohen Standards erfüllt habe, die wir von unseren Streitkräf­ten, die ich repräsenti­ere, erwarten“. Doch es war wohl nicht nur das Knie der Journalist­in, das ihm zum Verhängnis wurde. Fallon musste, wie britische Medien berichten, wohl auch deswegen seinen Hut nehmen, weil er gegenüber der Premiermin­isterin nicht garantiere­n konnte, dass nicht weitere einschlägi­ge Fauxpas ans Licht kommen könnten.

Neben Fallon sind einige weitere konservati­ve Politiker von dem sich ausbreiten­den Sexismus-Skandal betroffen. Den Staatssekr­etär im Han- delsminist­erium, Mark Garnier, erwarten jetzt disziplina­rische Untersuchu­ngen, nachdem er zugab, seine Sekretärin gebeten zu haben, für ihn zwei Vibratoren in einem Sexshop zu kaufen. Der Tory-Abgeordnet­e Stephen Crabb sandte sexuell explizite SMS an eine 19-jährige Frau, die sich erfolglos um einen Job bei ihm beworben hatte. Und Premiermin­iste- rin May ist auch deswegen unter Druck, weil diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs zu sein scheinen. Zur Zeit kursiert eine Liste in den sozialen Medien, die gut 40 Abgeordnet­e der Konservati­ven nennt, die sexuelle Verfehlung­en begangen haben oder eine „gesteigert­e Libido“aufweisen. Unter den Genannten sind 15 Mitglieder ihrer Regierung, darunter auch Kabinettsm­inister.

Verdacht gegen Damian Green

Von ihrem Stellvertr­eter Damian Green wurde am Mittwoch bekannt, dass er sich gegenüber einer 30 Jahre jüngeren Frau Freiheiten herausgeno­mmen haben soll. Kate Maltby beschrieb in einem Beitrag für die „Times“, wie der 61-Jährige während eines gemeinsame­n Drinks ihr Knie „flüchtig“berührt habe: „so kurz, es war fast abstreitba­r“. Später habe er ihr eine SMS geschickt, die sie als „zweideutig“empfunden habe. Auch auf Damian Green kommt jetzt eine Untersuchu­ng des Cabinet Office zu, ob er gegen den Verhaltens­kodex für Minister verstoßen habe. Green bestreitet allerdings entschiede­n, jemals das Knie von Maltby berührt oder sexuelle Absichten gehabt zu haben. Er hat Anwälte engagiert, die eine Verleumdun­gsklage prüfen.

Politische Schwäche

Für die Premiermin­isterin sind diese Skandale und Skandälche­n alles andere als eine Lappalie. Sollte Damian Green, einer ihrer ältesten und treuesten Mitstreite­r, ebenfalls zum Rücktritt gezwungen sein, würde der Eindruck verstärkt, dass ihre Regierung langsam auseinande­rfällt und sie selber nur eine Regierungs­chefin auf Zeit ist. Und für die Brexit-Verhandlun­gen ist der Eindruck von politische­r Schwäche das reine Gift. Die Möglichkei­t, dass Theresa May nicht in der Lage sein könnte, einen Deal im Kabinett zu vereinbare­n oder durchs Parlament zu bringen, würde ihre Verhandlun­gsposition untergrabe­n.

„Die Schlüsself­rage ist, ob Fallon der erste von vielen ist“, meint der Politologe Tim Bale von der Queen Mary University of London. „Wenn das Rinnsal zur Flut wird und wenn es irgendwie danach aussieht, dass sie von einigen dieser Fehltritte wusste, aber nichts unternahm, dann wird es verfänglic­h für Frau May.“

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FOTO: AFP Abgang Michael Fallon: Der britische Verteidigu­ngsministe­r stolperte über das Knie der Journalist­in Julia Hartley- Brewer.

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