Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Jugend ohne Arbeit
Statistisch gesehen sinkt die Jugendarbeitslosigkeit – Problem ist weiterhin akut – EU-Programm ohne Wirkung
BERLIN - Mit Europa ist es manchmal etwas schwierig. Man merkt im Alltag nicht, wozu es gut ist. 2013 wollte die EU-Kommission das an einem entscheidenden Punkt ändern. Sie startete ein Programm, um arbeitslosen jungen Leuten schnell neue Arbeitsplätze zu verschaffen. Jugend garantie wurde die Initiative benannt, die auch der damalige Bundes finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) lobend hervorhob. „Hat nichts gebracht“, urteilt nun das Deutsche Institut für Wirt schafts forschung(DIW ).
Die Europäische Union steckte vor vier Jahren in massiven Schwierigkeiten – vielleicht mehr als heute. Damals waren die Folgen der Finanzkrise noch spürbarer. Griechenland hing am Tropf, die EU schickte Hunderte Milliarden Euro zur Unterstützung. In manchen Mitgliedstaaten erreichte die Arbeitslosigkeit Rekordwerte. Viele Bürger glaubten nicht mehr an das europäische Versprechen von Sicherheit und Wohlstand. Dem wollte die EU-Kommission entgegenwirken.
Die Jugend garantie und die Jugend beschäftigungs initiative von 2013 richteten sich an Bürger zwischen 15 und 24 Jahren. Denn unter ihnen war die Arbeitslosigkeit besonders hoch. Nach Abschluss von Schule oder Ausbildung suchten europaweit rund 5,5 Millionen junge Erwachsene eine bezahlte Stelle. Sie waren erheblich stärker betroffen als die älteren Jahrgänge. In Spanien erreichte die Jugend arbeitslosigkeit beispielsweise 57 Prozent.
„Allen jungen Menschen soll innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlassen, eine hochwertige Arbeitsstelle, Weiterbildungsmaßnahme oder ein hochwertiger Ausbildungs- oder Praktikumsplatz angeboten“werden, hieß es deshalb im EU-Beschluss vom April 2013. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 stellte man insgesamt 8,4 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt zur Verfügung. Was ist daraus geworden? „Ein Effekt politischer Maßnahmen wie der Jugendgarantie ist nicht erkennbar“, sagt Karl Brenke, Ökonom am DIW.
Ein hartes Urteil. Wobei: Die Erwerbslosigkeit in Europa, auch unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen, ist durchaus gesunken. Im Sommer 2017 waren noch 3,8 Millionen Bürger zwischen 15 und 24 Lebensjahren auf der Suche nach einem Job, nicht mehr 5,5 Millionen wie vier Jahre zuvor. Trotzdem bleibt Brenke bei seiner negativen Bewertung.
Sein Argument: Die Erwerbslosigkeit unter jungen Leuten habe sich zwar um rund ein Drittel verringert, die Erwerbstätigkeit dieser Altersgruppen sei jedoch viel weniger gestiegen. Viele arbeitslose Jugendliche seien quasi verschwunden. In Zahlen: Die Erwerbslosigkeit junger Leute ging zwischen 2013 und 2017 um 1,7 Millionen Personen zurück, doch nur 700 000 fanden einen neuen Job.
Für dieses Plus von 700 000 jungen Beschäftigten macht Ökonom Brenke nicht die Jugendgarantie, sondern die allgemeine wirtschaftliche Erholung nach der Finanzkrise verantwortlich. Die Leute hätten sowieso neue Arbeitsplätze gefunden, auch ohne politische Unterstützung, sagt Brenke.
Und was ist mit der einen Million Erwerbspersonen, die nicht mehr arbeitslos, aber dennoch nicht beschäftigt sind? Der DIW-Ökonom erklärt das so: Die Zahl der 15 bis 24 Jahre alten EU-Bürger nehme insgesamt ab, weil die nachwachsenden, jüngeren Jahrgänge weniger Mitglieder haben. Außerdem hätten Hunderttausende der erwerbslosen jungen Leute ihr Verhalten geändert. Statt aus der Schule oder Ausbildung gleich in die Berufstätigkeit zu wechseln, hängen sie beispielsweise noch eine zweite Ausbildung dran. Oder sie bleiben länger an der Universität. Damit sind sie raus aus der Statistik, obwohl sie keinen Job haben.
Die Kommission will diese für sie unerfreuliche Analyse nicht auf sich sitzen lassen. Sie erklärt: „Die Jugendgarantie hat dazu beigetragen, das Leben von Millionen junger Europäer zu verbessern.“Und weiter: „Im Rahmen der Beschäftigungsinitiative erhielten über 1,6 Millionen junge Menschen in der ganzen EU direkte Unterstützung.“Zur Frage, wieviele Personen neue Arbeitsplätze fanden, gibt es allerdings keine genauen Angaben.
Duale Ausbildung als Lösung
Im Vergleich zu anderen Staaten ist die Lage in Deutschland relativ erträglich. Aktuell sind offiziell sieben Prozent der 15- bis 24-Jährigen ohne bezahlte Beschäftigung. Vor vier Jahren waren es 7,6 Prozent. Die Franzosen, Italiener und Spanier wären froh, wenn es bei ihnen auch so wäre. Dort liegt die Erwerbslosigkeit unter jungen Leuten aktuell bei 22, 34 und 40 Prozent.
Für einen möglicherweise wirksamen Weg, dies zu ändern, hält Brenke die Einführung dualer Ausbildungssysteme. In Deutschland existiert diese kombinierte schulische und betriebliche Ausbildung. Sie gilt als praxisnah und eröffnet Jugendliche relativ gute Aussichten eine Stelle zu finden. In Italien und Spanien bewege sich das Ausbildungssystem mittlerweile ebenfalls in diese Richtung, so Brenke.