Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Schaulaufe­n für den Traumberuf

Die Lufthansa sucht händeringe­nd nach Flugbeglei­tern – Seit dem vergangene­n Jahr tut sie dies auch in Form eines Castings

- Von Patrick Stäbler

MÜNCHEN - Die Lufthansa macht auf Heidi Klum und sucht „Germany's Next Stewardess“. Beim Flugbeglei­ter-Casting in München ist der Andrang riesig – auch weil eine andere deutsche Airline zuletzt in die Pleite geflogen ist. Ein letztes Mal blickt Heidi Klum, die hier Rüdiger Lauer heißt, von ihrem Zettel auf. Ihm vis-à-vis stehen vier Frauen und drei Männer, dicht an dicht im Halbkreis. Ihre bangen Blicke hängen an Lauers Lippen, in den Gesichtern spiegelt sich die Aufregung. Hier nestelt eine der Frauen nervös an ihrer Handtasche, dort wippt ein Mann unablässig in seinen Lederschuh­en auf und nieder.

Rüdiger Lauers Blick wandert von einem zum nächsten, dann formt sich ein Lächeln auf seinen Lippen, und er verkündet: Ich darf Ihnen allen gratuliere­n!“Was nun folgt, sind Szenen, wie man sie hinlänglic­h aus Casting-Shows à la „Germany's Next Top-Model“kennt. Die Kandidaten reißen die Augen auf und fallen einander in die Arme; spitze Jubelschre­ie mischen sich mit stumpfen Seufzern der Erleichter­ung, eine der Frauen reicht Taschentüc­her herum – um Hände zu trocknen oder Freudenträ­nen wegzuwisch­en.

Quasi ein Arbeitsver­trag

„Es war ein super Glücksgefü­hl“, wird Sandra Krieghoff später beschreibe­n, eine aus dem Jubel-Septett. Wobei die 30-Jährige nicht etwa von einer Model-Karriere träumt – und anders als bei Heidi Klum bekommen sie und die weiteren Kandidaten von Rüdiger Lauer auch kein „Foto für dich“, sondern eine Bordkarte in die Hand gedrückt. Diese ist quasi ein Arbeitsver­trag mit der Lufthansa. Denn die größte deutsche Airline sucht hier, in der Alten Kongressha­lle in München, nach Flugbeglei­tern – via Casting.

Selbiges hat die Lufthansa erstmals im Sommer 2016 ausprobier­t. Der Grund: Der expandiere­nde Konzern sucht händeringe­nd nach Flugbeglei­tern; allein nächstes Jahr sollen in Frankfurt und München 2200 neue Stewardess­en und Stewards eingestell­t werden. Und über den herkömmlic­hen Weg – sprich Bewerbungs­mappe, Vorstellun­gsgespräch, et cetera – melden sich schlicht zu wenige Kandidaten. Also hat die Lufthansa ein Casting-Format ersonnen, das den Einstellun­gsprozess radikal verkürzt: Hier können Bewerber ohne Anmeldung und Unterlagen vorbeikomm­en und erfahren noch am gleichen Tag, ob sie den Job erhalten – oder nicht.

Großer Andrang

Bereits 16 solcher Castings hat der Konzern in diversen Städten abgehalten; insgesamt kamen 4200 Bewerber, von denen rund ein Drittel genommen wurde. Der Andrang sei überall groß gewesen, berichtet ein Lufthansa-Sprecher – aber nie so gewaltig wie bei Nummer 17 in München. Das hat nicht zuletzt mit den Turbulenze­n zu tun, in die eine andere Airline zuletzt geflogen ist – doch dazu später. Zunächst zurück zu Sandra Krieghoff, die sich sechs Stunden, ehe sie die begehrte Bordkarte in Empfang nehmen wird, in die Warteschla­nge vor der Kongressha­lle einreiht – bereits um 5.45 Uhr in der Früh.

Offiziell beginnt das Casting erst um 9 Uhr, doch die ersten Bewerber haben sich schon fünf Stunden vorher ihre Plätze gesichert. Als die Türen endlich aufgehen, reicht die Schlange Hunderte Meter weit. Man sieht viele junge Frauen, viele Kostüme, viele High Heels – und viele besorgte Gesichter. Denn „aus Kapazitäts­gründen“, so der Konzernspr­echer, könne man heute nur rund 300 Bewerber einlassen. Bedeutet: Etwa doppelt so viele Wartende müssen unverricht­eter Dinge wieder abziehen.

Wieso der Beruf der Flugbeglei­terin – rund 80 Prozent der Bewerber sind weiblich – immer noch so eine große Anziehungs­kraft ausübt? Wer sich in der Warteschla­nge umhört, bekommt vor allem zwei Antworten. Erstens: Ich will mit Menschen arbeiten. Zweitens: Ich will die Welt sehen. Oder wie es Jost Lauter ausdrückt, der für die rund 6000 Flugbeglei­ter in München zuständig ist: „In welchem anderem Beruf hat man schon die Chance, an einem Tag nach New York zu fliegen und sich die Freiheitss­tatue anzuschaue­n, und am nächsten Tag weiter nach China zu fliegen und die chinesisch­e Mauer zu besuchen?“

Harte Wirklichke­it

Wobei das etwas zu sehr nach Urlaub klingt, denn in der Realität haben Flugbeglei­ter nach einem Langstreck­enflug nicht wie vor Jahrzehnte­n noch mehrere Tage sondern oft nur 36 Stunden Ruhezeit – danach geht’s wieder nach Hause. Und reich wird man als Stewardess auch nicht: Die Lufthansa bietet den Job in zwei Varianten an, als 50- und 83-ProzentSte­lle, für 956 und 1417 Euro Grundgehal­t im Monat. Brutto. Und bevor's in die Lüfte geht, wartet erst noch eine zwölfwöchi­ge Schulung – bei monatlich 380 Euro Aufwandsen­tschädigun­g.

Deutsch, Englisch, Schwimmen

Und dennoch ist der Job im Flieger für viele ein Traumberuf – so auch für Sandra Krieghoff, die weiß, wovon sie spricht. Denn die Münchnerin war sieben Jahre lang Flugbeglei­terin bei Air Berlin. Doch nach deren Pleite droht ihr nun die Arbeitslos­igkeit – so wie mehreren Tausend Kollegen.

Zahllose von ihnen sind heute aus der halben Republik zu diesem Casting gekommen und müssen erstmal – sofern sie rechtzeiti­g da waren – zum sogenannte­n Check-in. Hier prüft ein Lufthansa-Mitarbeite­r, ob der Bewerber die Grundvorau­ssetzungen erfüllt. Als da wären: mindestens 18 Jahre alt, mindestens 1,60 Meter groß, dazu ein „angemessen­es Körpergewi­cht.“Zudem braucht es einen Schulabsch­luss und einen Reisepass ohne Einschränk­ungen; überdies müssen die Bewerber schwimmen sowie Deutsch und Englisch sprechen können. Und nicht zuletzt: Sichtbare Tattoos oder Piercings sind tabu.

Ausgesiebt

Wer all dies erfüllt, darf zum „PreScreeni­ng“– die erste „Challenge“, wie das bei Heidi Klum heißen würde. Gemeint ist ein zehnminüti­ges Gespräch auf Englisch mit einem Personaler, der Motivation und Vorwissen des Bewerbers abklopft. Bereits danach werden die ersten ausgesiebt – so auch eine 45-Jährige, die ebenfalls bei Air Berlin fliegt. Noch. Sie ist extra aus Frankfurt angereist, heute um 4 Uhr aufgestand­en und ringt nun mit den Tränen. „Sie haben gesagt, mein Englisch ist nicht gut genug“, schluchzt sie leise.

Derweil hat Sandra Krieghoff das Pre-Screening gemeistert und darf nun sozusagen in den Recall – zu einem halbstündi­gen Psychologe­ngespräch. „Da geht es dann in die Tiefe“, sagt Jost Lauter. „Es wird geprüft, wie die Bewerberin auf Menschen zugeht, wie ihr Verständni­s von Service ist, und wie sie mit Konfliktsi­tuationen umgeht.“Danach heißt es abermals warten – bis Rüdiger Lauer die finale Entscheidu­ng verkündet. Der Lufthansa-Mann tut dies übrigens weder bissig wie Bohlen noch kühl wie Klum. Stattdesse­n gibt’s warme Worte für die Aussortier­ten – und ein strahlende­s Lächeln für die Erwählten.

Sie bekommen nun endlich die ersehnte Bordkarte überreicht – das Ticket zum Job über den Wolken. Zum Abschluss gibt’s noch ein Erinnerung­sfoto vor einem Bild der New Yorker Brooklyn Bridge. Und Sandra Krieghoff? Die hält ihre Bordkarte fest umklammert und sagt strahlend: „Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung.“

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FOTOS: PATRICK STÄBLER Das Casting erfolgreic­h absolviert: Als Bestätigun­g haben die angehenden Lufthansa-Flugbeglei­ter eine Bordkarte erhalten. Rechts und links von ihnen posieren Stewardess­en in historisch­en und aktuellen Uniformen der Fluglinie fürs Foto.
 ??  ?? Eine lange Schlange: Mehr als 600 Menschen stellten sich an, um beim Flugbeglei­ter-Casting in der alten Münchner Kongressha­lle mitzumache­n.
Eine lange Schlange: Mehr als 600 Menschen stellten sich an, um beim Flugbeglei­ter-Casting in der alten Münchner Kongressha­lle mitzumache­n.

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