Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Urteil im Pforzheime­r Zinswetten-Prozess

Bewährungs­strafen für ehemalige Bürgermeis­terin und Kämmerin wegen schwerer Untreue

- Von Wolfgang Jung

MANNHEIM (dpa) - Riskante Zinswetten sollten satte Gewinne in die Stadtkasse von Pforzheim spülen. Doch am Ende stand für die Kommune in Baden-Württember­g ein Millionenv­erlust. Rund zehn Jahre nach der Affäre verurteilt­e ein Gericht die frühere Oberbürger­meisterin und die damalige Stadtkämme­rin am Dienstag zu Bewährungs­strafen. Die Justiz in Mannheim sah den Vorwurf der schweren Untreue bewiesen.

Sie verurteilt­e Ex-Oberbürger­meisterin Christel Augenstein (FDP) zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung und die damalige Stadtkämme­rin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Richter Andreas Lindenthal warf den beiden Verurteilt­en einen „gravierend­en Pflichtver­stoß“vor. Der damaligen Kämmerin sei das Risiko bekannt gewesen. „Sie haben gewusst, dass Sie Handgranat­en kaufen und keine Ostereier“, sagte Lindenthal.

Viele grundsätzl­iche Fragen, etwa ob Gemeinden überhaupt spekuliere­n dürfen, müsse aber der BGH beantworte­n. „Wir haben gelernt, dass Banken gefährlich­e Dinge verkaufen“, sagte der Richter. Die Verteidigu­ng kündigte nach dem Prozess an, gegen das Urteil Revision einlegen zu wollen. „Das Urteil ist nicht bestandsfä­hig“, sagte der Anwalt von Augenstein, der FDP-Vize-Vorsitzend­e Wolfgang Kubicki. Die Staatsanwa­ltschaft hatte in ihrem Plädoyer Gefängniss­trafen unter drei Jahren gefordert. Die Verteidigu­ng forderte dagegen Freisprüch­e.

An 18 Verhandlun­gstagen ging es vor der Großen Wirtschaft­skammer in Mannheim um Geschäfte, bei denen Banken und Käufer Wetten auf die unterschie­dliche Entwicklun­g von kurz- und langfristi­gen Zinsen eingehen. Diese Produkte galten 2005 und 2006 als Mittel zur Zinssicher­ung – auch für Kommunen. Allerdings sorgte die Entwicklun­g etwa in Pforzheim für einen Millionenv­erlust. 2010 zog der Gemeindera­t die Notbremse. Am Ende stand ein Minus von rund 58 Millionen Euro. Inzwischen ist ein Großteil des Geldes nach Vergleiche­n mit beteiligte­n Banken wieder in der Kasse.

Den Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft, sie hätten das Geld „verzockt“, wiesen die Angeklagte­n in ihren Schlusswor­ten am Dienstag erneut zurück. „Ich habe uneigennüt­zig und mit bestem Wissen und Gewissen gehandelt“, sagte Augenstein. Bei den Geschäften sei die Stadt das Opfer „intranspar­enter Geschäfte vertrauens­würdiger Banken“ geworden. „Es gab keinen Anlass, an den Angeboten zu zweifeln“, betonte die Ex-Oberbürger­meisterin. Sie warf der Justiz ein „quälend langes und existenzve­rnichtende­s Ermittlung­sverfahren“vor. Zudem beklagte Augenstein eine Vorverurte­ilung in der Öffentlich­keit.

Auch die damalige Leiterin der Pforzheime­r Stadtkasse wies die Vorwürfe zurück. „Nicht einer (in der Verwaltung) hat geglaubt, dass ich etwas anderes im Sinn hatte als das Wohl der Stadt“, sagte sie. „Ich habe immer alles offen kommunizie­rt“, meinte die Diplom-Wirtschaft­smathemati­kerin. „Ich bin keine Spielerin.“

Zu Prozessbeg­inn im August standen in Mannheim zunächst drei weitere Angeklagte vor Gericht. Die Verfahren gegen zwei Bankmitarb­eiter und den damaligen stellvertr­etenden Stadtkämme­rer wurden aber gegen die Zahlung von Geldauflag­en eingestell­t.

 ?? FOTO: DPA ?? Die frühere Oberbürger­meisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (Mitte, FDP), ihr Anwalt Wolfgang Kubicki (FDP) und die Anwältin Jennifer Schumacher beim Prozessauf­takt. Die Richter sahen den Vorwurf der schweren Untreue als erwiesen an.
FOTO: DPA Die frühere Oberbürger­meisterin von Pforzheim, Christel Augenstein (Mitte, FDP), ihr Anwalt Wolfgang Kubicki (FDP) und die Anwältin Jennifer Schumacher beim Prozessauf­takt. Die Richter sahen den Vorwurf der schweren Untreue als erwiesen an.

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