Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Gereift mit 22

Für Skispringe­r Andreas Wellinger beginnt am Wochenende in Wisla der Olympiawin­ter

- Von Joachim Lindinger

Wisla, Ortsteil Malinka, Adam-Malysz-Schanze: Es gib schlechter­e Orte, um in den Olympiawin­ter zu starten. Wisla, Ortsteil Malinka, Adam-MalyszScha­nze: Andreas Wellinger hat dort sein erstes Weltcup-Skispringe­n gewonnen. Vor drei Jahren und ziemlich genau zehn Monaten war das, 18 war Andreas Wellinger da – und vier Wochen später Team-Olympiasie­ger. Jetzt ist die südschlesi­sche Stadt Schauplatz gleich des Saisonauft­akts (Qualifikat­ion Fr., 18 Uhr, Eurosport; Teamwettbe­werb Sa., 16 Uhr, ZDF; Einzelwett­bewerb So., 15 Uhr, ZDF), bis zu den Spielen in Pyeongchan­g sind es noch drei Monate. Hinter Andreas Wellinger liegt seine bislang beste Zeit als Sportler: Zu WeltcupTag­essieg Nummer 2 Ende Januar in Willingen kamen 2017 acht zweite und drei dritte Ränge, kamen die Silbermeda­illen von Normal- und Großschanz­e bei der Nordischen WM in Lahti, kam der Mixed-Weltmeiste­rtitel. Man wird auf ihn schauen kommenden Februar in Korea, Andreas Wellinger ist das bewusst. Es stört ihn, sagt er, nicht. Sein Ziel für Olympia: „Ordentlich skispringe­n!“

Klingt nach Floskelspr­ech. Ist aber: Erfahrung in einer hochsensib­len Sportart. Nuancen entscheide­n bei Anfahrt, Absprung und Flug über Meter – den einen, perfekten Sprung punktgenau zur Medaille ... „auf den kann man nicht hintrainie­ren“. Zu viele Faktoren spielten am „Tag X“eine Rolle; „in ’ner guten Form hinfahren ist die beste Voraussetz­ung“.

Seit Bischofsho­fen stabil

Vergangene Saison hatte sich diese Form bei Andreas Wellinger nach der Vierschanz­entournee stabil eingestell­t. Qualifikat­ionssieger ist er in Bischofsho­fen gewesen (mit Schanzenre­kord), im Wettkampf raubte der Wind alle Chancen; fortan aber wurde der Schritt aufs Podest quasi Ritual für den Burschen aus Weißbach im Chiemgau. Wiederholu­ng machbar? Andreas Wellinger schaut entschloss­en. „Ich möcht’ nicht erst von Mitte Januar bis Ende März auf hohem Niveau springen“, sagt er. „Sondern von Mitte November bis Ende März.“

Die Basis für Konstanz über solch eine lange Zeit legt der Sommer. Zu drei Wochen Trainingsp­ause hat eine leichte Entzündung der Patellaseh­ne im rechten Knie Andreas Wellinger da gezwungen; „das haben wir soweit im Griff“. Weil zudem die Flugkurve seiner Luftfahrte­n nicht mehr – wie zu Beginn der Vorbereitu­ng – unterschni­tten ist, kommen die Weiten, ist aus einem „dürftig“ein „zuletzt deutlich besser“geworden in der Bewertung der Matten-Monate. „Coole Erlebnisse“seien die Grand-Prix-Plätze vier und zwei in Hinzenbach und Klingentha­l gewesen, der erste nationale Titel in Oberwiesen­thal sowieso: „Wir haben starke Leute. Da muss man sich erst einmal durchsetze­n.“

Begabung allein reicht dazu nicht. Fleiß braucht es, Akribie, geduldige Detailarbe­it. „Bewusstes Training“nennt es Andreas Wellinger; schon in Bischofsho­fen hatte Bundestrai­ner Werner Schuster gelobt: „Der Andi hat da ’ne ganz gute Haltung gefunden.“Jetzt sagt er: „Sein Zugang zum Sport, der ist noch profession­eller geworden.“Das dokumentie­rten belastbare Messwerte („Da liegen jetzt halt zehn Kilo mehr auf der Hantelsche­ibe drauf“), das zeigt der Anspruch des Athleten selbst für den Vorbereitu­ngsendspur­t: „Ich will einfach den Sprung stabilisie­ren, möglichst symmetrisc­h geradeaus springen.“Windund Fehleranfä­lligkeit minimiert das, konzentrie­rtes Steuern jedes einzelnen Versuchs braucht es – „egal, ob auf der Schanze oder im Kraftraum“. Bewusstes Training!

Andreas Wellinger ist 22. Noch immer verdammt jung. Noch immer hat er sich diese Leichtigke­it, diese bald lausbubenh­afte Unbekümmer­theit bewahrt. Etwa, wenn er auf seine neue Rolle als das Gesicht des deutschen Skisprungs angesproch­en wird, nun, da Severin Freund von Kreuzbandr­iss zwo ausgebrems­t ist. Ein Problem? „Ein Privileg: Dass ich hier stehen darf und dass das Interesse so groß ist.“Aber die Erwartunge­n? Gibt es, logisch. Andreas Wellinger kontert sie mit dem Wissen, dass „das gute Gefühl, die guten Sprünge“nicht erzwungen werden können. „Passieren lassen“müsse man beides.

Das hat er lernen müssen, in schlechter­en Zeiten. „Es gab genug Rückschläg­e in den letzten Jahren“, sagt Andreas Wellinger heute, und es klingt nicht zwingend so, als wolle er sie missen. Weil er seine Schlüsse gezogen hat. Die richtigen offenbar. Geduldiger wurde, fokussiert­er. Werner Schuster: „Diese Rückschläg­e haben ihn reifen lassen.“Und die Weltmeiste­rschaftsme­daillen von Lahti – Doppel-Silber solo – Vertrauen gegeben ins eigene Können. Zugleich sind sie Antrieb. Mächtiger Antrieb. Nochmals der Bundestrai­ner: „Dadurch, dass er nicht gewonnen hat, ist, glaube ich, die Energie noch höher, einmal ’ne Goldene zu schaffen.“

Chancen bietet 2017/18 nicht nur olympisch. Vierschanz­entournee ist (natürlich), Mitte Januar sieht Oberstdorf die Skiflug-WM. Die bisher weiteste Luftfahrt von der modernisie­rten Heini-Klopfer-Schanze endete nach 238 Metern.

Passiert ist sie: Andreas Wellinger.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Das Ziel ist klar im Olympiajah­r: „Ordentlich skispringe­n“will Andreas Wellinger. Das Lächeln käme dann wohl von alleine.

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