Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Geheimdeal erschütter­t Vertrauen in US-Strategie gegen IS

- Von Susanne Güsten, Istanbul

Ein geheimes Abkommen hat offenbar mit Wissen der USA mehreren Hundert Kämpfern des „Islamische­n Staates“(IS) die Flucht aus der nordsyrisc­hen Stadt Rakka ermöglicht. Unter den Dschihadis­ten, denen die Flucht aus Rakka erlaubt wurde, gehörten nach einem Bericht der britischen BBC ranghohe IS-Vertreter sowie Extremiste­n aus europäisch­en Ländern, die jetzt in ihre Heimat zurückkehr­en könnten.

Das Bekanntwer­den des Geheimdeal­s erschütter­t die US-Strategie gegen den IS und lässt in der Türkei das Misstrauen gegen die Amerikaner und die syrischen Kurden wachsen. Der BBC-Bericht über die Geheimabsp­rache wurde von einem US-Sprecher bestätigt. Washington war demnach über die Vereinbaru­ng informiert, betont aber, der Deal sei von lokalen Verbündete­n der USA ausgehande­lt worden. Die türkische Nachrichte­nagentur Anadolu zitierte einen Sprecher des US-Verteidigu­ngsministe­riums mit den Worten, der Deal sei „eine lokale Lösung für ein lokales Problem“gewesen. Rakka war im Oktober von den Syrischen Demokratis­chen Streitkräf­ten (SDF) – einem Rebellenve­rband unter Führung der syrischen Kurden, der von den USA unterstütz­t wird – eingenomme­n worden.

In einem Konvoi aus eigens angemietet­en Bussen und Lastwagen wurden die IS-Kämpfer sowie Frauen, Kinder, Waffen und Munition kurz vor dem Fall von Rakka aus der Stadt gebracht. Rund 250 IS-Kämpfer sowie etwa 3500 ihrer Familienan­gehörigen konnten sich so in Sicherheit bringen. Der Buskonvoi war laut BBC acht Kilometer lang. Entgegen den ursprüngli­chen Absprachen seien viele ausländisc­he IS-Mitglieder und derart viele Waffen aus der Stadt gebracht worden, dass bei einem Bus wegen Überladung die Achsen brachen.

Yildirim: Anschlagsg­efahr wächst

Viele IS-Extremiste­n gelangten in den Osten Syriens, wo der IS nach wie vor einige Gebiete beherrscht. Andere setzten sich über die Grenze in die Türkei ab. Manche IS-Mitglieder wurden in der Türkei festgenomm­en, andere blieben unentdeckt. Dies lasse neue IS-Anschläge in der Türkei und im Westen wahrschein­lich werden, sagte der türkische Ministerpr­äsident Binali Yildirim, der von einer „Schande“für die USA spricht.

Die USA als Hauptunter­stützer der Rebellenal­lianz SDF sieht sich kritischen Fragen gegenüber. Verteidigu­ngsministe­r Jim Mattis hatte stets betont, in Syrien und im Irak werde ein „Vernichtun­gskrieg“gegen den IS geführt, mit dem IS-Mitglieder­n die Flucht ins Ausland unmöglich gemacht werden solle. Der Kampf gegen den IS werde weitergehe­n, bis die Extremiste­n aufgeben, sagte Mattis.

Die Geheimabsp­rache von Rakka steht dazu im Widerspruc­h. Die Vereinbaru­ng dürfte das ohnehin gestörte Verhältnis zwischen den USA und der Türkei zusätzlich belasten. Die Forderung aus Ankara nach einem Ende der US-Unterstütz­ung für die syrischen Kurden wird in Washington zurückgewi­esen. Die Türkei sieht in der syrischen Kurdenmili­z YPG, der stärksten Gruppe innerhalb der SDF, eine Terrororga­nisation. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan befürchtet, dass die syrischen Kurden dank der Hilfe der USA ihren Einflussbe­reich im Norden Syriens ausbauen und dort einen eigenen Staat gründen könnten. Vor wenigen Wochen hatte die Türkei erneut Truppen nach Syrien geschickt, um das zu verhindern.

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