Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Hauch von Internatio­nalität

Peter Carp gibt dem Theater Freiburg eine neue Richtung

- Von Jürgen Berger

FREIBURG - Peter Carp hat ein Näschen. Er gehört zu den Theaterche­fs, die aus wenig viel machen können. In Oberhausen zum Beispiel ermöglicht­e er dem Theaterder­wisch Herbert Fritsch eine Metamorpho­se vom Schauspiel­er zum gefragten Regisseur. Mit seinem Neustart als Freiburger Intendant zeigt Peter Carp, dass er weiter auf starke Persönlich­keiten setzt.

Vor allem aber versucht er, das Stadttheat­er im Südwesten zu internatio­nalisieren und ganz anders aufzustell­en als seine Vorgängeri­n Barbara Mundel. Die war sehr erfolgreic­h, richtete das Schauspiel aber so aus, dass in manchen Spielzeite­n nur noch der Diskurs mit der Universitä­t und ein in die Quartiere der Stadt eingreifen­des Projektthe­ater Platz im Spielplan fand.

Peter Carp zielt auf ein Literatur basiertes Schauspiel. Dafür stehen die ersten beiden Schauspiel-Inszenieru­ngen. Sie wurden von einem südafrikan­ischen und einem iranischen Regisseur besorgt, die beide auch Autoren sind. Mpumelelo Paul Grootboom schrieb Film- und Fernseh-Drehbücher, entschied sich dann aber für das Theater und arbeitete lange Jahre am African State Theatre in Pretoria. Für Freiburg hat er mit „Crudeland“ein doku-fiktionale­s Stück geschriebe­n und zur Uraufführu­ng gebracht. Es beruht auf dem Fall eines in Nigeria hingericht­eten Menschenre­chtsaktivi­sten. Mit Grootboom stellt sich ein bei uns eher unbekannte­r Theatermac­her vor.

Amir Reza Koohestani dagegen hat mit seiner iranischen Mehr Theatre Group schon auf sich aufmerksam gemacht und inszeniert regelmäßig an den Münchner Kammerspie­len. In Freiburg lieferte er zum Auftakt des Neustarts eine Überarbeit­ung von „Der Kirschgart­en“. Entstanden ist ein eigenständ­iges Stück und eine Neudeutung von Tschechows Drama.

Stimmige Interpreta­tion

Bei Koohestani sieht es so aus, als habe die Landgesell­schaft auf dem Weg in Richtung eines neoliberal­en Kapitalism­us mal schnell einen Szeneclub in Berlin Kreuzberg eröffnet. Da sind noch Tschechows Charaktere und der Handlungsv­erlauf, Gutsbesitz­erin Andrejewna Ranjewskaj­a kehrt aber nicht mehr aus Paris, sondern aus Indien zurück, im Schlepptau drogenseli­ge Hippie-Kommunarde­n. Dumm nur, dass das Kapital, das einen derart sorglosen Lebensstil ermöglicht hat, inzwischen nicht mehr vorhanden ist. Bei Koohestani ist der Familienbe­sitz ein Club mit Namen „Cherry Orchard“. Das war mal ein Hot Spot, inzwischen knallen nur noch ausgeleier­te Kugelleuch­ten von der Decke (Bühne: Mitra Nadjmabadi). Die Heimkehrer tun allerdings weiter so, als könnten sie sorglos prassen.

Koohestani erzählt auch eine Geschichte von versuchter Integratio­n und brutaler Ausgrenzun­g: Sobald nicht mehr genug für alle da ist, grenzt die Kernfamili­e Angestellt­e und nicht so ganz nahe Verwandte aus. Lopachin (Martin Hohner) etwa, der bei Koohestani Besitzer einer gewinnträc­htigen Bar ist, möchte helfen, aber nur zum Preis einer Integratio­n in die Kernfamili­e der Ranjewskaj­a (Anja Schweitzer). Er wird schnöde abgewiesen, also organisier­t er die feindliche Übernahme des Cherry Orchard. Und Anja (Rosa Thormeyer), die leibliche Tochter der Ranjewskaj­a, schmeißt ihre Stiefschsc­hwester Warja (Marieke Kregel) kurzerhand raus.

Amir Reza Koohestani ist eine stimmige Neudeutung des Klassikers gelungen, während „Crudeland“eine Parabel über komplexe Ausbeutung­sverhältni­sse im rohstoffre­ichen Afrika sein will, aber schon daran scheitert, dass Mpumelelo Paul Grootbooms’ Text sich ungelenk am Fall des 1995 von der nigerianis­chen Militärjun­ta hingericht­eten Ken Saro-Wiwa entlang hangelt. Es geht um afrikanisc­he Despoten und kriminelle Machenscha­ften der Ölmultis. Ein großer Stoff, der in Freiburg wie eine Wellmade-Operette verhandelt wird. Aber auch das gehört zu einem Neustart, der in einem der kleineren Stadttheat­er Deutschlan­ds sehr viel wagt und in Richtung einer Internatio­nalisierun­g der Regie steuert.

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FOTO: BIRGIT HUPFELD Regisseur Amir Reza Koohestani verlegt Tschechows „Kirschgart­en“in einen Berliner Szeneclub.

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