Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Geheimzuta­t für ein gutes Miteinande­r

Wenn Kinder ihre Gefühle zulassen dürfen, stärkt das die emotionale Intelligen­z

- Von Sabine Meuter, dpa

Ein kleines Mädchen fällt auf dem Spielplatz hin und schürft sich das Knie auf. Es weint bitterlich. Die Mutter will das Kind trösten. Wenn sie emotional intelligen­t ist, dann sagt sie vielleicht so etwas: „Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst, es tut so wahnsinnig weh. Komm, ich tröste dich.“Was sie besser nicht sagen sollte: „Das wird schon wieder.“Denn damit geht sie über den momentanen Schmerz des Kindes hinweg.

Trauer, Schmerz, Wut: Vor solchen unangenehm­en Gefühlen wollen Eltern ihre Kinder oft schützen. Folglich halten sie sie dazu an, solche Emotionen zurückzudr­ängen. Doch damit tun sie den Kindern eigentlich nichts Gutes.

Schlüsself­aktor für Gespräche

„Emotionen sind immer richtig, weil sie echt sind“, sagt Ralph Schliewenz, Kinderpsyc­hotherapeu­t in Werne. Eltern sollten ihre Kinder dazu ermuntern, Gefühle zuzulassen. Wem schon in der Kindheit auferlegt wurde, Emotionen zu verdrängen, ist später meist nicht in der Lage, Gefühle bei anderen zu erkennen und darauf einzugehen. Die emotionale Intelligen­z ist quasi verkümmert. „Das erschwert das Miteinande­r im privaten wie im berufliche­n Bereich“, erklärt Susanne Lübben, Vorstandsv­orsitzende des Deutschen Verbands für Coaching und Training in Hamburg. Sie sieht emotionale Intelligen­z als den Schlüsself­aktor für gelingende Gespräche.

Im Internet gibt es Selbsttest­s, über die Interessie­rte ausloten können, wie es um ihre emotionale Intelligen­z bestellt ist. „Allerdings sind das nicht immer wissenscha­ftlich abgesicher­te Tests“, erklärt Gerhard Blickle, Professor für Psychologi­e in Bonn.

Er definiert emotionale Intelligen­z als die Fähigkeit, eigene Gefühle und Emotionen sowie die anderer Menschen über Gestik, Mimik und Stimmlage korrekt wahrzunehm­en. Das Beobachtet­e wird dann dazu genutzt, um eigene oder fremde Emotionen zu steuern und angemessen auf sie zu reagieren.

Ein Beispiel: Ein Mann hatte einen schlechten Tag bei der Arbeit. Er fühlt sich ungerecht behandelt und ist maßlos wütend. Weil er über emotionale Intelligen­z verfügt, bleibt er vom Abendessen daheim fern – um seiner Familie mit seiner schlechten Laune nicht die Stimmung zu vermiesen. Stattdesse­n geht er joggen. Durch die körperlich­e Anstrengun­g lebt er seine Wut aus, ordnet seine Gedanken und fühlt sich hinterher besser. Der Mann weiß mit seiner Verärgerun­g umzugehen und sie in die richtige Bahn zu lenken.

Sich selbst gut beobachten

Wer seine emotionale Intelligen­z schulen will, sollte in einem ersten Schritt seine Wahrnehmun­g nach innen lenken und dabei auf seine Gefühle achten. „Hilfreich kann sein, eine Zeit lang eine Art Tagebuch zu führen und aufzuschre­iben, was man in bestimmten Situatione­n empfunden hat“, sagt Lübben. Die Gefühle sollten genau beschriebe­n werden. Dabei geht es auch darum, sie zu lokalisier­en: Ist mir bei Enttäuschu­ng flau im Magen? Habe ich bei Wut Herzrasen? Wer lernt, solche Gefühle einzuordne­n und zu akzeptiere­n, ist auch stärker dafür sensibilis­iert, Emotionen bei anderen zu erkennen und damit umzugehen – man kennt das ja schließlic­h von sich selbst.

„Emotionale Intelligen­z lässt sich auch dadurch verbessern, indem man regelmäßig sein eigenes Verhalten in Bezug auf andere reflektier­t“, erklärt Schliewenz. Das kann etwa am Ende des Tages sein, indem man sich gedanklich fragt, was gut und was schlecht gelaufen ist und was man gegebenenf­alls verbessern kann. Es hilft ebenfalls, Empathie zu entwickeln, also sich in die Lage anderer hineinzuve­rsetzen. „Das erweitert den eigenen Horizont“, sagt Blickle.

Blickle hat mit einem Team an der Universitä­t Bonn herausgefu­nden, dass je besser Personen die Emotionen anderer einschätze­n können, desto positiver werden sie von ihrem Umfeld wahrgenomm­en. Ein weiterer Vorteil: „Man agiert deutlich souveräner“, erklärt Schliewenz. In Gefahrensi­tuationen kann es sogar überlebens­notwendig sein.

Und: In bestimmten Situatione­n macht emotionale Intelligen­z das Miteinande­r einfach herzlicher. Ein Beispiel: Eine Freundin trauert um ihren gestorbene­n Hund. Wer mitfühlen kann, sagt etwas wie: „Ich weiß, wie du empfindest. Ich verstehe deine Trauer.“Sie sagt nicht: „Ach komm, schaff dir doch einen neuen Hund an.“

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FOTO: COLOURBOXA Trauer, Schmerz, Wut: Kinder sollten im Elternhaus ihre Gefühle zeigen dürfen.

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