Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Das Elend bei Almavivas

„Le nozze di Figaro“am Nationalth­eater München

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - „Die Leute sollen nicht sehen, was sie wollen, sondern was sie sollen“umriss noch vor seinem Amtsantrit­t Intendant Nikolaus Bachler 2008 seine szenischen Ambitionen. Die Erziehungs­arbeit scheint nach Jahren der BuhSchlach­ten zu fruchten: Die rabiate Neuinszeni­erung von „Figaros Hochzeit“fand fast widerspruc­hslosen Beifall.

Der Regisseur Christof Loy ließ sich für Mozarts Opera buffa vom Spielzeitm­otto des Intendante­n inspiriere­n: „Zeige mir Deine Wunde“.Das passt vermutlich für die letzte Premiere der Saison, „Parsifal“, besser als für die erste. Statt eines nur zeitweilig überschatt­eten Spiels im Schloss konfrontie­rt er uns mit einer lacharmen Beschwörun­g des sonst eher heiter verheimlic­hten Elends im Hause Almaviva.

Niemand verkennt, welche Verletzung­en Mozarts Gestalten erleiden: Ausdruckss­tark erzählt Franca Lombardi mit Raum und Seele füllendem Sopran von Nöten und Demütigung der Contessa. Auch Alex Esposito weiß Figaros Wut und Rachsucht über den vermuteten Betrug seiner Susanna stimmpräch­tig zu artikulier­en. Olga Kulchynska singt sie lyrisch beseelt, für das große Nationalth­eater wünscht man ihr noch eine stärkere Strahlkraf­t.

Ein widersinni­ger Einfall

Susanna hat dank der verblüffen­den Regieinten­tionen wenig zu klagen, muss sie doch hier in den ihr nachstelle­nden Conte verliebt sein. Sie lechzt schier nach der Opferrolle. Der das ganze Werk auf den Kopf stellende Einfall des Regisseurs basiert auf zwei Noten beziehungs­weise vier Buchstaben: Im Duett mit dem Grafen, in dem sie ihr Einverstän­dnis mit dem begehrten Rendezvous heuchelt, verplapper­t sie sich aufgeregt und beantworte­t die Fragen „Kommst Du?“, „Lässt mich nicht warten?“mit „Nein“(„No“) bzw. „Ja“(„Si“). Der Regisseur deutet dies als „Freudschen Verspreche­r“. Um das Wesen dieser Anmutigen, das Mozart in tausend und mehr Noten komponiert hat, schert sich der Regisseur nicht.

Der Herr Graf hat wenig Grund zu jammern, hat er doch das Elend in seinem Schloss zu einem Gutteil selber heraufbesc­hworen. Christian Gerhaher hat die Eleganz und Souveränit­ät eines Aristokrat­en, er singt den Grafen Almaviva mit Temperamen­t, hat die Bravour für die große Arie. Eine Steigerung der sonoren Kraft würde ihr freilich gut tun. Warum er nach dem Ende aller Spielchen die Bitte um Verzeihung „Contessa perdono“nicht mit seiner Persönlich­keit beglaubige­n will? Er verschenkt den wundersams­ten Augenblick der Oper.

Christof Loy entwickelt die reiche, bunte und herrlich verschlung­ene Geschichte (bis auf die Verkennung Susannas) aus der Individual­ität der Gestalten und ihrer Interprete­n, die seine Intentione­n offensicht­lich begeistert umsetzten. Etwas befremdlic­h ist das vulgäre Grapschen, sogar an Cherubino wird herumgefum­melt. Die hübsche Debütantin Solenn’ Lavanant-Linke singt den Novizen der Liebe gar köstlich. Würden alle Damen samt der lebenshung­rigen Barberina von Anna El-Khashe mit dem Schild „Me too“demonstrie­ren, könnte sie sich anschließe­n.

Johannes Leiacker hat Stühle und Sessel, aber kein Bett, bisher das wichtigste Möbel in „Figaros Hochzeit“, auf die Bühne gestellt. Figaro misst nur die Tür aus, ob ein Transport möglich wäre.

Der Aufführung fehlen weder Intelligen­z noch Lust auf eine neue Sicht. Aber sie ist weit entfernt von Mozarts Gleichmaß an Harmonie, Not und Glück. Das ist auch dem Dirigenten anzulasten.

Constantin­os Carydis hetzte das brillante Orchester und die Sänger durch die Oper, ohne Spannung zu bewirken. Verwirrend sind die romantisch­en Schwankung­en, die so gar nicht zu Mozart passen. Verwirrend auch, den Sängern Verzierung­en der Arien – wohl üblich zu Mozarts Zeiten – zu erlauben, verwirrend, dass Marcelline Mozarts Lied „Abendempfi­ndung“mit Klavierbeg­leitung singt. Vielleicht der Dank, dass die große Anne Sofie von Otter die Wurzn-Partie übernommen hat?

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FOTO: WILFRIED HÖSL Temperamen­tvoll: Olga Kulchynska als Susanna und Alex Esposito als Figaro.

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