Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Pionier der Fotografie-Geschichte
Das Münchner Stadtmuseum entdeckt den Franzosen Adolphe Braun und sein florierendes Unternehmen
MÜNCHEN - Diese Hände kennt jeder. Gottvater tippt den Finger Adams an, um so seinen ersten Menschen zum Leben zu erwecken. Dass dieses Detail aus Michelangelos Deckenfresko der Sixtinischen Kapelle seit 150 Jahren um die Welt geht und nicht mehr nur Kunstexperten und Vatikanpilgern vorbehalten ist, hat auch mit einem cleveren Franzosen zu tun: Adolphe Braun (1812-1877). Der umtriebige Mann aus dem Elsass zählt zu den einflussreichsten Fotografen des 19. Jahrhunderts, der ein regelrechtes Imperium mit Dependancen in Paris und New York geschaffen hat. Dass er heute nur mehr Kennern ein Begriff ist, gehört zu den Kuriositäten der Lichtbildgeschichte. Denn wer im Münchner Stadtmuseum die erste Überblicksschau im deutschsprachigen Raum besucht, kommt aus der Verwunderung nicht so recht heraus. Braun hatte nicht nur ein ungemein breites Repertoire, er war auch experimentierfreudig wie kein anderer.
Diesem Macher „mit der Energie von zehn gewöhnlichen Sterblichen“und seinen Söhnen Gaston, Henri und Fernand schienen keine Mühen zu viel. Egal, ob es auf die Gipfel der Schweizer Berge ging oder ins ferne Ägypten zur Eröffnung des Suezkanals. Braun brachte die Welt in die Salons und Stuben der Bürger, die begierig seine Ansichten vom Matterhorn oder der neuen Gotthardbahn erstanden, vom Straßburger Münster und von Mülhausen im Elsass, das er – äußerst geschäftstüchtig – gleich im 1,30 Meter breiten Panorama anbot.
Am Anfang stehen Blumenbilder
Dabei begann Braun ganz bescheiden mit Blumen. Die hat der gelernte Stoffdesigner in eindrucksvollen Kompositionen fotografiert, und mit einer Auswahl von 300 Bildern gelingt ihm 1855 in Paris auf der Weltausstellung sofort der Durchbruch. Ohnehin lebt Mitte des 19. Jahrhunderts das Stillleben wieder auf, Braun trifft damit also auch einen Nerv der Zeit und widmet sich parallel gleich noch den für die Fotografie eher ungewöhnlichen Jagdarrangements. Der Aufwand ist immens, mächtige Glasplatten kommen zum Einsatz, teilweise wird bis zu 30 Minuten lang belichtet. Doch am Ende ist eben auch jedes Hasenfellhärchen und jeder Federflaum zu sehen, dabei liegt die Erfindung der Daguerreotypie gerade mal 20 Jahre zurück.
Von Anfang an werden die Aufnahmen nicht nur als technische Errungenschaft betrachtet, sondern genauso in ihrem künstlerischen Wert diskutiert. Fotografen wie Antoine Claudet wissen zwar, dass sie die Malerei nicht vom Thron stoßen können, dafür haben die Künstler längst das Potenzial der neuen Bilder erkannt. Und Braun bedient auch hier den Bedarf. Besonders die Tiermaler sind spitz auf die akkuraten Vorlagen à la nature.
So malt etwa die Französin Rosa Bonheur Brauns Pferde, während Anton Braith aus Biberach vor allem die Rinder schätzt, die der Nebenerwerbslandwirt im elsässischen Dornach vor seiner Haustür ablichtet. In der Münchner Ausstellung kann man die Gemälde – darunter Braiths „Kuh im Licht“(1968) aus dem Biberacher Braith-Mali-Museum – nun mit den entsprechenden Fotografien vergleichen.
Übrigens auch in einem ganz prominenten Fall: Gustave Courbet besaß für seine Arbeit nicht nur zahlreiche Aktfotografien, er laborierte auch mit Landschaftsaufnahmen, beispielsweise des Genfer Sees mit dem Schloss Chillon. Und nun hängen Brauns Kohledruck dieser Idylle von 1862 und Courbets zwölf Jahre später entstandenes Ölbild fast konspirativ nebeneinander. Von einer Anregung des Malers zu sprechen, ist im Grunde untertrieben.
Es läuft großartig für „Ad. Braun et Co.“: Seit 1861 sind mehrere gut ausgebildete Fotografen gleichzeitig unterwegs, die innerhalb weniger Jahre Tausende von Aufnahmen der Alpen liefern. Die Expeditionen sind gefährlich und anstrengend, denn nicht nur Kameras, sondern auch Chemikalien und ein Entwicklungszelt müssen mit hinauf. 100 Kilo kommen leicht zusammen, und wenn das Wetter nicht mittut, ist alles vergebens. Aber gerade die Ansichten aus der Schweiz sind auf dem Markt heiß begehrt und so überaus präzise, dass sie heute als Beweismaterial für die Abnahme der Gletscher dienen.
Geschäfte mit Reproduktionen
Sieht man vom Börsengang einmal ab, der das Unternehmen mit seinen zeitweise mehr als 100 Angestellten für ein paar Jahre in die Schieflage gebracht hat, dann gelang den Brauns einfach alles. Und das in höchster Qualität. Am erfolgreichsten waren diese ersten Global Player der Fotografie allerdings mit der Reproduktion von Kunstwerken. Rund 30 000 Objekte wurden erfasst, und man ist heute noch verblüfft vom exquisiten Pigmentdruck, der Dürers Radierung eines „Alten Mannes“wiedergibt, und natürlich von all den Michelangelos, die in Florenz und 1868/69 in der römischen Sixtina aufgenommen wurden. Um den Fresken möglichst nahe zu kommen, haben Brauns Fotografen auf einer vier Meter hohen Fahrbühne gearbeitet, und um die Kollodium-Nassplatten sofort entwickeln zu können, musste – wie in den Bergen – die Dunkelkammer mit nach oben.
Dagegen waren die Aufnahmen der Venus von Milo im Louvre bequemer. Zumindest vordergründig. Denn die hellenistische Schönheit, die jetzt im warmen Sepia-Ton von der Wand schimmert, wurde auf einem 1,30 Meter hohen Glasplattennegativ verewigt. Auch das sprengt bis heute die üblichen Dimensionen.
„Adolphe Braun. Ein europäisches Photographie-Unternehmen und die Bildkünste im 19. Jahrhundert“, bis 21. Januar im Münchner Stadtmuseum, geöffnet: Di. bis So. 10-18 Uhr, Katalog: 39,80 Euro.