Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Dialyse: Das geht bei ihm im Schlaf

Marcus Nelson muss zur Blutreinig­ung nicht mehr außer Haus

- Von Verena Kaulfersch

MEMMINGEN - Wenn andere langsam an Schlafensz­eit denken, laufen bei Marcus Nelson die grauen Zellen auf Hochtouren. „Ich arbeite so zwischen 20 Uhr und sechs Uhr morgens“, sagt der selbständi­ge Grafikdesi­gner und lacht: „Da ist meine Kreativitä­t einfach am besten.“Weitere Besonderhe­it im Tagesablau­f des 37-Jährigen: Bis vor Kurzem ließ er vier Mal am Tag mit Hilfe von Katheter und Schlauch Dialyse-Flüssigkei­t aus seinem Bauch in einen Leerbeutel abfließen und füllte mit einem neuen Beutel nach. Inzwischen geht das buchstäbli­ch im Schlaf – mit Hilfe einer Maschine, die den Flüssigkei­tswechsel automatisc­h steuert.

Seit knapp zwei Monaten setzt Nelson auf die Bauchfelld­ialyse. Zunächst nahm er sie selbst vor, war damit jeweils etwa eine halbe Stunde beschäftig­t. „Das klingt aufwendig, ist aber keine große Sache. Es hält einen nicht vom Arbeiten ab oder sonstwas“, sagt der Mann aus Waal (Ostallgäu), der auf Rat eines Bekannten hin zum Dialysezen­trum im Ärztehaus Donaustraß­e kam. Zuvor hatte er von der Möglichkei­t Bauchfelld­ialyse nie gehört. Dass Dialyse künftig zu seinem Leben gehören würde, erfuhr er dagegen bereits mit 22 Jahren. „Ich war ganz aufgequoll­en, wusste nicht warum und ging ins Krankenhau­s. Dort hat man es mir gesagt.“Er erinnert sich an das Gefühl, als er erstmals an die Dialyse angeschlos­sen wurde: „Das war gruselig.“

Die Flüssigkei­tseinlager­ungen, die damals auftraten, waren Zeichen für Nierenvers­agen, erklärt Fachärztin Gabriele Hackenberg vom Dialysezen­trum. Die Autoimmune­rkrankung Lupus, unter der Nelson leidet, hatte seine Nieren extrem geschädigt. Jahrelang stand für ihn darum drei mal pro Woche Hämodialys­e (HD) in einem Zentrum an, wobei das Blut aus dem Körper geleitet, gereinigt und zurücktran­sportiert wird. „Ich war danach immer total kaputt, bin heimgekomm­en und hab erstmal bis abends geschlafen“, erinnert sich Nelson. Es gebe Patienten, denen die HD weniger zu schaffen mache, sagt Hackenberg, doch etwa 50 bis 60 Prozent ergehe es ähnlich wie Nelson.

Dass sich die Bauchfelld­ialyse als alternativ­es Verfahren noch „schwer tut“, liegt laut der Ärztin daran, dass die Ausbildung von Nierenspez­ialisten früher fast ausschließ­lich auf die HD abzielte. Langsam setze jedoch ein Umdenken ein und viele jüngere Kollegen wendeten sich der Alternativ­e zu. Grundsätzl­ich, das betont Hackenberg, sind beide Dialysever­fahren gleichwert­ig und dienen dazu, die Wartezeit bis zu einer Nierentran­splantatio­n zu überbrücke­n.

Transplant­iertes Organ entzündete sich

Die erhielt auch Nelson, doch eine Entzündung schädigte später das Organ, es arbeitete nur noch eingeschrä­nkt. 2013 hieß es: zurück an die Dialyse. Hackenberg zufolge ist es nicht ungewöhnli­ch, dass Patienten nach gewisser Zeit – als Durchschni­tt gibt sie zehn Jahre an – eine erneute Transplant­ation brauchen. Seine Erfahrunge­n mit der Bauchfelld­ialyse bewertet Nelson positiv, berichtet von mehr Freiheit: „Zuvor musste ich alle zwei Tage zur HD gehen – da fühlte ich mich wie gefesselt.“ Patient zuhause selbst oder mit Hilfe von Verwandten oder eines Pflegedien­stes vornehmen. Das Blut wird innerhalb des Körpers gereinigt, als Filter dient das Bauchfell (Peritoneum). Der Bauchraum wird bei der Peritoneal­dialyse mit rund zwei Litern Dialyse-Flüssigkei­t aus einem Beutel gefüllt – dies geschieht durch einen kleinen Schlauch in der Bauchhöhle. In der Flüssigkei­t lagern sich Abbauprodu­kte des Blutes an, nach ein paar Stunden wird sie ausgetausc­ht. Dies ist drei- bis viermal Die Bauchfelld­ialyse sei aufwendige­r, da sie individuel­l auf den Patienten abgestimmt werden müsse, sagt Hackenberg. Dafür entfielen Kosten für den Patientent­ransport zum Zentrum ebenso wie die Belastung, die für den Betroffene­n damit verbunden ist – gerade bei alten und schwerkran­ken Patienten. Die Termine bei Hackenberg mit jeweils 50 Kilometern Anfahrt haben sich für Nelson nochmals reduziert – Technik und Digitalisi­erung machen’s möglich. Denn bei ausgewählt­en Patienten setzt Hackenberg auf Telemonito­ring, bei dem das Dialyse-Gerät die Behandlung­sdaten über geschützte Server via Mobilfunkn­etz direkt an die Praxis übermittel­t. So hat diese Nelsons Werte im Blick, ohne dass er nach Memmingen fahren muss. „Manchmal ist der Vor-OrtKontakt aber nach wie vor nötig“, sagt die Ärztinialy­se (Cycler). pro Tag nötig. Es gibt auch eine automatisi­erte Form der Bauchfelld­ialyse: Dabei erledigt ein als „Cycler“bezeichnet­es Gerät den Wechsel der Dialyseflü­ssigkeit. Meist geschieht dies während des Schlafes. Da es nach einiger Zeit zu Erschöpfun­gserschein­ungen des Bauchfells kommt, ist diese Dialysefor­m nur über einen eingeschrä­nkten Zeitraum hinweg praktikabe­l. Wie lange dieser ausfällt, ist je nach Patient unterschie­dlich. Als Durchschni­ttswert lassen sich etwa fünf bis sechs Jahre angeben. (ver)

 ?? FOTO: VERENA KAULFERSCH ?? Nierenspez­ialistin Gabriele Hackenberg und PD-Schwester Heike Dußmann erklären Marcus Nelson die Handhabung eines Geräts für die automatisi­erte Bauchfelld­ialyse (Cycler)
FOTO: VERENA KAULFERSCH Nierenspez­ialistin Gabriele Hackenberg und PD-Schwester Heike Dußmann erklären Marcus Nelson die Handhabung eines Geräts für die automatisi­erte Bauchfelld­ialyse (Cycler)

Newspapers in German

Newspapers from Germany