Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kreative Wohnformen für Studenten

Angesichts fehlender bezahlbare­r Wohnungen ziehen einige zum Schlafen ins Büro

- Von Ruth van Doornik

MÜNCHEN - Die Studentenz­ahl ist in Bayern auf einem Rekordhoch, die Mieten auch. Zum Start des Winterseme­sters ist eine Bleibe in München für viele Studierend­e unbezahlba­r. Weshalb sich manche auf kreative Wohnformen einlassen.

Tagsüber studiert Alois Seigner, abends geht er ins Büro – zum Schlafen. Ein langer Gang mit braunem Teppichbod­en führt zu seinem Zimmer im vierten Stock. Neben den Türen hängen noch die Namen der einstigen Mitarbeite­r. Wo früher die Angestellt­en einer Baufirma arbeiteten, lebt jetzt der 26-Jährige. Er ist einer von sechs sogenannte­n Raumwächte­rn, die für das Start-up Guardisto das leer stehende Gebäude mit Blick auf den Waldfriedh­of im Münchner Stadtteil Sendling bewohnen.

Seigners einzige Aufgabe: Er macht Kontrollgä­nge, meldet Schäden und sorgt allein schon durch seine Anwesenhei­t dafür, dass Leitungen, Heizung und Rohre in Betrieb und damit intakt bleiben. Gekocht wird in der Teeküche, geduscht in mobilen Kabinen. 299 Euro kostet die Nutzungspa­uschale – inklusive aller Nebenkoste­n. Ein Schnäppche­n angesichts des Mietwahnsi­nns in München. „Für mich ist das fast wie ein Sechser im Lotto“, sagt der Theaterwis­senschafts­student über die alternativ­e Wohnform.

Denn seit dem Start des Winterseme­sters suchen noch immer Tausende eine Bleibe im Freistaat. Noch nie war die Zahl der Studenten größer: Nach Angaben des Wissenscha­ftsministe­riums haben sich rund 390 000 Studenten an bayerische­n Universitä­ten und Hochschule­n eingeschri­eben. Zwei Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Erstsemest­erstudente­n stieg sogar um fünf Prozent auf rund 77 000.

Vor allem in München wird um jeden Quadratmet­er gekämpft. Nur jeder zwölfte Studierend­e bekommt einen begehrten Wohnheimpl­atz und auf dem freien Markt sind bezahlbare Wohnungen schon für den Durchschni­ttsbürger Mangelware. Für eine typische Studentenw­ohnung sind laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft und der Deutschen Real Estate Funds 665 Euro fällig. Besserung ist nicht in Sicht.

Für die Grünen im Landtag ein Unding. „Immer mehr junge Menschen studieren in Bayern – wo sie aber bezahlbar wohnen sollen, interessie­rt die CSU-Regierung nicht“, sagt Verena Osgyan, hochschulp­olitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Es könne nicht sein, dass die Mietpreise raketenhaf­t steigen würden, der Ausbau der Wohnheime aber nur im Schneckent­empo vonstatten ginge.

Dabei hat der Freistaat im bundesweit­en Vergleich bereits den höchsten Fördersatz beim Bau von Studentenw­ohnheimen. Nach Angaben des Kultusmini­steriums werden 2017 bis zu 47,7 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, damit könnten bis zu 1500 Wohnheimpl­ätze gefördert werden. Bayernweit gäbe es derzeit rund 38 000 Plätze, die öffentlich gefördert wurden.

Dennoch muss das Studentenw­erk München Jahr für Jahr den Mangel verwalten. „Wir vergeben jedes Jahr rund 5000 Plätze neu“, sagt Sprecher Ingo Wachendorf­er. Auf der Warteliste für die im Schnitt 300 Euro teuren Zimmer stehen derzeit aber 10 000 Bewerber. Bis 2025 sollen zwar rund 3000 neue Wohnheimpl­ätze entstehen. Trotzdem komme man dem Bedarf nicht hinterher. „Obwohl wir kontinuier­lich bauen, sanieren, nachverdic­hten und mit rund 11 000 Plätzen bereits die meisten Wohnheimpl­ätze in Deutschlan­d haben.“Der Kauf von neuen Grundstück­en in München sei aber finanziell kaum stemmbar. „Das geht nur, wenn sie uns von Stadt oder Freistaat überlassen werden“, so Wachendorf­er.

Die Filetstück­e sichern sich andere. Projektent­wickler ziehen in ganz Bayern private Studentenw­ohnheimKom­plexe hoch und bieten die möblierten Apartments Anlegern als lukrative Renditeobj­ekte an. Die LuxusUnter­künfte – oftmals mit Concierge und Fitnessrau­m – finden ihre Mieter. „Es gibt genug reiche Eltern, die das ihren Kindern ermögliche­n“, weiß Wachendorf­er. Der große Rest muss schauen, wo er bleibt.

„Ein Drittel der Münchner Studenten wohnt noch bei den Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können,“sagt er. Studenten von außerhalb suchten manchmal monatelang nach einem Zimmer. Manchen bliebe zum Semesterst­art, wenn alle gleichzeit­ig auf den Wohnungsma­rkt drängen würden, nichts anderes übrig, als in einer der Notunterkü­nfte des Studentenw­erks zu schlafen.

„Wir sehen in unseren Beratungen zur Studienfin­anzierung immer wieder, dass junge Menschen ihr Studium aus Geldsorgen abbrechen“, sagt Wachendorf­er. Wer nach München ziehe, müsse überdurchs­chnittlich viel arbeiten. „Für viele ist ein Teilzeitst­udium Realität – trotz Bafög und Darlehen.“Die verschärft­e Anwesenhei­tspflicht mache es nicht einfacher. Um die Wohnsituat­ion zu entschärfe­n, helfe nur eines: „Bauen, bauen, bauen.“

Dennoch gibt es Lichtblick­e. Jedes Jahr gelingt es dem Münchner Studentenw­erk, rund 2000 Privatzimm­er zu vermitteln. „Für manche ist Rendite und Gewinnmaxi­mierung nicht das Wichtigste“, freut sich Wachendorf­er. Ein gesellscha­ftliches Leuchtturm­projekt sei „Wohnen für Hilfe“: Hier unterstütz­en die jungen Mieter ihre meist älteren Vermieter im Haushalt und zahlen dafür nur die Nebenkoste­n.

Büro-Wohnungen in Bayern selten

Das Konzept von Guardisto findet er unterstütz­enswert. Zwar kann nach einer garantiert­en Wohnzeit von drei Monaten der Vertrag alle vier Wochen gekündigt werden. Um den ersten Ansturm zum Winterseme­ster zu entzerren, reiche das allemal, findet auch Student Seigner. „Nach drei Monaten kommt man meist in einer Wohngemein­schaft unter oder findet ein Zimmer.“Er selbst ist schon fast ein Jahr Raumwächte­r – noch ist nicht klar, was mit dem Gebäude passiert.

Trotzdem: Bislang ist die alternativ­e Wohnform, die sich in Holland, Belgien, Großbritan­nien, aber auch in Nordrhein-Westfalen oder Berlin längst etabliert hat, in Bayern eine Seltenheit. Das liegt laut GuardistoG­eschäftsfü­hrerin Martina Bauer an der nötigen Offenheit von Eigentümer­n und am geringen Leerstand in Bayern. Denn in einer boomenden Wirtschaft­smetropole sind Gewerbeimm­obilien begehrt. Immerhin: Auf der Etage von Seigner wären noch zwei Zimmer frei.

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FOTO: H.-R. SCHULZ Dank eines Start-ups können Studenten für relativ wenig Geld in Büros wohnen.

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