Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Überlebens­kampf im Silicon Valley

Autokonzer­ne aus dem Südwesten suchen in Kalifornie­n die Hilfe von kreativen Start-ups

- Von Benjamin Wagener

SUNNYVALE/PALO ALTO - Ihre Hände bleiben keine Sekunde ruhig, sie fasst sich ans Herz, steckt ein Locke ihrer dunklen Haare hinters Ohr, redet schnell, übersprude­lnd – und wird immer dann lauter, wenn es es ihrer Ansicht nach wichtig wird. Noch wichtiger, als es sowieso schon ist. „Wir wollen hier im Valley die Geschwindi­gkeit der Digitalisi­erung für ZF adaptieren“, sagt Malgorzata Wiklinska. „Und das ist der einzige Weg, der der Autoindust­rie das Überleben sichern kann.“Die Ingenieuri­n leitete bis April die Denkfabrik von ZF in Friedrichs­hafen und ist bei dem Autozulief­erer nun für digitale strategisc­he Partnersch­aften zuständig. Ihr Arbeitspla­tz: Sunnyvale, Kalifornie­n, im Silicon Valley, dem Zentrum der Digitalind­ustrie.

„Wir müssen die Schnelligk­eit der Region hier und die Kreativitä­t kombiniere­n, um unsere Produkte zu verbessern“, erläutert die gebürtige Polin. Für das Unternehme­n ZF, das vor allem für mechanisch­e Getriebe bekannt ist, ist das gleichbede­utend mit der Entwicklun­g von Systemen, die nicht mehr rein mechanisch funktionie­ren, sondern durch elektronis­che Komponente­n und Computerpr­ozessoren künftig auch bei autonom und miteinande­r vernetzt fahrenden Autos genutzt werden sollen.

ZF ist nicht das einzige Automobilu­nternehmen, das im Silicon Valley aktiv ist. Die Konkurrent­en Bosch und Continenta­l haben seit vielen Jahren eine Niederlass­ung in Kalifornie­n, die wichtigste­n Autobauer, darunter VW, BMW und Daimler, sind in der Region zwischen San Francisco und San José aktiv. Hintergrun­d ist die Tatsache, dass die Automobili­ndustrie vor den größten Umbrüchen ihrer Geschichte steht: Nicht nur dass das Auto der Zukunft wohl elektrisch und autonom fährt, sondern auch, dass neue Wettbewerb­er wie Tesla und Google die Konzerne mit neuen Techniken vor sich hertreiben oder Unternehme­n wie Uber Geschäftsm­odelle entwickeln, die die Branche von Grund auf verändern.

Künstliche Intelligen­z und Big Data

Das Silicon Valley als das weltweit wichtigste Zentrum der Hochtechno­logie-Industrie ist für die Autokonzer­ne vor allem deswegen interessan­t, weil dort die führenden Experten für Künstliche Intelligen­z und die digitale Verarbeitu­ng großer Datenmenge­n sitzen. „ZF kommt hier in direkten Austausch mit dem Kreativpot­enzial der Gründersze­ne und kann schnell Partnersch­aften mit Start-ups vor allem im Hinblick auf Digitalisi­erung, Vernetzung und autonomes Fahren eingehen“, heißt es in der Konzernzen­trale in Friedrichs­hafen.

Bei Malgorzata Wiklinska klingt das anders. „Die Menschen glauben an ihre Ideen. Auch wenn sie einen Schlag ins Gesicht bekommen, arbeiten sie weiter“, erzählt die 34-Jährige. Und vor allem: „Das Silicon Valley ist so voller Ideen, weil es hier auch das Risikokapi­tal von Investoren gibt, um dieses Ideen auszuprobi­eren.“Seit Juli hat ZF ein Büro in Sunnyvale, in der Start-up-Agentur „Plug and Play“. Der Konzern hofft so auf Entwickler und Geschäftsm­odelle zu stoßen, die dem drittgrößt­en Autozulief­erer der Welt helfen, den Umbruch in der Autoindust­rie erfolgreic­h zu bestehen. Es geht um ähnliche Partnersch­aften wieder mitNvdi da, dem Grafikproz­essoren hersteller, mit demZF gemeinsame ineelektro­nisc he Steuereinh­eit mit einer Rechenleis­tung zur Marktreife bringen möchte, die beim Autofahren gesammelte Daten nicht nur verarbeite­t, sondern als selbst lernendes System auch interpreti­ert.

Andere Konzerne sind bei ihrer Silicon-Valley-Expansion bereits weiter: Bosch hat eine Niederlass­ung mit allen Geschäftsb­ereichen, die es auch am Stammsitz des Zulieferer­s in Gerlingen (Kreis Ludwigsbur­g) gibt. Das große Thema bei Bosch ist ebenfalls die Künstliche Intelligen­z. „Wir können viele Produkte, die wir produziere­n, durch Künstliche Intelligen­z besser und effiziente­r machen“, sagt Hauke Schmidt, Direktor der Bosch-Niederlass­ung in Palo Alto. Vor allem erforscht Bosch im Silicon Valley gemeinsam mit dem Autobauer Daimler Chancen und Möglichkei­ten des autonomen Fahrens. Mit einem mit Computern und Prozessore­n vollgestop­ften Tesla ist Bosch-Entwickler Sven Zimmermann deshalb regelmäßig auf den Highways zwischen San Francisco und San José unterwegs. Die Technik für das autonome Fahren der Stufe drei liefert Bosch bereits an Audi aus. Das sind zumeist Assistenzs­ysteme, die dem Fahrer in bestimmten Situatione­n das Einparken oder das Fahren auf der Autobahn erleichter­n. „Die wirkliche Revolution findet aber mit dem Übergang von Level drei zu Level vier statt“, erklärt Zimmermann. „Da wird man bereits hinten sitzen und sich eben nicht mehr auf einen Menschen am Steuer verlassen müssen.“Genau diese Technologi­e baue Bosch im Valley.

Auch der größte nicht-amerikanis­che Arbeitgebe­r im Silicon Valley arbeitet an der Zukunft der Mobilität – auch wenn das Auto eigentlich nicht zu den Kernproduk­ten des Unternehme­ns gehört. Der Computerko­nzern SAP mit Sitz in Walldorf beschäftig­t in Kalifornie­n mehr als 4000 Mitarbeite­r und entwickelt Software für Kunden aus der Autoindust­rie und der Logistikbr­anche. „Wir arbeiten daran, die Geschäftsd­aten der Unternehme­n und die Livedaten aus den Fahrzeugen zu kombiniere­n, um so neue Servicedie­nste anzubieten“, sagt Philipp Skogstad, Vizechef des Forschungs­ressorts im Silicon Valley. Denkbar sind Produkte zum Optimieren von Routenplan­ern, Pannendien­sten oder Autoversic­herungen.

„Für alle geht es darum, sich nicht von der neuen Konkurrenz um Uber und Co. das Geschäft wegnehmen zu lassen“, erklärt Skogstad. Ein Satz, der auch von Malgorzata Wiklinska gekommen sein könnte. Die ZF-Managerin hätte ihn allerdings noch mit leidenscha­ftlichen Gesten untermalt. Und ihre widerspens­tige Locke noch einmal hinters Ohr gesteckt.

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FOTO: SASCHA BAUMANN Diskussion zwischen ZF-Innovation­smanagerin Malgorzata Wiklinska (links) und Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU) bei der Reise einer Wirtschaft­sdelegatio­n ins Silicon Valley: Wie kann sich der Automobils­tandort...

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