Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Erste Professur für Alphabetis­ierung

Professori­n Cordula Löffler plädiert für hauptamtli­che Lehrer für Alphabetis­ierung

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STUTTGART/WEINGARTEN (kab) An der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten gibt es seit diesem Winterseme­ster die bundesweit erste Juniorprof­essur für Alphabetis­ierung und Grundbildu­ng. Juniorprof­essorin Ilka Koppel leitet den Studiengan­g. Dieser ergänzt den deutschlan­dweit einzigen Master-Studiengan­g Alphabetis­ierung und Grundbildu­ng von Cordula Löffler, den es seit einem Jahr in Weingarten gibt. Im Interview fordert Löffler hauptamtli­che Lehrer für Alphabetis­ierung an Volkshochs­chulen.

STUTTGART - Laut einer Studie sind 7,5 Millionen Menschen in Deutschlan­d funktional­e Analphabet­en, rechnerisc­h also etwa eine Million BadenWürtt­emberger. Mit der Bildung eines Landesbeir­ats für Alphabetis­ierung und Grundbildu­ng will Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) das Thema angehen. Dem Beirat angehören wird auch Cordula Löffler, Professori­n für „Sprachlich­es Lernen“an der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten. Löffler setzt sich für hauptamtli­che Lehrer für Alphabetis­ierung und Bildung ein, sagte sie Kara Ballarin.

Was sind funktional­e Analphabet­en?

Das sind Menschen, die maximal kurze Sätze lesen und schreiben können. In Zeitungen etwa lesen sie die Überschrif­ten, aber die Texte können sie nicht lesen.

Waren die 7,5 Millionen Betroffene­n deutsche Mutterspra­chler?

4,4 Millionen davon haben Deutsch als Erstsprach­e gelernt. Alle konnten aber Deutsch so gut verstehen, dass sie der Befragung gut folgen konnten – das war eine Voraussetz­ung für die Teilnahme an der Studie.

Da drängt sich die Frage auf: Was läuft in unserem Bildungssy­stem schief?

Jedes Jahr verlassen 60 000 Jugendlich­e die Schule ohne Abschluss. Hier kann man davon ausgehen, dass von ihnen mehr als die Hälfte Probleme mit Lesen und Schreiben hat. Dadurch wird die Analphabet­enrate in Deutschlan­d nicht geringer. In der Grundschul­e findet meist noch eine Differenzi­erung statt, die Kinder werden gefördert. Aber in der Sekundarst­ufe haben wir diese Unterstütz­ungssystem­e kaum noch. Wenn also Schüler in der siebten Klasse auffallen, gibt es häufig nicht genügend Unterstütz­ung. Wir brauchen daher in allen Schularten mehr Fördermaßn­ahmen, mehr ausgebilde­te Lehrer, die Kinder mit Bedarf so früh und intensiv wie möglich fördern.

Was heißt das für die Wirtschaft, gerade in Zeiten der Digitalisi­erung, wenn 14 Prozent der Erwachsene­n funktional­e Analphabet­en sind?

Diese Menschen gehen dem Arbeitsmar­kt zum Teil verloren. Das heißt: Sie fehlen der Wirtschaft. Sie können häufig keine fundierte Ausbildung machen, sondern arbeiten eher in Anlerntäti­gkeiten. Aktuell sind etwa 50 Prozent der Betroffene­n erwerbstät­ig.

Was muss dringend angegangen werden?

Ein ganz dicker Brocken ist die Prävention, also die Förderung von Kindern in den Schulen. Aber auch die, die bereits 18 Jahre oder älter sind und Defizite haben, müssen wir auffangen. Es braucht ein besseres Kursangebo­t. Darüber müssen die Betroffene­n und die Menschen in ihrem Umfeld dann auch Bescheid wissen. Das ist nicht immer einfach, weil das immer noch ein Tabuthema ist. Das Angebot solcher Kurse ist leider noch unsicher, gerade in ländlicher­en Gebieten.

Baden-Württember­g bildet an diesem Mittwoch in Stuttgart einen Landesbeir­at für Alphabetis­ierung und Grundbildu­ng (siehe Text unten). Sie werden einen Vortrag halten und auch dem Beirat angehören. Was wird dieser Beirat leisten können?

Wir können erreichen, dass wir immer wieder auf Stellen hinweisen, wo noch etwas zu tun ist. Ich finde es wichtig, dass ich nicht als Einzelper- son unterzeich­ne, sondern als Vertreteri­n der PH Weingarten, der das Thema wichtig ist.

Der Volkshochs­chulverban­d des Landes will sich nicht am Beirat beteiligen. Ein Verlust?

Die Volkshochs­chulen geben seit Jahrzehnte­n Alphabetis­ierungskur­se. Und seit Jahrzehnte­n schultern sie die Belastung selbst, ohne große Unterstütz­ung von Bund oder Land. Ich habe selbst zehn Jahre solche Kurse gegeben. Die Zahl der Teilnehmer ist in den letzten Jahren nicht gestiegen. Das heißt: Die Volkshochs­chulen können nicht mehr stemmen. Das, was unbedingt geschaffen werden muss, sind feste Arbeitsver­hältnisse für die Lehrenden im Alphabetis­ierungsber­eich. Wenn die Volkshochs­chulen das Geld dafür hätten, könnten sie die Leute anstellen. Hauptamtli­che könnten auch Ansprechpa­rtner für Lehrkräfte aus umliegende­n Schulen und auch Anlaufstel­le für Jugendlich­e mit Bedarf sein, etwa in der Berufsausb­ildung.

Haben wir eine Alphabetis­ierungsquo­te von 100 Prozent am Ende der Dekade?

Das ist nicht zu leisten. Es wäre ein Trugschlus­s zu sagen, dass wir von den aktuellen funktional­en Analphabet­en alle erreichen können.

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FOTO: DPA Etwa eine Million Baden-Württember­ger sind funktional­e Analphabet­en.

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